Mit Beinprothese zurück ans Steuer
Nordhausen (dpa) - Kupplung kommen lassen, leicht Gas geben - losfahren. Der 47-jährige René Bennert kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, als der Wagen, in dem er sitzt, geschmeidig losrollt: «Ist das geil! Ich hätte nicht gedacht, dass das so gut funktioniert.»
Der Grund der Freude: Bennert fährt neun Monate nach einem folgenschweren Motorradunfall gerade das erste Mal mit seiner Beinprothese ein Auto mit Schaltgetriebe. Und der erste Test macht ihm Hoffnung, dass das auch künftig möglich ist.
Bennert ist einer von acht Menschen, die sich an diesem Vormittag in einem Verkehrsschulungszentrum im thüringischen Nordhausen einfinden. Sie eint, dass sie durch eine Krankheit oder einen Unfall nun mit einer Beinprothese leben. Ob Ober- oder Unterschenkel, links oder rechts - die Fälle sind ganz unterschiedlich. Und damit auch die Folgen für das Autofahren. Wer links amputiert ist, kann oft problemlos Automatik fahren. Wer rechts eine Prothese trägt, braucht dafür meist eine Umrüstung.
In der Regel werde schon in der Reha-Klinik begutachtet, welche Hilfsmittel benötigt werden, oder ob Dinge wie der Betrieb eines Anhängers ausgeschlossen werden, erklärt Gert Schleichert, der als Referent für den Autoclub ACE vor Ort ist und sich auch für die Berufsgenossenschaften seit Jahren mit dem Thema beschäftigt.
Am Ende des zweitägigen Fahrsicherheitstrainings, organisiert von einem Prothesenhersteller aus Duderstadt in Niedersachsen, soll jeder ein Zertifikat von einem Sachverständigen bekommen. Und mehr Durchblick im Behördendschungel.
Kampf zurück in die Normalität
Durch diesen Dschungel muss sich René Bennert aktuell schlagen. «Ich kämpfe gerade mit den Behörden wegen meiner Fahrerlaubnis, was eingetragen werden muss. Was darf man noch fahren, was darf man nicht fahren?» Bei ihm sei etwa unklar, ob er wieder Lkw fahren dürfe.
Früher war der Darmstädter beim Kampfmittelräumdienst und unter anderem an der Entschärfung einer Bombe beteiligt, die 2017 in Frankfurt zur bis dato größten Evakuierung der Nachkriegsgeschichte geführt hatte. Bennert war damals ein gefragter Interviewpartner. Seit dem Motorradunfall im Juni 2023 fehlt ihm der linke Unterschenkel - und Bennert muss sich zurück in die Normalität kämpfen.
Andere Teilnehmer leben hingegen schon seit Jahrzehnten mit einer Prothese und ärgern sich über Einschränkungen, die sie seit jeher im Führerschein stehen haben. So berichten einige vom für sie unverständlichen Verbot, einen Anhänger zu fahren - andere haben diese Einschränkung nach eigenen Angaben nicht. Manche wünschen sich, im Urlaub auch einmal ein Auto ausleihen zu können, das nicht technisch umgerüstet sein muss. Und wieder andere möchten zur Sicherheit ein Zertifikat dabeihaben, falls bei einer Kontrolle oder einem Unfall doch einmal die Frage nach der Fahrtauglichkeit auftaucht.
Regelungen regional sehr unterschiedlich
Eine einheitliche Regelung zum Autofahren mit Prothese gibt es nicht: «Es ist vieles geregelt, aber die Bundesländer untereinander regeln viele Dinge auch sehr unterschiedlich», sagt ACE-Referent Gert Schleichert. Das sei eine Herausforderung. Es sei auch ein großer Unterschied, wie die persönliche Fitness der Betroffenen aussehe. Teils unterscheiden sich die Auflagen auch von Führerscheinstelle zu Führerscheinstelle, wie Teilnehmer erzählen.
Ziel der Pilot-Veranstaltung sei auch, den Teilnehmern Wege aufzuzeigen, wie sie im Führerschein eingetragene Einschränkungen - sogenannte Schlüsselzahlen - wieder loswerden können, erklärt Schleichert. So habe sich etwa die Qualität der Prothesen verbessert. Was vor 35 Jahren noch ausgeschlossen wurde, könne heute ganz anders eingeschätzt werden.
Die Veranstaltung könne da nur ein Anfang sein, das Zertifikat am Ende führe nicht direkt zu einer Aufhebung der Beschränkungen, sagt Schleichdert. «Man schaut dann gemeinsam, was noch notwendig ist.» Für die Teilnehmer gebe es aber neben dem Zertifikat auch «eine Sicherheit, dass auch mal jemand Neutrales drübergeschaut hat».
Diese Sicherheit wünscht sich etwa Cornelia Hellmuth aus Seebach nahe Eisenach. «Ich bin sehr angespannt und neugierig, wie die Geschichte ausgeht, wenn man jetzt einen Schalter wieder fährt mit einer Prothese», sagt sie. Bei einem Motorradunfall vor etwa drei Jahren habe sie ihr komplettes linkes Bein verloren. Seither dürfe sie nur Automatik fahren, wünsche sich aber ein Schaltgetriebe zurück - «weil es ist ja doch ein Unterschied, ob man eine Gewalt darüber hat oder nicht», so die 57-Jährige. «Autofahren ist einfach Freiheit.»
Sachverständiger: Automatik mit links fahren eher nicht möglich
Einige Anliegen, das wird bei dem Termin auch klar, sind aber wohl auch nicht so einfach umsetzbar. So macht ein Sachverständiger von Dekra etwa Hoffnungen zunichte, man könne mit einer Prothese am rechten Bein eine Ausnahmegenehmigung bekommen, um über Kreuz - sprich mit links - ein Automatikauto zu fahren. «Da geht es um Reaktionszeit - und die eine Schrecksekunde könnte dann eben länger ausfallen.» Generell müsse man jeden Fall aber einzeln betrachten. Ob jemand etwa wieder Anhänger fahren könne, könne man über ein Gutachten bestätigen, das die Betroffenen dann bei einer Behörde einreichen können.
Auch René Bennert hofft nach dem Fahrsicherheitstraining auf einen Weg, um künftig problemfrei mit dem Auto mobil zu sein. «Wir wohnen relativ auf dem Land in der Nähe von Darmstadt. Und wir würden da gar nicht wegkommen.» Er gibt noch mal richtig Gas, die Tachonadel springt von 40 auf 50 auf 60 - plötzlich ertönt ein «Jetzt» und Bennert tritt voll auf die Bremse. Das Auto ruckelt, quietscht, bleibt stehen, die Warnblinker gehen an. Anerkennende Worte vom Fahrlehrer auf dem Nebensitz. «Du hast richtig schnell umgesetzt. Das Auto erkennt: Der René, der macht nicht nur Pillepalle, der macht richtig Ernst.»