Auf Einkaufstour im Namen des Bösen

Ein Dschihadist kaufte in Deutschland für den IS ein (thinkstock)
Ein Dschihadist kaufte in Deutschland für den IS ein (thinkstock)

Eine Analyse von Jan Rübel

Die 81 Seiten der Anklageschrift lesen sich wie ein Krimi. Manchmal fröstelt einem – wegen der Taten. Und manchmal weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll ob des so genannten Bösewichts in dieser Geschichte: Morgen beginnt in Stuttgart der Prozess gegen Ismail Issa, einen 24-jährigen arabischen Schwaben. Issa war bei der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Sein Fall gibt tiefe Einsicht in den IS – und wie der Weg zum Dschihad aussieht.

Als die Fahnder Issa im November 2013 festnehmen, hat er im Gepäck vier Sport-Armbanduhren von Aldi, Armeehosen und ein Nachtsichtgerät. In seinem Kalender finden Polizisten eine Einkaufsliste mit Männernamen: Die Kleidergrößen, dann einzelne Angaben zu Süßigkeiten oder Rezepten. Ein Fieberthermometer, ein Blutdruckmessgerät, Dutzende Skalpelle und Arzneien standen auch im Notizbuch. Es ist die Shoppingliste eines Terroristen für seine kämpfenden Kollegen vom IS in Syrien. Der Winter naht. In Syrien liegt mittlerweile nicht jeder Supermarkt um die Ecke. Da schickte man Issa los.

Wer ist dieser junge Mann? Er erzählt es. Im August 2014, in Untersuchungshaft, einen ganzen Tag lang gegenüber der Polizei. Auf Fotos schaut er liebenswürdig, ein wenig weich und verletzlich. Issa wächst mit vier Geschwistern in Baden-Württemberg auf, die libanesischstämmige Familie wird von der Mutter zusammengehalten, der Vater ist kaum existent, stirbt 2000 im Libanon. Mit 17 bricht Issa die Schule ab, versucht sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Verliebt sich, zieht mit seiner Freundin nach Schweden, auch dort jobbt er. Sie wird schwanger, verliert das Kind, die Beziehung zerbricht. Zurück bei der Mutter in Baden-Württemberg, gerät er ins Straucheln. Versucht zwar einen Schulabschluss, fängt aber an mit Drogen, auch harten. Halt gibt ihm der Besuch einer Moschee. Dort wird er religiös. Trifft auf Leute, die einen sehr engen und strengen Islam lehren;  davon gibt es nur wenige in Deutschland, vielleicht ist es auch Pech, dass Issa gerade an sie gerät: Aber er ist in einer Zwischenphase seines Lebens angelangt, er sucht Orientierung und Sinn – und beides bietet man ihm im Schnellkursus an. Issa radikalisiert sich.

Irgendwann will er nur noch kämpfen

Dies ist einer der vielen Wege zum Dschihad. Der Fall Issa steht für junge Männer, die nicht auf der Gewinnerstraße der Gesellschaft stehen. Die mit den Strukturen, den Aufgaben und Verpflichtungen fremdeln. Die man leicht – aber ungerecht – als Loser abstempelt. Aber dies ist nicht beispielhaft für alle Dschihadis. Es gibt auch welche, die erfolgreich in Schule und Arbeit sind, die anerkannt und beliebt sind. Der Fall Issa ist auch ein Appell, es sich mit der Erklärung, warum junge Leute den Weg der Engstirnigkeit, Ignoranz und Gewalt gehen, nicht allzu leicht zu machen.

Ende 2012 dann will er kämpfen. Das findet er folgerichtig, er will nach Syrien. Nimmt im August 2013 schließlich einen Flieger in die Türkei, begibt sich über Mittelsmänner an die Grenze zu Syrien. Dort checken die IS-Leute über Wochen hinweg, ob er nicht ein Spion ist. Dann darf er rüber, kommt für einen Monat in ein Ausbildungslager. Schließlich geht es an die Front, zu Häuserkämpfen in den Vorstädten von Aleppo, gemeinsam mit einer Truppe, die vornehmlich aus Nicht-Syrern gehört – die aber den Syrern das Leben zur Hölle macht. Auch in einer deutschen Einheit, der von einem Konvertiten aus Mönchengladbach geleitet wird, soll er an Checkpoints stehen. In Chats gen Heimat tönt er, bald mache er sich wieder an die Arbeit, „dreckige Kuffar zu demolieren“. Kuffar, das sind in der islamischen Theologie „Ungläubige“. In Syrien sind das gerade Syrer, die sich gegen Gäste wie Issa zu wehren haben.

Die neue Mission: Shopping

Doch der heißspornige Kämpfer wird an der Hand verletzt, eine Waffe zu bedienen fällt ihm schwer. Da fällt dem Kommandeur seiner IS-Einheit eine andere Verwendung ein. Und diktiert ihm die Einkaufsliste mit den Uhren, den Süßigkeiten und den Arzneien.

Im Oktober 2013 reist Issa wieder nach Deutschland. Und die Geschichte schließt sich, Issa wird erwischt – die Sicherheitsbehörden hatten ihn seit einiger Zeit auf dem Kieker. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft erstrecken sich über Mitgliedschaft und Arbeit für eine Terrororganisation in vielen Details. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Doch für die Sicherheitsbehörden ist damit die Geschichte noch lange nicht zu Ende. Seit die Kämpfe in Syrien 2011 begannen, haben 450 Menschen Deutschland verlassen, um in Syrien für die Steinzeit-Fundamentalisten zu kämpfen. 130 von ihnen sind zurückgekehrt, 25 verfügen über Kampferfahrung. Issa war einer. Ihm werden andere folgen, und einige werden nicht zum Shoppen nach Deutschland zurückkehren, sondern zum Schocken. Auch darauf muss sich Deutschland wappnen, vor allem mental: dass hier mal ein Anschlag passiert.