Blaupause eines neuen Frauentyps: 30 Jahre Lena Odenthal

Im Oktober 1989 lief erstmals ein Krimi aus Ludwigshafen mit Ulrike Folkerts. Nun feiert Deutschlands dienstälteste "Tatort"-Ermittlerin ihr "30-jähriges" Jubiläum. Über eine Krimifigur, die der deutschen TV-Fiction eine neue Prägung gab.

Der Kommissar als einsamer Wolf und "lonesome Cowboy" - lange prägten die wahlweise wortkargen und rüpelhaften Machos à la Schimanski (Götz George) oder distinguiertere Anzugträger der Marke Haferkamp (Hansjörg Felmy) das Bild des deutschen Fernsehkommissars. Starke Frauen? Da war nicht viel, abgesehen vielleicht von der ersten Kommissarin der "Tatort"-Reihe, Marianne Buchmüller von der Kripo Mainz (gespielt von Nicole Heesters), und der Baden-Badener Kommissarin Hanne Wiegand (Karin Anselm), die als Powerfrauen in den späten 70-ern und frühen 80er-Jahren auf beinahe exotische Weise aus dem Rahmen fielen. Allenfalls deuteten sie an, wohin die Entwicklung eines Tages vielleicht mal gehen könnte - im Krimi und in der Gesellschaft. Im Grunde war der gute deutsche Fernsehkrimi ja seit jeher ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen, und folglich blieb das ARD-Premiumprodukt "Tatort" entsprechend lange eine Männerdomäne. Bis Ulrike Folkerts die "Tatort"-Bildfläche betrat und mit Nachdruck etwas an den Verhältnissen änderte.

Vor allem: Sie war gekommen, um zu bleiben. Seit nun genau drei Jahrzehnten gibt die aus Kassel stammende Schauspielerin der Ermittlerin Lena Odenthal im Ludwigshafener "Tatort" ein Gesicht: eine moderne, selbstbewusste, extrem sportive Kommissarin, die kantig und auch mal streitbar ist und ihre Entscheidungen vollkommen autark trifft - privat wie beruflich. Ende der 1980er-Jahre eingeführt als in Deutschland nahezu revolutionäre Frauenfigur wandelte sich die Rolle der Pfälzer Kommissarin im Laufe der Zeit. Geblieben ist eine starke Rolle, die zur eigenen Marke avancierte - und eine charismatische Schauspielerin, die Klartext spricht und als Wegbereiterin für die heutige Generation weiblicher TV-Krimi-Protagonisten gelten darf.

Am 29. Oktober 1989, kurz vor dem Fall der Mauer, zeigte das Erste die Episode "Die Neue" des Ludwigshafener "Tatorts". Mit dabei erstmals das frische, burschikose Gesicht von Lena Odenthal. Angesichts der überschaubar kreativen Titelgebung, wird den wenigsten Zuschauern bewusst gewesen sein, dass es sich hierbei um den Beginn einer TV-Ära handelte.

Von diesem Tag an prägte die damals frisch vom Theater Oldenburg verpflichtete Ulrike Folkerts die "Tatort"-Landschaft mit und legte den Grundstein für später folgende, starke Frauenrollen im Traditionsformat. Anfang der 90-er wurde eine konfliktstarke Kommissarin mit Kurzhaarschnitt und Lederjacke, verwickelt in Verfolgungsjagden und Schießereien, von den deutschen TV-Zuschauern noch größtenteils argwöhnisch betrachtet. Allerdings formierte sich parallel schnell eine kleine Fangemeinde, die am forschen Auftritt der jungen Lena Odenthal Gefallen fand.

"Im Prinzip ist nichts über Lena Odenthal bekannt"

Was anfangs beinahe exotisch wirkte, wurde irgendwann Normalität. Dem ersten SWR-"Tatort" sollten bisher 69 weitere mit Ulrike Folkerts alias Lena Odenthal folgen, einige davon wurden aus unterschiedlichen Gründen kontrovers diskutiert. So stieß die Folge "Tod im Häcksler" aus dem Jahr 1991 auf einen Sturm der Entrüstung bei der Pfälzer Landbevölkerung und sorgte für einen handfesten Skandal. Die Hetzjagd der provinziellen Dorfbewohner weckte schlimme Assoziationen an die rassistischen Pogrome Anfang der 90er-Jahre, wie sie sich unter anderem in Rostock-Lichtenhagen ereigneten. Die Jubiläumsfolge "Die Pfalz von oben", die am kommenden Sonntag, 17. November, ausgestrahlt wird, soll die Landbevölkerung mit der "Tatort"-Reihe versöhnen, wenn Lena Odenthal für einen neuen Fall ins Dörfchen Zarten zurückkehrt.

Ulrike Folkerts, die nicht immer mit den Drehbüchern zufrieden war und dies auch kundtat, bezeichnet die Episoden aus dem Jahr 2008, welche die heiklen Themen Ehrenmord und Sterbehilfe behandelten, als bedeutendste Odenthal-"Tatorte". "Es waren Filme, die viele Diskussionen auslösten und die in meinen Augen wichtig waren", erklärt die 58-Jährige. Diskussionen löste in jener Zeit auch das Bekenntnis zu ihrer Homosexualität aus, mit dem die prominente Schauspielerin vielen Frauen und Männern Mut machte, sich ebenfalls zu outen. Bekannt für ihre klaren Worte, nimmt sie auch die TV-Branche in die Pflicht, Akzeptanz nicht nur zu propagieren, sondern zu leben. "In der Branche outet sich niemand, weil die Leute Angst haben, dass sie dann nicht mehr besetzt werden", klagt die Schauspielerin im Interview mit goldenekamera.de an.

Über ihr Verhältnis zur allseits bekannten Kommissarinnenrolle sagte Ulrike Folkerts einst der Agentur teleschau: "Lena Odenthal arbeitet wahnsinnig viel und ist extrem einsam. Das trifft auf Ulrike Folkerts nicht zu. Ich liebe meinen Job, aber ich liebe auch mein Privatleben, bin gerne unter Menschen, mit Freunden zusammen." Lena Odenthal stehe in ihren Augen "für Authentizität", so Folkerts: "Sie zeichnet offenbar eine sehr beeindruckende Verbindlichkeit aus - mit der Konsequenz, dass alle glauben, ich sei genauso stark im Kommunizieren meiner Meinung wie sie. Wenn es sich dabei um soziale Engagements handelt, habe ich damit auch kein Problem. In dieser Hinsicht bin ich der Figur wirklich nahe", erklärte die Schauspielerin damals.

Vielleicht steckt also doch ein bisschen mehr Lena Odenthal in der gebürtigen Kasselerin als sie sich selbst eingesteht. Schließlich vertreten beide Frauen selbstbewusst ihre Interessen und lassen sich von äußeren Umständen nicht beeindrucken. Allerdings hat sich die Rolle der Ermittlerin durchaus gewandelt. Aus der unternehmungslustigen jungen Polizistin wurde zunehmend eine vom Job nahezu komplett vereinnahmte Hauptkommissarin, die spürbar mehr Verantwortung trug. Eine Konstante waren neben dem ehemaligen Weggefährten Mario Kopper (Andreas Hoppe) die schwarzen Katzen mit wechselnden Namen. Ist die Geschichte der Figur nach so vielen Episoden auserzählt?

Mitnichten, meint die Schauspielerin, die längst ihren Frieden mit Büchern und Rollenprofil gemacht hat. "Im Prinzip ist nichts über Lena Odenthal bekannt. Außer das, was die Zuschauer in den letzten 30 Jahren gesehen haben", so Folkerts aktuell gegenüber der Agentur teleschau. Auch wenn das in den letzten 30 Jahren natürlich schon eine Menge Leben war, impliziert ihre Aussage, dass die Charakterentwicklung ihrer Figur noch lange nicht abgeschlossen ist. Die jüngsten Wendungen hatten etwas von Neustart: Nach überwundenem Burnout kämpfte die Powerfrau Odenthal zuletzt um Kraftreserven und ihren Platz in Leben und Job. Dass sie selbst nach all den Jahren immer noch Gefallen an der Rolle ihres Lebens findet, machte Folkerts unlängst gegenüber goldenekamera.de deutlich: "Ich kenne die nächsten Stoffe und bin schwer begeistert. Die nächsten Jahre ist fest mit mir zu rechnen."