Aufstieg und Fall des Sebastian Edathy

Schockstarre im Bundestag: Gegen den SPD-Abgeordneten Edathy laufen Ermittlungen wegen Kinderpornographie. Er ist ein Shooting-Star. Und mancher wird sich über seinen Sturz freuen.


Momentan verläuft die Karriere des Sebastian Edathy wie ein lupenreiner Crash gegen die Wand. Die Polizei in Wohnung und Büros. Parteigenossen, die rasch abrücken. Rücktritt vom Mandat des Abgeordneten. Untergetaucht. Und ein Verdacht, mit einem unglaublichen Makel behaftet: Nach Informationen aus Behördenkreisen sollen kanadische Fahnder Edathy bei Recherchen zum Handel mit Kinderpornos auf die Spur gekommen sein; womöglich als Datenkonsument irgendwo in dieser grausamen Kette.

Der Verdacht markiert eine Wegkreuzung. Hat er oder hat er nicht? Wenn ja, wird man von Edathy nicht mehr viel hören, er wird verschwinden. Und wenn er nicht hat, dann erwartet ihn ein langer Marsch, um diesen Schmutz wieder abzuschütteln.

Ein Typ, der andere reizt

Edathy, 44, Innenexperte aus Nienburg, ist einer, der auffällt. Spritzig, hoch intelligent und mit einer Lust an politischem Streit. Einer, der den Degen in Debatten führt und einsteckt. Für sein Alter hat er viel erreicht: Seit 1998 im Bundestag, den Wahlkreis damals selbst gewonnen. Dann leitete Edathy zwischen 2005 und 2009 den wichtigen Innenausschuss des Bundestags, schließlich sein Meisterstück: der Vorsitz jenes Untersuchungssauschusses, der die Versäumnisse des Staates bei der Aufklärung der Mordserie rund um den rechtsextremen NSU unter die Lupe nahm.

Edathy ist einer, der sich schnell langweilt. Wenn im Gorleben-Untersuchungsausschuss, in dem er auch saß, sich die Vertreter der FDP zu besonders abschweifenden und ungenauen Fragen aufmachten, ging er erstmal eine rauchen. Das braucht er, denn Edathy ist Kettenraucher. Aber es ist auch eine Geste. Denn Edathy ist ein Politikertyp, der viel transparenter ist als andere. Kaum jemand pflegt seinen Facebook-Account derart aktiv wie er. Er mag die Rivalen von der Union aufs Blut reizen mit seiner Rhetorik, aber er ist auch der erste, der danach zu einem gemeinsamen Bier bereit ist. Einer, mit dem man am Tresen immer etwas zu bereden findet.

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So mancher politischer Konflikt hat Narben hinterlassen. Einer wie Edathy polarisiert, weil Andersdenkende es schwer haben, sich seiner beißenden Logik zu stellen. Edathy ist Jurist mit Leib und Seele, und so stellte er auf Facebook in wenigen, dürren, jedoch schlagkräftigen Worten dar: Die Behauptung, er besitze kinderpornographisches Material, sei unwahr. Auch habe er nichts beschafft.

Nun gilt erstmal die Unschuldsvermutung. Doch die Messer werden gewetzt, so manche Narbe juckt. In Rekordgeschwindigkeit distanzierten sich die führenden Genossen von ihm – obwohl niemand genaues weiß. Bei der Hausdurchsuchung waren Lokalreporter zugegen, womöglich von SPD-Kreisen vorab informiert.

Edathy jedenfalls ist abgetaucht. Meldete sich schon Anfang Januar krank. Soll irgendwo im Ausland sein, hatte nur eine Erklärung auf Facebook gestellt. Das nährt natürlich den Verdacht. Und dennoch darf eine wichtige Frage nicht verdrängt werden. Es ist die Frage, die immer gestellt werden muss, wenn es kniffelig wird, und zwar: Wem nützt es?

Edathy hat viele Feinde

Die aktuelle Krise Edathys nützt einigen Leuten. Da sind die von ihm Gescholtenen, die intellektuell Unterlegenen. Dann ist da das rechtsextreme Umfeld, für das Edathy eine Zielscheibe darstellt. Nicht nur, weil er sich seit Jahren gegen Rassismus und Faschismus engagiert. Auch, weil dem Umfeld der neonazistischen Kameradschaften seine Hautfarbe zu dunkel geraten ist; sein Vater kommt aus Indien. Und da sind schließlich Kreise aus den Sicherheitsbehörden, die von Edathy im NSU-Ausschuss ihr Fett abkriegten. Edathy ist der profilierteste Kritiker all jener in Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst, die bei der Verhinderung der NSU-Mordserie nicht das taten, was sie hätten tun müssen.

Edathy hat also viele Feinde. Und so bleibt vorerst die Frage bestehen, ob ihm da nicht jemand ans Bein pinkelt. Der Verdacht der Kinderpornographie ist wie gemacht, um das Ansehen einer Person zu vernichten. Und für Politiker ist Ansehen so etwas wie das Girokonto. Technisch wird es möglich sein, Edathys digitale Spuren zu hinterwandern und in kriminelle Milieus zu lotsen.

Wenn dem so wäre, müsste sich Edathy verteidigen. Doch es herrscht Funkstille. Mit wenigen Worten meldete er sich heute bei „Spiegel-Online“: „Nach mir vorliegenden Informationen wirft mir die Staatsanwaltschaft ausdrücklich kein strafbares Verhalten vor“, sagte dort. „Die Durchsuchungen waren nicht nur unverhältnismäßig, sondern stehen im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen. Ich hoffe, dass die Staatsanwaltschaft demnächst einräumt, dass die Vorwürfe gegenstandslos sind.“ Die Zeit wird erweisen, was an den Vorwürfen dran ist. Doch eines steht fest: Es wird das schmutzigste Stück des
Jahres sein, das den Bundestag beschäftigen wird.