Analyse: SPD im freien Fall

Die SPD-Führung scheint dem Abwärtstrend hilflos ausgeliefert zu sein (Bild: AP Photo/Michael Sohn)
Die SPD-Führung scheint dem Abwärtstrend hilflos ausgeliefert zu sein (Bild: AP Photo/Michael Sohn)

Die Sozialdemokraten stehen in den jüngsten Umfragen so schlecht da, wie noch nie. Warum das so ist, zeigt exemplarisch der Streit um Hans-Georg Maaßen.

Siebzehn Prozent. Diese Zahl muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Dort ist die SPD nämlich mittlerweile angekommen. Den Sozialdemokraten gelingt es einfach nicht mehr, ein eigenes Profil aufzubauen. Jetzt sind sie sogar von der AfD überholt worden, die in der aktuellen Sonntagsfrage bei 18 Prozent landete. Und die Grünen sind mit 15 Prozent dicht auf den Fersen. Was ist nur mit der großen alten Dame passiert?

Ein anschauliches Beispiel ist der Fall Maaßen. In der Debatte um den gerade wegbeförderten Verfassungsschutzchef hatte es die SPD zunächst wenigstens geschafft, sich einigermaßen gerade zu machen und ihre Position klar festzulegen. Maaßen sei nicht mehr tragbar nach seinen Äußerungen zu den Ausschreitungen in Chemnitz, in letzter Konsequenz drohten SPD-Politiker sogar mit der Aufkündigung der Koalition (nur um dann allerdings gleich wieder zurück zu rudern). Was am Ende dabei herauskam, war zwar das Ende von Maaßens Verfassungsschutzkarriere, stattdessen landete der Seehofer-Vertraute aber überaus sanft als Staatssekretär im Innenministerium bei erhöhten Bezügen.

Das kann man als politisch geschickte Lösung sehen, was es aus Sicht der CDU sicher auch war. Aus Sicht der SPD und eben auch vieler Wähler war es aber ein weiteres Beispiel für politisches Geklüngel und das mangelnde Rückgrat der Sozialdemokraten. Zwar äußerte sich unter anderem Andrea Nahles ziemlich deutlich zur Maaßen-Lösung, bezeichnete sie als „schwer erträglich“. Geholfen aber hat es nichts. Und den Streit hat die SPD jetzt intern im eigenen Lager.

Unmut an der Basis wächst

Nahles wettert zwar jetzt gegen Horst Seehofer und wirft ihm vor, aus einer Personal-Debatte eine Koalitions-Frage gemacht zu haben. Aber die SPD-Vorsitzende sieht in der Diskussion selbst auch nicht sehr gut aus. Aus Parteikreisen heißt es, die Causa Maaßen sei ein Fiasko. Der Oberbürgermeister von Freiberg (Sachsen) trat aus Protest gar aus der Partei aus und die SPD-Minister sollen beratschlagen, ob sie durch Abstimmungs-Enthaltung den Maaßen-Kompromiss von der Partei fern halten können, ohne ihrer Parteichefin zu schaden. Hochrangige SPD-Politiker forderten von Nahles im SPIEGEL jetzt sogar die Abkehr vom Maaßen-Deal. Eine Abkehr würde aber Nahles Autorität weiter schwächen. Ein selbstgebasteltes Dilemma, einmal mehr.

Geschlagene vier Stunden saß die Parteiführung am Donnerstagabend zusammen, um die Haltung zu Maaßen und das Echo aus der Partei zu diskutieren. Es herrscht Unruhe bei den Sozialdemokraten und das ausgerechnet aus einer Situation heraus, die eigentlich prädestiniert war, ihnen ein paar Pluspunkte einzubringen. Doch darin besteht das Dilemma der SPD seit mehreren Jahren: Sie ist nicht mehr in der Lage, politisches Kapital aus diesen Gelegenheiten zu schlagen.

Kurz gesagt: Anstatt die Chance zu nutzen, sich wieder stärker als Gegenentwurf zur Union zu positionieren, sägt die SPD am eigenen Ast und ist damit beschäftigt, Brandherde in der eigenen Partei zu löschen. Also lässt sie sich weiter wie ein mürrisches Kind auf dem Sonntagsspaziergang in der ohnehin ungeliebten Großen Koalition von der Union hinterherschleifen und verliert und verliert in den Umfragen.

Warum man dem politischen Instinkt trauen sollte

Dass es überhaupt so weit gekommen ist, hat sich die Parteiführung allerdings in erster Linie selbst zu verdanken. Nach dem Bundestagswahldebakel vor einem Jahr taten Schulz und Co. das einzig Sinnvolle. Die noch in der Wahlnacht erfolgte Absage an eine weitere GroKo, das Anerkennen des Wählerunmuts und die Aussicht auf einen Neuaufbau der Partei waren der richtige politische Instinkt. Es verschaffte den Sozialdemokraten wieder ein wenig Respekt bei ihren Stammwählern und sorgte für die Möglichkeit einer schärferen Abgrenzung zur Merkel-CDU.

Dann aber kamen quälend lange Jamaika-Verhandlungen, der bockige Ausstieg der FDP (denen selbiger übrigens nicht geschadet hat, denn die haben sich bei soliden neun Prozent eingependelt), und plötzlich die Zwickmühle für die SPD: Regierung platzen lassen und zu seinem Wort stehen? Oder doch wieder in die Rolle des weiter geschwächten Koalitionspartners schlüpfen?

Wer ist hier noch rot? Merkel schnappt ihrem Koalitionspartner regelmäßig die Themen weg (Bild: AP Photo/Markus Schreiber)
Wer ist hier noch rot? Merkel schnappt ihrem Koalitionspartner regelmäßig die Themen weg (Bild: AP Photo/Markus Schreiber)

Die Wahl fiel auf Zweiteres, wohl auch aus Angst vor einem noch größeren Debakel bei Neuwahlen. Und vor einem weiteren Aufstieg der AfD. Angst ist aber in der Politik kein guter Berater, das merkt die SPD spätestens jetzt. Sich von der AfD und Seehofers CSU vorantreiben zu lassen, anstatt klar Position zu beziehen, zahlt sich ebenfalls nicht aus, wie die Umfrageergebnisse und die Unruhe in der eigenen Partei mehr als deutlich zeigen.

Von Merkel ausmanövriert

Angela Merkel hat ihr taktisches Talent gerade im Hinblick auf das Duell mit der SPD immer wieder unter Beweis gestellt. Den Sozialdemokraten hat sie oft die Themen vor der Nase weggeschnappt, wenn es auch manchmal auf Kosten der eigenen Unterstützer ging, die schon mal murren, dass ihre Kanzlerin inzwischen fast rote Politik betreibe. Dabei hat sie es oft geschafft, dass die politischen Erfolge ihr und der CDU angerechnet werden, die Niederlagen aber vor allem bei den SPD-Anhängern für Unmut und massenweise Abwanderung sorgten.

Es ist ja beileibe nicht so, dass die CDU keine Einbußen zu verzeichnen hätte. 28 Prozent sind wahrlich auch kein glorreicher Wiederaufstieg nach dem historisch-desaströsen Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl. Aber immerhin bleiben die Christdemokraten trotz der Konkurrenz von rechts und der unzähligen Nebenkriegsschauplätze mit der Schwesterpartei CSU immer noch stärkste Partei bundesweit. Davon kann die SPD momentan nur träumen. Und scheint auch genau das zu machen.

Denn die SPD ist zu einer rein reagierenden Akteurin geworden. Kein Wunder, wenn man mit eher ecken- und kantenlosen Charakteren wie Olaf Scholz agiert. Der Ex-Bürgermeister von Hamburg galt schon in der Hansestadt eher als trockener Typ. Dass ein Bürokrat wie Martin Schulz 2017 frenetisch als Heilsbringer gefeiert wurde – und dann schnell und heftig auf dem Boden der Tatsachen aufschlug -, ist ein Armutszeichen für eine Partei mit solch einer Tradition und Relevanz in der bundesdeutschen Geschichte.

Der schleichende Abstieg

Es ist ein schleichender Prozess, der die SPD seit nunmehr über zehn Jahren immer weiter an den Rand befördert. Von einer Partei der Mitte kann man eigentlich kaum noch sprechen, Relevanz hat sie allerhöchstens als Koalitionspartner. Es lässt sich viel analysieren über den Niedergang der Traditionspartei.

Wie sie sich unter Gerhard Schröder selbst von der Arbeitnehmer- zur Arbeitgeberpartei manövrierte und damit viele Altwähler vor den Kopf stieß. Wie sie mit Hartz IV zwar möglicherweise eine ökonomische Krise eindämmte, gleichzeitig aber die Leidtragenden dieser Krise marginalisierte und ausschloß. Das allmähliche Verschwinden einer Arbeiterklasse und das Unvermögen der SPD, sich auf diese veränderte Arbeitsrealität der Deutschen einzustellen, tat ein übriges.

Die SPD hatte schon einmal die große Chance für einen Neustart unter Nahles und Ypsilanti als Partei links der Mitte. Sie entschied sich für den Club der alten Männer um Franz Müntefering, Kurt Beck und Sigmar Gabriel und eine Politik der konservativeren Mitte. Die aber wird nun mal geschickt von Angela Merkel besetzt und die SPD rudert von außen betrachtet relativ konturlos herum auf der Suche nach einem neuen Kurs.

Die Quittung sind jetzt die beschämenden 17 Prozent und das Überholtwerden von einer rechten Partei, die in ihrer Gesamtheit nur schwerlich als demokratisch bezeichnet werden kann. Die Sozialdemokraten sollten schnellstmöglich zu einer eigenen Identität zurückfinden, sonst droht in der Zukunft ein Dasein als Nischenpartei.