ARD-Reportage: Die Merkeljahre sind vorbei

Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz oder Jens Spahn: Wer macht das Rennen um den CDU-Vorsitz? Foto: Screenshot/ARD
Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz oder Jens Spahn: Wer macht das Rennen um den CDU-Vorsitz? Foto: Screenshot/ARD

Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn und Friedrich Merz – einer von ihnen übernimmt den CDU-Vorsitz am 7. Dezember. Für alle Delegierten, die sich noch nicht entschieden haben, kommt der Film von Stephan Lamby, Nils Casjens, Maik Gizinski und Frank Zintner gerade recht. Denn dieser porträtiert die drei Kandidaten in Interviews und Archivaufnahmen, wirft er ein Schlaglicht auf die Kontrahenten. Der Machtkampf – wer folgt auf Merkel?

Das Beben beginnt vor der Wahl in Hessen. Eine Erschütterung der Macht sozusagen. Erst nicht öffentlich und doch haben es viele im Gespür: Angela Merkel knüpft ihre politische Zukunft an diese Landtagswahl. Und obwohl Schwarz-Grün knapp die Regierungsmehrheit behält, verliert die CDU massiv Stimmen und Zustimmung. Deshalb kündigt die Kanzlerin wenige Tage später in einer Präsidiumssitzung an, nicht mehr für die Wahl zum Parteivorsitz zur Verfügung zu stehen. “Das war eine Riesenüberraschung”, sagt Annegret Kramp-Karrenbauer. “Ich bin selten sprachlos, da war ich es.”

“Man hat ja so ein Bauchgefühl, das hatte ich bei der Wahl. Mir war klar, dass es Konsequenzen geben muss. Ich war darauf eingestellt: Wenn du springen willst, dann jetzt”, sagt Friedrich Merz. Und meint damit seine Kandidatur für den Parteivorsitz. Es ist seine Rückkehr auf die politische Bühne.

Noch während der Präsidiumssitzung bekommen die Medien irgendwie Wind vom Merkel-Rücktritt, nur 29 Minuten später gibt Friedrich Merz seine Kandidatur bekannt. “Es ging für mich alles so überraschend schnell, aber dann war auch für mich klar, dass ich meinen Hut in den Ring werfe”, sagt Jens Spahn. Wer also wird künftig das Sagen haben in der CDU?

Die Merkel-Vertraute

Annegret Kramp-Karrenbauer gilt als die Wunschkandidatin Merkels. Das ist wichtig, weil Merkel weiterhin Kanzlerin sein will, bis zum Ende der Legislatur. Eine kooperative Partnerschaft, das soll es in ihren Augen sein. Mit AKK, wie sie genannt wird, ist das möglich.

Ein kurzer Blick in ihre Vergangenheit: Bereits 1998 wird sie in die Bundespolitik berufen, damals noch nach Bonn. 2000 der nächste Schritt auf der Karriereleiter, AKK wird Innenministerin im Saarland. 2011 folgt der Landesvorsitz der CDU, schließlich wird sie Ministerpräsidentin. Es folgt ein Paukenschlag. AKK lässt die “Jamaika”-Regierung im Saarland platzen. Wegen “Dauerstress mit der FDP”. Das setzt sie gegen den Wunsch und Rat von Merkel durch. AKK sagt: “Sie war not amused, dafür sehr lautstark und sauer am Telefon, weil sie das in dem Moment nicht nachvollziehen konnte.”

Aber: AKK bleibt dank der SPD eine stolze Zeit Ministerpräsidentin, bis Anfang 2018. Der nächste Schritt, sie wird Generalsekretärin in Berlin. Und geht zunächst auf “Zuhör-Tour” durchs Land, sie will die Parteibasis kennenlernen und knüpft ihr Netzwerk. Irgendwann würde sie die Kontakte brauchen. Damals sagt sie: “Sollte die Frage nach dem Parteivorsitz kommen, dann ist mir klar: Das ist eine Möglichkeit.” Aber Merkels Rückzug kommt früh, die Frage ist, konnte sich Annegret Kramp-Karrenbauer auf Bundesebene genug profilieren?

Der Anti-Merkel

Friedrich Merz macht sich in jungen Jahren einen Namen im Europaparlament. Mit seiner “nassforschen” Art bringt er komplexe Wirtschaftsthemen auf die Agenda. Das reicht für den Fraktionsvorsitz.

Schon 2000 spricht er von der deutschen “Leitkultur”, die Ausländer übernehmen sollten. Ihm wird eine große Karriere bescheinigt, denn er vereint Macht und Ansehen. Dann, 2002, ein Donnerwetter: Statt Merz nimmt Angela Merkel auf dem CDU-Vorsitz Platz. Jens Spahn erinnert sich an den Tag: “Das war eine lehrreiche Sitzung für mich, die gezeigt hat, wie schnell es in der Politik gehen kann. Am Anfang hatte er Amt des Fraktionsvorsitzenden mit Blick auf den Parteivorsitz, am Ende saß er neben mir auf der Bank.”

In der Folge verlässt Merz die Politik, beginnt eine neue Karriere als Wirtschaftsanwalt. Er ist erfolgreich in der globalen Finanzindustrie. Seit 2016 ist er Aufsichtsratschef im deutschen Ableger von BlackRock, dem finanzstärksten Vermögensverwalter weltweit. BlackRock steht unter Verdacht, sich mit Cum-Ex-Steuertricks Unsummen erschlichen zu haben. “Ich werde gezielt und bewusst durch falsche Aussagen und falsche Assoziationen in die Nähe solcher Geschäfte gerückt, die ich immer abgelehnt habe und mit denen ich nie zu tun hatte”, sagt Merz dazu.

Ähnliches bei der HSBC-Bank, für die Merz schon länger als Aufseher tätig ist. Sie steht ebenfalls im Verdacht, Cum-Ex-Geschäfte abgewickelt zu haben. “Ich bin 2005 eingetreten. Bereits 2000 gab es Anweisungen an die Mitarbeiter, dass es solche Geschäfte im Haus nicht gibt”, sagt er.

Merz ist erfolgreich, manche sagen, dadurch auch vorbelastet und befangen. Kann er der CDU wieder zu altem Glanz verhelfen? Und hat er die Schmach der Niederlage gegen Merkel verwunden? Er hat das Zeug dazu, er selbst traut sich “40 Prozent bei der nächsten Bundestagswahl” zu. Und die AfD wolle er halbieren.

Der Merkel-Kritiker

Er ist noch jung, mit 22 zieht Jens Spahn in den Bundestag ein. Per Direktmandant aus Nordrhein-Westfalen. Und schon früh schielt er nach ganz oben. Doch er robbt sich langsam an die Macht heran, er lernt den Machterwerb kennen. Bei der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften positioniert er sich erstmals gegen Merkel. Zwar scheitert sein Antrag anfangs, aber dann “gewinnt” er später die “Ehe für alle” – gegen seine eigene Partei. Und gegen Merkel. Er sagt: “Dass ein Schwuler, der mit einem Mann verheiratet ist, für den Vorsitz kandidiert, wäre vor 15 Jahren in der CDU undenkbar gewesen. Aber das ist gut, das hat die Partei sich erarbeitet.”

Daraufhin holt ihn Wolfgang Schäuble als Staatssekretär in sein Finanzministerium: “Ich habe viel von ihm gelernt. Wir haben ein vertrauensvolles Verhältnis”, sagt Spahn. Im Sommer 2015 befindet sich Schäuble im Zentrum eines Sturms. Er versucht, eine Auszeit Griechenlands von der EU durchzuboxen, an seiner Seite: Jens Spahn. “Ich habe den Minister immer unterstützt. Klar wäre es spannend gewesen, wenn es eine Auszeit gegeben hätte.” Die Finanzminister der EU hatten es beschlossen, die Regierungschef wiesen es ab.

Später: Spahn positioniert sich eher spontan gegen Merkel beim Thema doppelte Staatsbürgerschaft. Und er merkt: Streit mit Merkel schadet ihm nicht, es nutzt ihm sogar. Es nutzt ihm soweit, dass ihn Merkel zum Gesundheitsminister macht, so viel Rückhalt hat er mittlerweile in der Partei. Jetzt will er nach ganz oben.

Nichts Neues

Viel Neues bringt die Reportage nicht. Eher handelt es sich um drei etwas zu lang geratene Bewerbungsvideos. Denn eine journalistische Einordnung der Kandidaten erfolgt kaum, stattdessen werden sie stets mit kryptischen Fragen an- und abmoderiert. “Ist es seine Chance?” – “Oder ihr Risiko?” – “Kommt die Chance zu früh?”

Auch könnte sich die ARD die Frage gefallen lassen, ob es denn, nach all den Politiktalkshows der letzten Wochen, in denen sich die drei Kandidaten schon in zähen bis endlosen Debatten vorstellen durften, noch nötig ist, weitere Sendezeit für sie und die CDU einzuräumen. Natürlich kann die Wahl richtungsweisend sein, für eine zukünftige Kanzlerschaft. Aber auch dann gibt es ja noch viele weitere Sendestunden. Bis dahin: Kümmert euch doch mal wieder um die anderen.