Das hat nichts mit dem Islam zu tun

Unter den Opfern befanden sich auch zwei Muslime. (Bild: Reuters)
Unter den Opfern befanden sich auch zwei Muslime. (Bild: Reuters)

Die Welt ist schockiert über den Mordanschlag auf die Satirezeitung „Charlie Hebdo“ in Paris. Zwei muslimische Attentäter richteten ein Blutbad an. Eine ganze Religion dafür in Sippenhaft zu nehmen, wäre jetzt der falsche Weg, denn Muslime sind unmittelbar betroffen.

Ein Kommentar von Dunja Ramadan

In Paris stürmen Attentäter die Redaktion eines Satiremagazins, es sollen Muslime sein - ich bin auch Muslimin. Ich sitze in der Redaktion, soll live darüber berichten: 10 Tote, 11 Tote, 12 Tote – Väter, Mütter, Söhne, Töchter, Freunde, Journalisten, Menschen. Nach und nach zeigt sich das Ausmaß der Attacke. Ich weiß bereits, wie die nächsten Tage aussehen werden. Ich habe das Gefühl in einem Hamsterrad zu laufen. Sydney, Boston, Paris - ich kenne das Gefühl bereits aus früheren Bluttaten, die im Namen des Islam begangen wurden. Das Distanzieren, Klarstellen und Abgrenzen von derartig barbarischen Taten scheint kein Ende zu nehmen, ich muss immer weiterstrampeln. Ich habe das Gefühl nicht mehr mitzukommen, ich renne in dem Rad, mir knicken die Beine weg, mir wird schlecht. Denn: Auch wenn die Täter immer wieder muslimische Namen tragen und aus muslimischen Ländern stammen, so könnten sie mir und der Mehrheit der hier lebenden Muslime ferner nicht sein.

Das Hamsterrad dreht sich weiter: Am Abend des Massakers in Paris werden Talkshows im Fernsehen mit dem Titel „Wie gefährlich ist der Islam?“ ausgestrahlt. Ehe man sich versieht, geben Pegida und die AfD ihre ersten höhnisch klingenden Statements ab – frei nach dem Motto: „Na, wir haben es euch doch gesagt!“ Die Frage, die ich mir für wenige Sekunden erlaube zu stellen, ist: „Soll ich weiterrennen oder soll ich abspringen?“ Die meiste Zeit empfinde ich das Rennen im Hamsterrad, das Erklären meiner Religion, nicht als Belastung. Im Gegenteil: Es stellt eine Art geistige Bewegung dar, einen Austausch, der ein gutes Zusammenleben überhaupt erst möglich macht. Doch an einem Tag wie diesem nimmt das Strampeln kein Ende: Ein Gefühl der Trauer steigert sich zu einem Gefühl der Verzweiflung und endet letztlich in einem tiefen, ja abgrundtiefen Unverständnis. Die Distanz, die ich als Muslimin zu solchen Tätern und zu einer derartigen Tat empfinde, könnte nicht größer sein. Der Wille, die Tat weit von sich zu schieben, könnte nicht größer sein. Der Ekel und die Abscheu, die mich bei der Brutalität dieser Tat überfallen, könnten nicht größer sein. Die Wut über die Instrumentalisierung meiner Religion zu so einer barbarischen Tat könnte nicht größer sein.

Der Polizist, der in Paris mit erhobenen Händen auf dem Boden lag und mit einem Kopfschuss brutal von den muslimischen Tätern ermordet wurde, war Muslim. Er hieß Ahmed Merabet und wurde nur 42 Jahre alt. Auch der Korrektur-Leser von "Charlie Hebdo", Mustapha Ourad, war Muslim. Er wurde von einem Muslim getötet. Es sollte keine Rolle spielen, ob sie Muslime waren oder nicht, denn letztlich sind es verlorene Menschenleben. Aber es zeigt einmal mehr, dass Terrorismus uns alle betrifft. Terrorismus macht auch keinen Halt vor Muslimen. Denn den Tätern geht es nicht um Religion, sondern einzig und allein um Macht und Hass. Solche Menschen wissen nicht, was ihren Glauben überhaupt erst ausmacht, denn sie haben jegliche Menschlichkeit verloren. Im Koran gibt es ein universell gültiges Tötungsverbot das besagt, dass die Ermordung eines Unschuldigen der Ermordung der ganzen Menschheit gleichkäme. Als die Attentäter die Redaktionsräume stürmten, sollen sie "Wir rächen den Propheten" gerufen haben. Dabei können sie den Propheten nicht „rächen“, weil dieser es nie von ihnen verlangt hat. Im 7. Jahrhundert wurde der Prophet Mohamed in seiner Heimatstadt Mekka schikaniert und beleidigt, und als er zehn Jahre später zurückkam, übte er keine Rache, sondern sprach die Worte: "Gott möge es euch verzeihen! Geht, wohin ihr wollt, macht, was ihr wollt, denn ihr seid frei."

Auch wenn viele Muslime weder über Mohamed-Karikaturen noch über Jesus-Karikaturen erfreut sind, so hätte keine Karikatur der Welt meiner Religion mehr Schaden zufügen können als es das Massaker getan hat. Statt ein Klima der Angst und des Misstrauens zu schüren, sollten Muslime und ihre Mitbürger jetzt näher zusammenrücken, denn wir sind Nachbarn, Freunde oder auch einfach nur Mitmenschen. Ich werde jedenfalls nicht vom Hamsterrad abspringen, denn was in Paris geschehen ist, hat nichts mit dem Islam zu tun – und ich werde nicht müde, das zu betonen – auch wenn ich dafür weiterstrampeln muss.