Anna Schudt im Interview: Vom Laufen zum Licht am Ende des Tunnels

"Laufen" ist die Rettung: Der Hamburger Herbstlauf ist Julianes (Anna Schudt) Ziel - ein Jahr nach der Tragödie. (Bild: ZDF / Marion von der Mehden)
"Laufen" ist die Rettung: Der Hamburger Herbstlauf ist Julianes (Anna Schudt) Ziel - ein Jahr nach der Tragödie. (Bild: ZDF / Marion von der Mehden)

In "Laufen" rennt Anna Schudt der Trauer davon, im wahren Leben hat sie das Joggen zu Hause am Rhein für sich entdeckt. Im Gespräch zeigt sich keine Spur von Traurigkeit, wohl aber eine angenehme Tiefgründigkeit.

Gerade hat sie ihren 49. Geburtstag gefeiert. Im nächsten Jahr will Anna Schudt es richtig krachen lassen und dem 50. ein rauschendes Fest widmen. Bis dahin hat die gefragte Schauspielerin, die vor gut einem Jahr aus dem Dortmunder "Tatort" ausschied, noch einiges zu tun. Nachdem nun (am Montag, 24. April) das ZDF-Drama "Laufen", in dem sie eine vom Suizid ihres Lebensgefährten traumatisierte Frau spielt, zu sehen ist, steckt sie mitten in den Vorbereitungen für eine Hebammen-Serie, auf die sie sich sehr freut. Die Geburt ist ein Thema, das die dreifache Mutter seit Langem beschäftigt. Wie sie eine "Traumgeburt" definiert, was ihr Cello ihr bedeutet und warum sie Schwedisch gelernt hat, verrät Anna Schudt im Interview.

teleschau: In "Laufen" geht es um eine verzweifelte Frau, die nach dem Selbstmord ihres Mannes buchstäblich ins Leben zurückläuft. Warum wollten Sie da mitspielen?

Anna Schudt: Die Transformation dieser Frau hat mich sofort gepackt. Ich wollte eintauchen in diesen Prozess der Aufwärtsspirale nach diesem Trauma, wollte wissen, was die Musik mit ihr macht, was das Laufen in ihr auslöst, wie sie es schafft, wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Juliane ist eine Figur mit sehr vielen unterschiedlichen Facetten, die sich ständig verändern. Ich kann mir keine Schauspielerin vorstellen, die diese Rolle abgelehnt hätte.

teleschau: Sie sind herausfordernde Auftritte gewohnt, auch wenn das halbe Team zusieht. In diesem Film gab es besonders emotionale Szenen. Wie war das für Sie?

Schudt: Die ganze Drehzeit war eine glücksvolle Reise. Wir waren sehr schnell ein eingeschworenes Team. Katharina Wackernagel, die meine beste Freundin Rike spielt, und ich haben uns sehr aufeinander gefreut, weil wir uns schon kannten und sehr gerne mögen. Ich versuche als Schauspielerin immer, dem gerecht zu werden, was da passiert. Perfiderweise kann ich sagen, es ging mir sehr gut damit. Es hat mir viel abverlangt, und das mag ich.

teleschau: Wie fühlt es sich an, die Transformation in eine vom Schicksal gezeichnete Frau im Schminkspiegel zu verfolgen?

Schudt: Das Tolle ist, dass man bei der Schauspielerei am Abend aus dem Rollstuhl wieder aufstehen und die Erschöpfung aus dem Gesicht waschen kann. Das ist tatsächlich sehr erleichternd und bringt mich persönlich immer wieder an den wichtigen Punkt, mein glückvolles, gesundes Leben zu feiern. Ich kann machen, was ich will, stehe morgens auf und finde die Sonne schön und gehe laufen, weil es mir Freude macht. Ich werde demütig.

Anna Schudt liebt die Herausforderung emotionaler Rollen. In "Laufen" spielt sie eine Frau, die ihren Lebensgefährten durch Suizid verloren hat. (Bild: ZDF / Marion von der Mehden)
Anna Schudt liebt die Herausforderung emotionaler Rollen. In "Laufen" spielt sie eine Frau, die ihren Lebensgefährten durch Suizid verloren hat. (Bild: ZDF / Marion von der Mehden)

"Ich laufe jetzt regelmäßig; und das tut mir unheimlich gut"

teleschau: Laufen ist das Thema des Films - laufen Sie?

Schudt: Ich war Gelegenheitsjoggerin. Aber wenn man gelegentlich läuft, ist es immer eine größere Überwindung, als wenn man es in sein tägliches Leben integriert. Das hat mir der Film mitgegeben: Ich laufe jetzt regelmäßig, und das tut mir unheimlich gut. (lacht). Es gibt so schöne Strecken bei uns: Ich laufe aus dem Haus und dann am Rhein entlang, meistens dieselbe Route. Das beruhigt mich. Der Rhein ist jeden Tag anders, das Licht darüber auch, sehr abwechslungsreich und trotzdem immer gleich, ganz toll.

teleschau: Würden Sie auch bei einem Stadtlauf mitmachen?

Schudt: Nein, das brauche ich nicht. Ich mache das nur für mich und muss nicht die Schnellste sein. Das wäre für mich so, als würde ich an einem Meditationswettbewerb teilnehmen.

teleschau: Was machen Sie sonst, um den Kopf frei zu kriegen?

Schudt: Ich spiele Cello. Das habe ich auch aus dem Film mitgenommen. Als Kind habe ich Cello gespielt, aber bis mir der Film angeboten wurde, stand es 20 Jahre herum. Zwischendurch habe ich es mal verliehen und für den Dreh habe ich es dann wieder zurückgeholt. Dabei hat es mich so gepackt, dass ich mir ein Neues gekauft habe: das Instrument, das man auch im Film sieht. Und jetzt spiele ich mit großem Vergnügen und Freude. Ich hatte das Glück, dass ich ein Jahr vorher wusste, was da auf mich zukommt, und mich vorbereiten konnte. Die Stücke waren trotzdem noch fünf Nummern zu groß. Hätte ich die Zeit nicht gehabt, hätte ich die Szenen doubeln lassen müssen. Aber ich wollte sie unbedingt selbst spielen, was mir dann auch gelungen ist.

teleschau: War vorher schon klar, dass Jule, die Hauptfigur, Cello spielen muss oder war das Ihnen geschuldet, weil Sie die Rolle schon zugesagt hatten?

Schudt: Die Figur im Buch ist Bratschistin, aber als die Produzentin, mit der ich schon einen Film gemacht habe, und ich in den Dialog getreten sind, haben wir das entschieden. Sie hat mir das Buch geschenkt und ich erzählte ihr, dass ich mal Cello gespielt habe. Da war es praktisch, es umzuwandeln. Für die Geschichte ist es nicht relevant, ob die Figur Cello oder Bratsche spielt.

Regelmäßiges Joggen gehört für Anna Schudt seit den Dreharbeiten zu "Laufen" dazu. (Bild: ZDF / Marion von der Mehden)
Regelmäßiges Joggen gehört für Anna Schudt seit den Dreharbeiten zu "Laufen" dazu. (Bild: ZDF / Marion von der Mehden)

"Die Wut ermöglicht ihr den ersten Schritt"

teleschau: Glauben Sie, dass Musik und Sport gute Mittel sind, um Trauer zu bewältigen?

Schudt: Zum Glück habe ich es noch nie erleben müssen und hoffe, dass es mir eine Situation wie die in "Laufen" erspart bleibt. Trauer kann ungeheuerlich erschöpfend sein, lähmend: Du kannst nicht schlafen, der Kopf kommt nicht zur Ruhe, das Herz auch nicht. So viele Fragen, auf die es niemals mehr eine Antwort geben wird. Es ist ein brutaler Fakt, dass du nie wissen wirst, warum der andere nicht bleiben wollte, bei dir bleiben wollte, sich nicht helfen lassen wollte und du ihm offenbar nicht wertvoll genug gewesen bist, um sein Leben mit dir zu gestalten. Es gibt ein Zitat, das ich sehr treffend finde: Trauern ist Marathon für die Seele. Jule schafft den Absprung ja auch nur, weil sie einen Wutanfall hat und denkt: Ich laufe jetzt los und du kannst mich mal, deinetwegen bleibe ich nicht im Bett liegen und lebe ein gelähmtes Leben. Die Wut ermöglicht ihr den ersten Schritt. Und ihr großes Glück ist, das sie Rike an der Seite hat, die bleibt und bleibt und bleibt.

teleschau: Haben Sie so eine Freundin wie Rike?

Schudt: Ja, ich habe so jemanden.

teleschau: Teile des Films spielen in Schweden, und Sie sprechen Schwedisch. Wie kam es dazu?

Schudt: Leider spreche ich es überhaupt nicht mehr. Ich habe zwei Jahre gelernt, weil ich so toll finde, was die im Norden an Filmen und Serien machen. Aber wie das so ist, wenn man es nicht praktiziert und niemanden hat, mit dem man üben kann, mich hat die Motivation verlassen.

teleschau: Sie haben drei Kinder, und Ihr Mann, Moritz Führmann, ist auch Schauspieler. Wie schaffen Sie es, Beruf und Familie unter einen Hut zu kriegen?

Schudt: Ich bin ein absoluter Familienmensch, und irgendwie geht es. Ich habe es mir so ausgesucht und wir schaffen es oftmals, wie bei allen arbeitenden Familien nur mit Ach und Krach, aber es klappt. Zum Glück haben wir ein großes familiäres Netzwerk.

In ihrer Kindheit spielte Anna Schudt Cello. Für "Laufen" holte sie ihr Instrument aus dem Dornröschenschlaf und schaffte es, alle Musikszenen selbst zu spielen. (Bild: ZDF / Marion von der Mehden)
In ihrer Kindheit spielte Anna Schudt Cello. Für "Laufen" holte sie ihr Instrument aus dem Dornröschenschlaf und schaffte es, alle Musikszenen selbst zu spielen. (Bild: ZDF / Marion von der Mehden)

"Ein ungeheuer wichtiges Thema"

teleschau: Sie haben gerade Geburtstag gefeiert. Was bedeuten Ihnen Familienfeste?

Schudt: Eigentlich wäre ich über meinen Geburtstag beim Dreh gewesen, hatte vorher aber eine Covid-Infektion und konnte nicht mitspielen. Mein Mann war beim Drehen, die Kinder waren in der Schule. Also wollte ich den Tag in Stille verbringen und mich für nächstes Jahr wappnen: Mein 50. Geburtstag wird rauschend gefeiert! Dass ich jemals so alt werde, hätte ich als junges Mädchen im Leben nicht gedacht (lacht). Ich kann mich noch sehr gut an den 50. meiner Mutter erinnern. Es war ein Riesenfest, ich war schwanger und fand es irre, dass man in dem Alter so ein großes Fest feiert. Ist es nicht herrlich, wenn man so viel Zeit auf der schönen Erde verbringen darf?

teleschau: Unbedingt! Apropos schöne Erde: Sie sprechen häufig auch von Umständen, die nicht ganz so rosig sind. Eine Zeitung titelte von ihrer "Kindheit im Flüchtlingsheim", für das ihre Mutter sich engagierte, die Klimakrise bewegt Sie. Gibt es ein Projekt, das Ihnen momentan besonders am Herzen liegt?

Schudt: Es gibt immer so viel zu tun, aber im Moment bin ich sehr eingebunden in meiner nächsten Produktion, in der es um Hebammen geht. Die Geburt, die Geburtshilfe, die Geburtsmedizin hat mich schon immer sehr beschäftigt. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Menschheit und ihre Bindungs- und -Liebesfähigkeit ihren Ursprung in Schwangerschaft, Geburt und Mutterbindung hat. Ein ungeheuer wichtiges Thema und wie gesagt, eines, womit ich mich schon sehr intensiv beschäftigt habe.

teleschau: Wenn eine Frau alle Möglichkeiten hätte, was wäre Ihrer Meinung nach eine "Traumgeburt"?

Schudt: Wenn sie gesund, angstfrei und verbunden mit sich und dem Kind ist, dann würde ich immer sagen: Geh irgendwo hin, wo du dich sicher fühlst, bleib zu Hause, leg dir die Decke über den Kopf und bring dein Kind in aller Stille und Gemütlichkeit zur Welt. Jede Frau, die keine Schwierigkeiten hat, kann das. Ich will nicht sagen, dass das die einzige Möglichkeit ist, aber das ist eine Traumgeburt.

Anna Schudt (rechts), hier mit Friederike Linke auf dem Filmfest München, ist besonders durch ihre Rolle als "Tatort"-Kommissarin Martina Bönisch bekannt. (Bild: ZDF / Nadine Rupp)
Anna Schudt (rechts), hier mit Friederike Linke auf dem Filmfest München, ist besonders durch ihre Rolle als "Tatort"-Kommissarin Martina Bönisch bekannt. (Bild: ZDF / Nadine Rupp)

"Immer wieder ein Wunder"

teleschau: Was haben Sie für sich von den Hebammen gelernt?

Schudt: Ich hatte zwei Geburten zu Hause und eine im Krankenhaus - letztere unfreiwillig, weil ich in einer anderen Stadt war, da war es gar nicht anders möglich. Also kenne ich beide Situationen. Natürlich habe ich sehr, sehr viel von meinen Hebammen gelernt. Es wird einem vorher wenig davon beigebracht, was Geburt eigentlich ist und was sie für ein Vorgang sein kann, wie glückvoll, selbstbestimmt und einfach. Dass man das kann und vor nichts Angst haben muss, dass es kein Schmerz ist wie Zahnschmerzen, sondern ein produktiver, aktiver Prozess, der natürlich mit Schmerzen einhergeht. Aber wenn man das als Prozess sehen kann, dann ist der Schmerz vollkommen nebensächlich. Das Vertrauen in sich selber und in die Kraft dieser zwei Wesen, die miteinander arbeiten, dem Kind und der Mutter, sind entscheidend. All diese Dinge habe ich von den Hebammen gelernt. Heute werden Frauen eher zu Patientinnen gemacht als zu Göttinnen, dabei sind sie genau das: Sie müssen ein neues Leben in sich wachsen lassen, was ungeheuer toll und immer wieder ein Wunder ist.

teleschau: Haben Sie Ihre eine Klinikgeburt auch als positiv erlebt?

Schudt: Ich fand es sehr schade, dass es nicht zu Hause geklappt hat, das war so nicht geplant. Aber im Nachhinein bin ich sehr froh, übrigens auch für diese Serie, dass ich einmal mitbekommen habe, wie es im Krankenhaus ist. Ich hatte schon zwei Kinder alleine bekommen und wusste, wie es geht und konnte sagen, was ich will und was nicht. Dadurch war es trotzdem total schön.

Anna Schudt ist seit 2010 mit dem Schauspieler Moritz Führmann verheiratet. (Bild: 2021 Getty Images/Andreas Rentz)
Anna Schudt ist seit 2010 mit dem Schauspieler Moritz Führmann verheiratet. (Bild: 2021 Getty Images/Andreas Rentz)