Die Unperson des Jahres


Gilt als nicht unumstritten: Altbundeskanzler Gerhard Schröder. (Bild: dpa)<br><br>
Gilt als nicht unumstritten: Altbundeskanzler Gerhard Schröder. (Bild: dpa)

Er hat das Zeug zum Helden – und fällt daher umso tiefer. Gerhard Schröder war ein mutiger Kanzler. Heute verspielt er sein Ansehen für Geld.

von Jan Rübel

Man könnte Gerhard Schröder auch als geradlinig ansehen. Um Moral und Werte scherte er sich nie besonders. Das Apostelgewand fehlte stets in seinem Kleiderschrank, das unterschied ihn auch wohltuend von so manchen Politikern, die damit ihren Ehrgeiz und Machteifer ummanteln. Er trat auf als Macher, hemdsärmelig und ehrlich. Aber der Kanzler der Jahre 1998 bis 2005 überzieht gerade. Das macht seinen Fall tragisch und ihn zur Enttäuschung des Jahres.

Deutschland steht vor ungewissen Zeiten. Die Wirtschaft flaut, Grundsatzentscheidungen stehen an: Soll der Staat unbedingt Schulden vermeiden? Wie stark sind die Gefahren durch Klimawandel und Fracking, ist die Energiewende auf dem richtigen Gleis? Die Bundesregierung schweigt dazu, sie verwaltet und erscheint orientierungslos. Sie verwaltet auch Schröders Erbe, dessen Stimme man heute vermisst.

Er hätte ja etwas zu sagen

Als Kanzler setzte er die Hartz-Reformen am Arbeitsmarkt durch, die Rente ab 67 kriegte mit ihm Fahrt. Man kann über seine damalige Politik streiten, aber fest steht, dass er das Land gut aufstellte. Ohne die Arbeit der rotgrünen Koalition hätte Angela Merkel als Schröders Nachfolgerin nicht solch einen guten Start hingelegt, hätte Deutschland die Finanz- und Wirtschaftskrisen der Folgejahre nicht so gut überstanden. Schröder hätte also etwas zu sagen, könnte Debatten anstoßen als Autorität; aber er schweigt. Damit lässt er das Land allein.

Er hätte vielleicht auch etwas sagen müssen. In Zeiten, in denen Regierungen Angst kriegen vor seinem Freund Wladimir Putin, könnte er Brücken bauen. Er könnte dem Westen die Sichtweisen des russischen Präsidenten näher bringen, sie erläutern – aber Schröder schweigt angesichts der Eskalation in der Ostukraine. Dabei weiß er doch, dass jeder Konflikt ein gehöriges Maß an Missverständnissen in sich birgt; dass Putin gerade von manchen Seiten als böser geschildert wird, als er ist. Aber außer inhaltsleeren Sätzen wie der Warnung vor Sanktionen und dem Abebben des Dialogs ist von Schröder nichts zu hören.

Helmut Schmidt ist ein anderer Altkanzler. Der meldet sich hin und wieder zu Wort, und man hört ihm zu. Wenn Helmut Kohl sich zu Europa äußert, horcht das Land auf. Und Schröder?

Der letzte Kanzler aus den Reihen der SPD versteift sich aufs Geldverdienen. Da ist sein Engagement für Unternehmen im Dunstkreis des russischen Kremls, und da sind Rechte an seinen Memoiren, die er womöglich noch als Kanzler an einen Freund verkaufte. Alles legal, aber: Dieser Freund ist reich, und er wurde durch die Politik Schröders noch reicher. Für die Rechte zahlte dieser Anlageberaterkönig zwei Millionen Euro, erhielt aber vom Verlag nur eine Million Euro zurück. Ein kalkuliertes Verlustgeschäft? Wofür?

Schlägt Schröders Herz noch für die Gesellschaft?

Zugegeben, ein Kanzler ist nicht gerade Schwerstverdiener, Sparkassendirektoren in mittelgroßen Städten haben dickere Taschen. Aber nagt Schröder derart am Hungertuch, dass er alles aus seiner politischen Laufbahn zu versilbern versucht? Warum ist ihm sein Ansehen, seine Autorität, wurst? Man bräuchte ihn heute umso nötiger. Und könnte sich Merkel als Altkanzlerin nicht vorstellen, indem sie für Pipelines lobbyiert und dubiose Berater- und Autorenverträge abschließt. Das bricht so manchem Sozialdemokraten das Herz. Als Wahlkämpfer fällt Schröder auch gerade aus. Das erscheint kurzsichtig: Derart wertelos und unengagiert für die Gesellschaft unterwegs, sinkt auch sein Marktwert als Redner und Lobbyist. Wer will ihm bald noch zuhören? Bald ist er uns wurst.