Die Erfüllung eines mörderischen Wunsches

Carsten S. hat dem NSU die Waffe besorgt, der Auftrag kam per Telefon – vor Gericht packt er aus

Ganz am Ende darf Carsten S. doch noch reden. Mehrmals hat Richter Manfred Götzl am Dienstag angesetzt, die Befragung des 33-Jährigen, eines des wichtigsten Zeugen der Anklage im NSU-Prozess, zu starten. Jedes Mal sind ihm Anwälte mit Anträgen dazwischen gekommen. Dann endlich, es geht schon auf 16 Uhr zu, gilt die Aufmerksamkeit aller im Saal A 101 des Oberlandesgerichts München Carsten S.


Carsten S. unterscheidet einiges von den anderen Angeklagten. Er ist schwul, er hat sich vor Jahren von der Neonazi-Szene abgewendet – und er redet. Doch wenige Monate vor seinem Ausstieg im Jahr 2000 hat er den wohl schlimmsten Fehler seines Lebens begangen: Er hat Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe die Waffe besorgt, mit der neun Männer türkischer und griechischer Herkunft ermordet wurden. Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft haben Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) gebildet. Carsten S. hat ihnen offenbar ihr Mordwerkzeug beschafft. Doch was sie mit der Pistole wollten, will er nicht geahnt haben.

Carsten S. spricht ruhig. Er sitzt leicht vorgebeugt auf der Anklagebank, trägt blaues Hemd zur Jeans. Die Jacke mit der riesigen Kapuze, unter der er zu Beginn eines jedes Prozesstages sein Gesicht verbirgt, hat er abgelegt. Vor Gericht gibt er sich redlich Mühe, sich und sein Leben zu erklären. Vom Kfz-Lackierer und NPD-Funktionär zum Nazi-Aussteiger, Sozialpädagogen und Schwulenaktivisten. Weil er schon im Ermittlungsverfahren ausgepackt hat, ist er heute im Zeugenschutzprogramm. Er fürchtet Racheakte aus seiner alten Szene.

Direkt vor ihm sitzt Beate Zschäpe, rechts neben ihm Ralf Wohlleben. Während Carsten S. erzählt, wie schwer ihm sein Coming-out gefallen ist, schreiben sich Wohllebens Anwälte Zettelchen. Es scheint lustig zu sein, sie lachen. Dann berichtet S. von Telefonaten mit den untergetauchten Uwes, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Im Auftrag von Wohlleben und einem weiteren Freund nahm er deren Wünsche entgegen. Zum Beispiel nach einem Motorrad.

Lesen Sie auch: Porträt von Carsten S.

Wohlleben und er hätten für sie ein Motorrad gestohlen, seien aber daran gescheitert, es in Gang zu kriegen. Also versteckten sie es, um es anderntags erneut zu versuchen. Doch da war die Maschine weg. „Ich weiß noch, dass die zwei Uwes sich am Telefon aufgeregt haben“, sagt S.

„Das nächste war dann der Wunsch nach der Waffe“, sagt er. Die „Order“ lautete: „ein deutsches Fabrikat“. Daran erinnere er sich noch. Im April oder Mai 2000 sei das gewesen. Über Kontakte von Wohlleben habe er eine Ceska, ein osteuropäisches Modell, mit Schalldämpfer und Munition besorgen können und sie im Bettkasten seines Kinderzimmers versteckt. Die Waffe habe er den Uwes dann in Chemnitz in einem Abbruchhaus übergeben. Vorher saßen sie im Café eines Kaufhauses, „Frau Zschäpe“ sei kurz dazugekommen.

„Haben Sie erfahren, zu welchem Zweck die Waffe benötigt wurde?“, fragt der Richter. „Nein“, sagt Carsten S. „Haben Sie nachgefragt?“ „Nö.“ „Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht?“ S. schüttelt den Kopf. Er habe das Gefühl gehabt, „da würde nichts Schlimmes passieren“, sagt er. Er habe „ein positives Gefühl gehabt, was die Drei anging, dass die in Ordnung wären“.  Er habe sie als "die drei armen Verfolgten" gesehen, denen er helfen müsse.

Tatsächlich wurden mit der Waffe neun Menschen ermordet. Carsten S. ist deswegen wegen Beihilfe angeklagt. Zu den rassistischen Morden sagt S. am ersten Tag seiner Befragung kein Wort.