ESM-Urteil: Deutschland bindet sich stärker an Europa

Kommentar:

Aufatmen in Berlin: Mit einem historischen Urteil hat das Bundesverfassungsgericht den Weg für den Euro-Rettungsschirm ESM frei gemacht. Damit bleiben die Karlsruher Richter ihrem europafreundlichen Kurs treu – auch wenn sie ihre Zustimmung an Auflagen knüpfen. Es ist ein besonnenes, konsequentes Urteil, das bei allen Vorbehalten Eines klarstellt: Deutschland darf sich finanzpolitisch stärker an Europa binden.


An diesem Morgen blickte die Welt auf die kleine Stadt Karlsruhe. Den Richtern wurde eine Aufmerksamkeit zuteil, die selbst für das Bundesverfassungsgericht nicht alltäglich ist. Ganz Europa, die Börsen und die Finanzstrategen in den USA erwarteten mit Spannung den Moment, als die Damen und Herren in den roten Roben vor die Kameras traten. Sie hatten ein historisches Urteil zu fällen: Als letztes Land hat Deutschland den Vertrag über den Rettungsschirm ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) bislang nicht ratifiziert. Würden die Richter die Euro-Rettung stoppen?

Als um 10.20 Uhr das  Urteil verkündet wurde, war ein Aufatmen vielerorts zu vernehmen: Frenetischer Applaus im Europaparlament in Straßburg, Kursgewinne an den Börsen, beinahe einstimmiges Lob von CDU, FDP, SPD und Grünen in Berlin. Die Richter in Karlsruhe haben einmal mehr klargemacht: Sie wollen der Rettung des Euro nicht den Weg versperren. Das Gesetz über den Rettungsschirm ESM, der zahlungsgefährdete Euro-Staaten mit Krediten und Bürgschaften stützen soll, darf von Bundespräsident Joachim Gauck unterschrieben werden.

Lesen Sie auch: Karlsruhe billigt Euro-Rettungsschirm ESM unter Auflagen

Das Bundesverfassungsgericht stand einmal mehr vor der wichtigsten Grundsatzfrage in der deutschen Europapolitik: Ist die Bundesrepublik bereit, um der Rettung des Euro, ja der europäischen Idee willen einen Teil seiner eigenen Souveränität aufzugeben? Denn zu Recht hatten die ESM-Gegner darauf hingewiesen, dass mit dem geplanten Rettungsschirm eine Schmälerung der Budgethoheit des Bundestags und erhebliche finanzielle Risiken einhergehen.

Die Karlsruher Richter haben diese Frage in der Vergangenheit stets salomonisch, im Kern aber immer europafreundlich beantwortet. Dieser Linie sind sie auch dieses Mal treu geblieben. Sie gaben grünes Licht, betonten aber gleichzeitig, dass die finanzielle Belastung für Deutschland durch den ESM nicht ohne weiteres ins Unendliche steigen darf. Die bisher festgelegte Haftungsgrenze  von 190 Milliarden Euro kann demnach nur dann erhöht werden, wenn deutsche Vertreter in den ESM-Gremien ausdrücklich zustimmen. Außerdem muss der Deutsche Bundestag umfassend über die Vorgänge im ESM informiert werden.

Letztlich hat Karlsruhe mit dieser Entscheidung aber dafür gesorgt, dass die Eurozone bei der Bekämpfung der Krise handlungsfähig bleibt. Allein die Symbolkraft des Urteils ist von enormer Bedeutung – ein weiteres Zeichen der Stagnation hätte auf den Finanzmärkten fatale Folgen haben können.

Es ist darüber hinaus ein besonnenes  Urteil, weil es sich vor den Realitäten nicht verschließt: Wer will, dass der Euro diese Krise überlebt, der muss den Mut zu gemeinschaftlichen europäischen Entscheidungen haben – und das Risiko finanzieller Haftung bis zu einem gewissen Grad in Kauf nehmen. Eine Heilung ohne schmerzhafte Nebenwirkungen gibt es nicht.

Die viel schwierigere Frage wird nun aber sein, ob der ESM überhaupt ausreicht. Denn wenn nicht nur Spanien, sondern auch Italien unter den Schirm schlüpfen will, könnte das Instrument schnell an seine Grenzen stoßen.

Bundesverfassungsgericht macht Weg für ESM frei - unter Vorbehalt