Kneipenreiseführer: Anekdoten aus deutschen Wirtshäusern

Na dann Prost! Ein Buch beschreibt 111 urige deutsche Kneipen. (Bild: Emons Verlag)
Na dann Prost! Ein Buch beschreibt 111 urige deutsche Kneipen. (Bild: Emons Verlag)

Sie sind Treffpunkte für Menschen aus allen sozialen Schichten, Fluchtorte aus dem Alltag, Zuhause für Einsame und Selbstdarsteller. All die Hafenkneipen, Weinstuben und Arbeiterkaschemmen, in denen Bier und Wein fließen, sind deutsche Tradition. Manche haben Kriege überlebt, wurden zwischendurch als Werkstatt oder Wohnungen benutzt. Ihr Inneres erzählt Geschichten über die Gäste und die Stadt. Der Kölner Bernd Imgrund ist durch Deutschland gereist und porträtiert in einem Buch „111 Deutsche Wirtshäuser, die man gesehen haben muss“.

„Zum Silbersack“ ist eine typische Hamburger Hafenkaschemme. „Dieser schäbig verklinkerte Flachbau mit der absurd großen, kirmesartigen Neonreklame biete alle Voraussetzungen für einen bierseligen Abend“, schreibt Imgrund. „Draußen vor der Tür tobt sich die Trostlosigkeit eines traditionellen Rotlicht-, Drogen- und Gangsterviertels aus, und hier drin scheppert Status Quo aus der Musikbox“. Erna Thomsen und ihr Mann Friedrich eröffneten den „Silbersack“, benannt nach der Straße, in der er liegt, 1949. Schnell kam neben schrägen Charakteren aus dem Milieu auch Nachkriegsprominenz wie Hilde Knef, Heinz Rühmann und Hans Albers. Heute bestellen tätowierte Typen neben Touristen ein Astra und gucken auf das Plakat von Freddy Quinn.

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Kneipenexperte Bernd Imgrund erzählt Anekdoten aus Wirtshäusern. (Bild: Emons Verlag)
Kneipenexperte Bernd Imgrund erzählt Anekdoten aus Wirtshäusern. (Bild: Emons Verlag)

Kneipen wie den „Silbersack“ sah Bernd Imgrund viele. Ein halbes Jahr lang fuhr der Autor und Journalist mit seinem Motorrad quer durch Deutschland, um urige Pinten, Weinstuben und Wirtshäuser zu finden. Er trank ab und zu ein Bier und einen Wein, hörte viele Geschichten und tauchte ein in die Vergangenheit. Ins Buch schafften es nur Gaststätten, die Geschichten erzählten, über sich selbst oder die Bewohner des Orts. „Sei es ein uralter Tresen, der schwere, abgenutzte Stammtisch oder die dort seit Urzeiten kursierenden Anekdoten: Hier findet man Erzählstoff“, ist Imgrund überzeugt. Das Ergebnis ist ein Kneipenreiseführer, der den Leser mit 111 süffigen Geschichten auf eine Reise durch die deutsche Wirtshauskultur mitnimmt.

Muschelkunst auf Büsum und Promitreff in Berlin

Es geht nach Büsum in „Kolles Alter Muschelsaal“, der eine normale Fischerkneipe war, bis ein Stammgast 1907 einen Raum komplett mit Muscheln auskleidete. In ihm thront eine lebensgroße, weibliche Galionsfigur.

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Kneipen-Experte Imgrund führt einen zur Altberliner Stadtmauer, an der die Kneipe „Zur letzten Instanz“ lehnt, die älteste Pinte der Hauptstadt. Bereits ab 1621 wurde das Haus als Gaststätte genutzt. Den heutigen Namen bekam es erst 1924 wegen des nah gelegenen Gerichtsgebäudes. Die wechselhafte Geschichte der „Letzten Instanz“ lässt sich auf Bildern an den Wänden nachvollziehen. Zwischen der alten Holzvertäfelung und dem 200 Jahre alten Kachelofen bestellten schon Heinrich Zille, Charlie Chaplin und Otto Nagel Bier aus der reich ornamentierten Jugendstilzapfanlage. Das heutige Gebäude ist allerdings nicht mehr original und wurde nach dem Krieg erneuert.

Billiger Wein in Mainz und Bauernkriege in Würzburg

Die Reise geht weiter ins „Weinhaus Bluhm“ in Mainz, wo in den Sechzigerjahren kein Getränk mehr als 80 Pfennig kostete und die Rippchen, so schreibt der Autor, so dick waren, dass ihre Verniedlichung fehl am Platze schien.

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An der Fassade des holzgetäfelten „Zum Stachel“ in Würzburg, wo Gäste bereits seit 1413 einkehren, erinnert eine lebensgroß gemalte und schwer bewaffnete Figur an den Bauernkrieg von 1525. Im Wirtshaus, das damals noch „Im Gressenhof“ hieß, trafen sich die Aufständischen. Ihr Erkennungszeichen war ein Morgenstern, wie er noch heute über dem Eingang hängt. Doch die martialische Waffe hatte nichts genützt: "Nach einem Überraschungsangriff wurden sie besiegt und zu Hunderten auf dem nahen Marktplatz geköpft." Der Name ihrer einstigen Schänke erinnert noch heute an sie.

Bernd Imgrund: „111 Deutsche Wirtshäuser, die man gesehen haben muss“, Emons Verlag, 2013, 230 Seiten, 14,95 Euro.