ARD-Film zur Flugkatastrophe von Ramstein: 70 Tote - und nur einer war schuld?
Erst 34 Jahre nach Ramstein lief am Mittwochabend ein Spielfilm im Ersten, der die Flugtag-Katastrophe vom 28. August 1988 zum Thema hatte. Welche echten Personen nahm sich der Film zum Vorbild? Und brachte die anschließende Dokumentation neue Dinge ans Licht?
Am Sonntag, 28. August 1988, kamen im pfälzischen Ramstein 70 Menschen auf der gleichnamigen US Air Base während einer Flugschau ums Leben. Eine italienische Kunstflugstaffel war nur 50 Metern über den Zuschauern zusammengestoßen. Hunderte wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Dass der ARD-Film "Ramstein - Das durchstoßene Herz" wenig Raum für Helden bot, merkte man schnell. Mosaikhaft wurden Geschichten von Opfern, Hinterbliebenen, Augenzeugen und Helfern erzählt. Trystan Pütter und Elisa Schlott verkörperten zwei deutsche Ermittler, die versuchten, in Gesprächen mit Verantwortlichen Details und mögliche Fehler zu klären. Jan Krauter spielte einen Notarzt, der die Opfer behandelte.
Erzählt wurde zum Beispiel die Geschichte von Robert Müller (Max Hubacher), der seine Frau und zwei kleine Kinder bei der Flugschau verlor. Der Geburtstag des Sohnes sollte auf der Air Base gefeiert werden. Doch welche dieser Figuren gab es wirklich, und was brachte der anschließende Film "Ramstein - Die Doku" um 21.45 Uhr zutage?
Tatsächlich wurden 1988 in Ramstein viele Fehler gemacht. Nicht nur der Zuschauer-Abstand zu den Flugtricks war viel zu gering, auch die Rettungsmaßnahmen nach dem Unglück verliefen chaotisch und wenig koordiniert. Es gab schlichtweg keinen Präzedenzfall, kein Regelwerk, wie man bei einem Unglück mit unzähligen schwer Brandverletzten vorzugehen hatte. US Army, deutsche Behörden, Politik und Einsatzkräfte gaben sich lange schmallippig, wenn es um die eigene Schuld, das eigene Versagen in Ramstein ging. Dr. Klaus-Peter Wresch, der in der Doku zu Wort kommt, war der erste Notarzt vor Ort. Er dürfte das Vorbild für den im Film von Jan Krauter gespielten Notarzt sein. Wresch äußerte sich bereits am Tag nach dem Unglück kritisch zu den Rettungsmaßnahmen und bekam - wie der Arzt im Film - Besuch vom Innenminister mit der Bitte, seine Schilderungen noch mal zu überdenken.
"Das Mitgefühl - nicht das Mitleid - ist wichtig"
Falsch war, laut Wresch, auch das Handeln des US-Militärs, das darauf getrimmt war, Verletzte schnell einzuladen und aus dem "Kampfgeschehen" abzutransportieren. Dabei wäre bei schwer Brandverletzte eine schnelle Erstversorgung vor Ort entscheidend gewesen. "Das hat die Prognose für viele schlechter gemacht", sagt Wresch. Auch für Robert Müller (im Film gespielt von Max Hubacher), der bei der Flugschau Frau und Kinder verlor, gibt es ein reales Vorbild. Seine Figur ist vermutlich Roland Fuchs nachempfunden, der 1988 die Idee hatte, mit seiner jungen Familie (seine Frau und die fünfjährige Tochter) an jenem unheilvollen Tag den Ausflug nach Ramstein zu machen.
Roland Fuchs' Frau hatte nach dem Zusammenstoß der italienischen Flusgstaffel ein großes Trümmerteil abbekommen. "Ich habe sofort gewusst, die ist tot", erinnert er sich in der Doku, Die brennende Tochter hat er noch versucht an sich selbst und dem Boden abzulöschen, bis ihm jemand das Kind wegnahm. Es war das letzte Mal, dass er seine Tochter gesehen hat. Roland Fuchs unterhält eine eigene Internet-Seite, auf der er seine Gefühle aufgeschrieben hat. "Die Erstellung der Homepage war schon eine Art Therapie". Danach kamen Menschen auf ihn zu. "Das Mitgefühl, nicht das Mitleid, ist wichtig", sagt er.
130 Flugschau-Tote in 20 Jahren - schon vor Ramstein
Luftfahrt-Experte Erich Schmidt-Eenboon ist sich in der Doku sicher, dass man mehr Vorkehrungen in Ramstein hätte treffen müssen, denn schon vorher war es bei Flugschauen regelmäßig zu Unfällen gekommen: 1983 stürzt in Frankfurt ein Kampfjet auf das Auto einer fünfköpfigen Familie. Zwei Unglücke gab es allein 1988: im Mai bei der Internationalen Luft- und Raumfahrt-Ausstellung in Hannover und nur zwei Monate vor Ramstein im Elsaß in Frankreich. In den 20 Jahren vor Ramstein wurden bei Flugschauen über 130 Menschen getötet und mehr als 400 verletzt, heißt es in "Ramstein - Die Doku".
Die Dokumentation begleitet auch Christopher Söhnlein, damals 25 und frisch ausgebildeter Krankenpfleger, der bis heute traumatisiert ist. Der Grund: Seine Patienten, angeblich mit guter Prognose eingeliefert, starben. Die Amerikaner lobten indes in einer Pressekonferenz bereits einen Tag nach der Katastrophe den Einsatz und die gute Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden. Trotzdem befasste sich ein deutscher parlamentarischer Untersuchungsausschuss mehr als ein Jahr lang mit der Flugtag-Katastrophe.
"Theoretisch dient ein Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag der Wahrheitsfindung", sagt auch Luftfahrt-Experte Erich Schmidt-Eenboon, der damals in diesem Ausschuss saß. "Die Wirklichkeit sieht etwas anders aus. Es ist natürlich in erster Linie ein politisches Schlachtfeld. Die Opposition versucht der Regierung oder den verantwortlichen Ministern etwas am Zeug zu flicken, und die wollen deutlich machen, dass sie völlig unschuldig sind."
"Deutlicher Mangel an Empathie für die Opfer"
Schon damals gab es verbindliche Auflagen für solche Events, darunter ein Mindestabstand. "Der Mindestabstand wurde schlichtweg ignoriert wegen des spektakulären Eindrucks, der erweckt werden sollte", sagt Schmidt-Eenboon. Die US-Air Force ist schuld, sagt er, aber die streitet das bis heute ab. "Im Untersuchungsausschuss gab es einen deutlichen Mangel an Empathie für die Opfer", findet Schmidt-Eenboom beim Betrachten der Katastrophenbilder von damals klare Worte. Die Schuld wurde damals komplett auf den italienischen Unglücks-Piloten geschoben. Doch auch dessen Kollegen, die US-Organisatoren und blauäugige deutsche Behörden, die sich nicht einmischen wollten in die Belange der Amerikaner, tragen Verantwortung, heißt es im Film.
Auch CDU-Politiker Rupert Scholz, heute 85 Jahre alt und damals Verteidigungsminister, tritt in der Doku auf. "Ich war nicht verantwortlich und nicht zuständig", sagt er. "Ein deutscher Politiker konnte sich auch nicht hinstellen und die Amerikaner öffentlich kritisieren. Die Amerikaner haben nach ihren Regeln gehandelt, haben aus ihrem eigenen Recht heraus gehandelt. Man konnte nur dazu auffordern, genau zu untersuchen, welche Fehler gemacht wurden." Rupert Scholz verliert seinen Posten ein Jahr später - auch wegen seines Umgangs mit der Aufarbeitung von Ramstein.
Am Ende schließt die Doku versöhnlich. Nicht nur, weil - wie im Film - die gegenseitige Hilfe der Opfer und Hinterbliebenen ein wichtiger Teil der Erzählung ist. Was positiv hinzukommt: Heute gibt es viele professionelle Hilfsangebote für Opfer, Helfer und Hinterbliebene von Katastrophen. Ramstein hat dazu den Anstoß gegeben.