Zschäpe hat nicht nur Hallo gesagt

War Beate Zschäpe wirklich eine treibende Kraft hinter den Verbrechen des NSU, eine Mittäterin? Für ihren Ex-Kumpel Holger G. steht Beate Zschäpes Schuld fest – vor Gericht belastet er sie schwer.

Holger G. redet und redet. Und seine Worte haben es in sich. Holger G. kann Beate Zschäpe gefährlich werden. Vielleicht ist er deswegen so nervös vor Gericht. Er sitzt am Donnerstag keinen Meter hinter ihr auf der Anklagebank. Er sitzt ihr im Nacken. In mehrfacher Hinsicht. Denn er packt aus und belastet sie schwer.


Der 38-Jährige kennt Zschäpe gut, seit ihrer gemeinsamen Jugend in Jena. Selbst als Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe fast 13 Jahre lang im Untergrund lebten, hielten sie Kontakt zu ihm. Holger G. besorgte ihnen Ausweise, eine Krankenversicherungskarte, lieferte den Neonazis eine Waffe. So sagt er es vor Gericht. Zschäpe rutscht unruhig auf ihrem Stuhl herum.

Es geht für Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München nicht nur um eine lebenslange Freiheitsstrafe, es geht auch um Sicherungsverwahrung. Also darum, ob die 38-Jährige bevor sie das Rentenalter erreicht, jemals wieder in Freiheit kommt. Sie ist wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Mittäterschaft an zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen angeklagt.
Mittäterschaft bedeutet, dass sie die Taten genauso zu verantworten hat, als hätte sie selbst den Finger am Abzug gehabt, die Bomben platziert und das Geld eingesackt. Doch jemandem nachzuweisen, etwas gewusst und entscheidend unterstützt, aber nicht ausgeführt zu haben, ist nicht die einfachste Aufgabe. Zschäpe wird ihren Richtern nicht dabei helfen. Holger G. schon. Er betrachtet die Drei als Einheit, das betont er vor Gericht. Und das ist es, worauf es ankommt, um sie wegen Mittäterschaft verurteilen zu können.

Er lieferte bereits der Bundesanwaltschaft den Stoff für die Anklage. Nicht ohne Grund lebt er seit seiner Entlassung aus der U-Haft an einem geheimen Ort. Er hat Angst vor Racheakten aus der Neonaziszene.
Tatsächlich ist brisant, was Holger G. sagt. Er hegt keinen Zweifel daran, dass Zschäpe zusammen mit den beiden Uwes der „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) war. Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos bezeichnet er als „Mitglieder einer terroristischen Vereinigung“. Die Uwes sind tot. Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer sagte vor Prozessbeginn, es gelte erst noch festzustellen, ob es überhaupt eine terroristische Vereinigung gegeben hat. Seine Mandantin schweigt. Holger G. hingegen redet wie ein Wasserfall.

Zschäpe war laut G. dabei, als er für das Trio 2011 einen Reisepass besorgte und Böhnhardt ihm für eine größere Ähnlichkeit auf dem Foto die Haare schor. Sie war dabei, als die Uwes ihm 2005 seinen Führerschein abquatschten. Und sie hatte ihn im Jahr 2000 oder 2001 in Zwickau auch vom Bahnhof abgeholt, als er eine Waffe von Ralf Wohlleben zu den Terroristen brachte. Sie sah zu, wie einer der Uwes die Waffe auspackte und durchlud. Er wollte nie „einer Terrorzelle aus dem Untergrund heraus das Morden von Menschen ermöglichen“, sagt er. Er sagt damit auch, dass es nach seiner Überzeugung genau so war.

Der mitangeklagte Carsten S. hatte Zschäpe an den Prozesstagen zuvor noch kaum belastet. Der 33-Jährige hatte ausgesagt, dass Zschäpe bei der Übergabe der Ceska, der Waffe, mit der neun Menschen erschossen wurden, nicht dabei gewesen sei. Auch die Anweisungen für Hilfsdienste seien von Böhnhardt und Mundlos gekommen. Zschäpe hätte am Telefon höchstens mal „Hallo“ gesagt. Bei Holger G., selbst angeklagt wegen Unterstützung des NSU, klingt das anders.

Als G. nach Hannover zog, besuchten sie ihn auch dort regelmäßig. Noch 2011 kamen sie. Da hatten sie nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft schon zehn Menschen ermordet. Sie brachten Kuchen mit. Der Reisepass, den sie von G. hatten, war abgelaufen. Sie wollten einen neuen. Mundlos drohte: Holger G. sei wegen all der anderen Dokumente „ohnehin mit dran“.

Dass sie seine Papiere verwendeten, „um Wohnmobile anzumieten und Menschen zu töten“, habe er nicht geahnt, sagt G. Damit sagt er auch, dass er nicht daran zweifelt, dass sie – also auch Zschäpe – genau das taten. Ihm sei nie bewusst gewesen, dass er Terroristen unterstützt habe. „Dass ich das getan habe, tut mir fürchterlich leid“, sagt er. „Dass ich das getan habe“. Wieder kein Konjunktiv. Für ihn, dem einstigen engen Freund und Gesinnungsgenossen, steht Zschäpes Schuld fest.