60-Milliarden-"Clusterfuck": Bei "Hart aber fair" steht die Schuldenbremse auf dem Prüfstand

Rotstift zücken und Federn lassen, Kredit aufnehmen oder Schuldenbremse streichen? Kühnert (SPD), Dröge (Grüne) und Teutenberg (FDP) begaben sich bei "Hart aber fair" (ARD) auf die Suche nach Plan B, um das 60-Milliarden Euro Loch im Haushalt zu stopfen. Einig wurden sie sich nicht.

Diskussion zum
Diskussion zum "60-Milliarden-Rumms" bei "Hart aber fair", von links: SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge, VWL-Professor Jens Südekum, Journalistin Kristina Dunz, FDP-Politikerin Linda Teuteberg, CDU-Politikerin Serap Güler und Gastgeber Louis Klamroth. (Bild: ARD)

Gerade einmal auf 35 Prozent kommt die Ampelkoalition laut einer aktuellen Umfrage von Infratest vom 11. November. Die Union liegt bei 30 Prozent, und die AfD befindet sich mit nur neun Prozentpunkten dahinter auf Aufholjagd. Die Stimmung ist "im Eimer", meinte die Journalistin Kristina Dunz wie aus der Pistole geschossen, noch bevor Louis Klamroth seinen Satz beenden konnte.

Widersprechen wollte der sonst so wortgewandte "Hart aber fair"-Moderator genauso wenig SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert: "Mit unseren Zahlen sind wir nicht zufrieden", gestand er am Montagabend Fehler zu, dies gelte auch für die Koalition. Ebenso schwarz wie Dunz sieht er für die "zwei langen Jahre" bis zum Ende der Legislaturperiode jedoch nicht, hätte er doch als Zeitzeuge der großen Koalition doch "ganz Anderes" erlebt. Ein Wiederaufleben eben dieser komme für ihn nicht infrage. "Dass Sie ausgerechnet mich nach der großen Koalition fragen, nehme ich Ihnen persönlich übel", reagierte er mit einem Augenrollen auf Klamroths Andeutung und betonte: Eine "Politik ohne Geräusche [...] wäre keine gute, demokratische Debatte."

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert musste bei
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert musste bei "Hart aber fair" am Montag Fehler der Ampelregierung eingestehen. Angesprochen auf eine mögliche große Koalition rollte er mit den Augen. (Bild: ARD)

Was für ein "Clusterfuck"

Geräusche macht die Ampel-Regierung seit geraumer Zeit. Das jüngste Problem: Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden, dass 60 Milliarden Euro für den Kampf gegen Corona nicht für Projekte des Klima- und Transformationsfonds verwendet werden dürfen. Oder um es mit Klamroths Worten auszudrücken: "Was für ein Clusterfuck!" Und es könnte noch schlimmer werden, wie Jens Südekum, Professor für internationale Volkswirtschaftslehre, warnte. Tatsächlich könnte das Urteil auch den Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds betreffen und für das Haushaltsbudget weitere rund 200 Milliarden Euro sperren, was zu höheren Strom- und Gaspreisen führen könnte.

Auf diese Einschätzung festlegen wollten sich weder Kevin Kühnert noch die Vertreterinnen der anderen Koalitionsparteien, Linda Teuteberg (FDP) und Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge. "Das Urteil ist frisch", argumentierte der SPD-Generalsekretär, dass die Regierung noch keine eindeutigen Antworten auf diese offenen Punkte geben könne. Vielmehr müsse jetzt darüber verhandelt werden, wie das 60 Milliarden Euro-Loch gestopft werden soll.

Wo will die Ampel sparen: Moderator Louis Klamroth hakte mit Nachdruck nach, erhielt jedoch keine konkrete Antwort. (Bild: ARD)
Wo will die Ampel sparen: Moderator Louis Klamroth hakte mit Nachdruck nach, erhielt jedoch keine konkrete Antwort. (Bild: ARD)

Unterschied zwischen"Kanzleramt in Blattgold oder Zukunftstechnologien"

Jetzt ebenso mal 20 Milliarden Euro einzusparen - das ist die tatsächlich fehlende Summe - werde "fast gar nicht möglich sein", gab Wirtschaftsexperte Südekum zu bedenken. Zwar könnten Kürzungen oder Steuererhöhungen mittelfristig funktionieren, er erachte jedoch eine "vernünftige Finanzierung mit Aufnahme von zusätzlichem Kreditverfahren als einzigen Weg, um das kurzfristig schaffen zu können". Darüber hinaus müsse man über eine Reform der Schuldenbremse sprechen.

Für konstruktive Staatsausgaben mache die 2009 im Grundgesetz verankerte Regel Sinn, die von der Konjunktur unabhängige, staatliche Neuverschuldung für die Länder zu verbieten und für den Bund auf maximal 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts zu beschränken. Langfristige Ausgaben für Klimaschutz hingegen würden jetzt getätigt, ergeben aber in den nächsten Jahrzehnten Rendite und müssten anders behandelt werden. "Die Alternative ist nicht: Schulden bis zum Mond", stieß der Vorschlag bei Kühnert auf offene Ohren: Es gehe um Regeln, die unterscheiden, "ob der Kanzler das Amt in Blattgold steckt oder in Zukunftstechnologien investiert, die sich sonst nicht in Deutschland ansiedeln."

VWL-Professor Jens Südekum forderte, auch eine Reform der Schuldenbremse zu diskutieren. Journalistin  Kristina Dunz legte bezüglich des Milliarden-Lochs den Finger in die Wunde. (Bild: ARD)
VWL-Professor Jens Südekum forderte, auch eine Reform der Schuldenbremse zu diskutieren. Journalistin Kristina Dunz legte bezüglich des Milliarden-Lochs den Finger in die Wunde. (Bild: ARD)

Teuteberg: Schuldenremse "nicht schleifen lassen"

Während sich die Vertreter von SPD und Grünen einig waren, stellte sich FDP-Politikerin Teuteberg gegen eine Reform der Schuldenbremse. Das Urteil des Bundesgerichts wäre eine Aufforderung, "die Schuldenbremse zu stärken, nicht schleifen zu lassen". Man müsste mit den Mitteln des Staats auskommen. "445 Milliarden Euro, das ist das Volumen des Haushalts, sind nicht zu wenig", erhielt sie Unterstützung von der CDU-Bundestagsabgeordneten Serap Güler.

"Ich kaufe den Punkt nicht - und mache deshalb bei keiner Streichliste mit -, dass genügend Geld im Haushalt drin ist", zog Kühnert einen Strich unter diese Rechnung. Natürlich könnte man 60 Milliarden einsparen und nannte das viel debattierte Bürgergeld als Beispiel. Doch "der Preis dafür ist, dass Gesellschaft auseinander fliegt", warnte er. Kurz darauf versuchte CDU-Politikerin Güler, die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme mit Rechenbeispielen zu widerlegen (Klamroth: "Jetzt wird es kompliziert").

Würden die Schuldenbremse gerne unangetastet lassen: FDP-Politikerin Linda Teuteberg erhielt Unterstützung aus der Opposition - von Serap Güler (CDU). (Bild: ARD)
Würden die Schuldenbremse gerne unangetastet lassen: FDP-Politikerin Linda Teuteberg erhielt Unterstützung aus der Opposition - von Serap Güler (CDU). (Bild: ARD)

"Die Diskussion zeigt, wie das laufen würde", gab Südekum zu möglichen Einsparungen zu bedenken. Tatsächlich wollte keiner der Diskussionsteilnehmer eine Antwort darauf geben, welche Positionen im Haushalt gekürzt werden können. Als Klamroth selbst beim dritten Anlauf von Teuteberg keine Antwort darauf erhielt, half er nach: Streichung des Dienstwagenprivilegs und der Kerosin-Subventionen schlug er vor. Mehr als ein "gucken wir alles an" bekam er nicht.

Sondervermögen für den Klima- und Transformationsfonds?

Es "muss weniger ausgegeben, müssen andere Einnahmequellen erschlossen werden, muss ein juristisch wasserdichterer Weg gefunden werden, mit Sondervermögen zu arbeiten", fasste Kühnert die Optionen zusammen. Letzteres wurde zur Aufstockung des Bundeswehr-Budgets beschlossen und könnte für den Klima- und Transformationsfonds geltend gemacht werden. Außerdem müsste die Notlage aufgrund von Corona-Pandemie, Ukraine-Kriegs und den notwendigen Investitionen in erneuerbare Energien besser begründet werden, um der Kritik des Verfassungsgerichts entgegenzutreten und eventuell neue Finanzierungstöpfe aufzumachen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hätte die Finanzpolitik in Krisenzeiten noch schwieriger gemacht, unkte Südekum. "Wenn ich die Union wäre, würde ich sehr gut darüber nachdenken, ob ich nicht eine Grundsatzentscheidung treffe", richtete er ein Schlusswort an die Opposition: "Wenn ich das nicht mache, schaufelt man sich vielleicht finanzpolitisch - wenn man die nächste Wahl gewinnt - das eigene Grab."

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