Gruselgeschichten aus unserer Republik

Der BND wollte einfach alles wissen. (Bild: dpa)
Der BND wollte einfach alles wissen. (Bild: dpa)


Der BND spitzelte vor Jahrzehnten den Springer-Verlag aus – gegen das Gesetz. Er agierte wie heute die NSA: Man wollte einfach alles wissen. Bleibt die bange Frage: Ist es jetzt anders?

Eine Analyse von Jan Rübel

Die „Bild“-Zeitung lebt davon, dass sie ihre Nase in die Angelegenheiten anderer Leute steckt. Nun hat sie mal im eigenen Laden kräftig geschnüffelt – und was herausgekommen ist, lässt den Atem stocken: Der Bundesnachrichtendienst (BND) hatte Spione im Axel-Springer-Verlag installiert. Die Agenten berichteten dem Auslandsgeheimdienst detailliert zwischen 1959 und 1969, was in den Redaktionsstuben des größten Zeitungsverlags Deutschlands so vor sich ging. „Bild“ veröffentlicht nun erstmals Dokumente dieser Affäre.

Skandal Nummer Eins: Spionieren darf der BND nur im Ausland, Personen im „Inland“ sind tabu.

Skandal Nummer Zwei: Journalisten als Zielscheiben zu nehmen, ist besonders fies. Denn Medien sollen Informationen und Meinungen frei austauschen, für die Demokratie eines Landes spielen sie eine wichtige Rolle. Werden sie beschnüffelt, gerät Sand ins Getriebe der Demokratie.

Insgesamt sieben Quellen soll der BND allein bei Springer gehabt haben. Der Verlag wird für die so genannten Schlapphüte aus verschiedenen Gründen von Interesse gewesen sein. Zum einen ist da der große Einfluss, den Axel Springer über seine Medien auf die Menschen in Deutschland hatte. Und zum anderen war Axel Springer eine schillernde Persönlichkeit, eine Art Alptraum für Kontrollfreaks, wie es Geheimdienste gern sind: Zwar war er zwischen konservativ und deutschnational, aber immer für eine Überraschung gut. Sein Engagement für die in Deutschland lebenden Juden und für Israel muss auf die Geheimdienstler ebenso verstörend gewirkt haben wie seine Privatdiplomatie mit der Sowjetunion. Da wollte man in der BND-Zentrale in Pullach wohl mehr darüber wissen.

Nazis und Agenten – eine Story wie aus einem Revolverblatt

Bei Springer arbeitete dem BND laut „Bild“ unter anderem Horst Mahnke zu. Zuerst wirkte er dort als Chefredakteur der Zeitschrift „Kristall“, dann als Leiter des Beratergremiums im Verlag, also direkt unter Verlagschef Axel Springer. Politisch linke Einstellungen von Redakteuren übermittelte er ebenso wie Alkoholprobleme von Kollegen. Doch das ist nicht das Schlimmste. Viel mehr wiegt, dass er überhaupt dort war, wo er war.

Skandal Nummer Drei: Mahnke war ein ehemaliger Nazi. Ein SS-Hauptsturmführer, der als Assistent beim „Gegner“-Forscher Franz Alfred Six arbeitete und 1941 mit dabei im "Vorkommando Moskau" war, das Bolschewisten erschießen sollte. 1945 wurde er für drei Jahre interniert. Die „Süddeutsche Zeitung“ zitiert damalige amerikanische Quellen, die ihn noch in der Nachkriegszeit als „intelligenten und fanatischen Nazi“ bezeichneten. „Sollte er einmal wieder freigelassen werden, ist er eine Gefahr für die politische Entwicklung in Deutschland.“

Aber Mahnke machte Karriere, und zwar als Journalist beim „Spiegel“. Es war eine Zeit, in der Männer mit Blut an den Händen problemlos als Redakteure auch bei „Stern“ und anderen wichtigen Medien anheuerten. Dort hantierten sie ungestört weiter mit ihren antisemitischen Klischees und verbreiteten ihre nationalistischen Ideologien.

Was haben wir aus der Vergangenheit gelernt?

Die Dokumente, welche die „Bild“-Zeitung nun vorlegt, erschüttern. Man wird für einen Moment sprachlos beim Gedanken, aus welchen Trümmern die Bundesrepublik Deutschland erbaut wurde. Nazis gelangten wieder an die Schalthebel der Macht und machten das weiter, was sie besonders gut konnten: ihre Mitmenschen hintergehen und ausspionieren.

Mahnke und so manch anderer seiner Kollegen arbeiteten für den BND, weil man sich politisch nahe stand. Die Ursprünge des BND, der eigentlich ein Grundpfeiler des parlamentarischen Systems sein soll, liegen in der „Organisation Gehlen“ – ein Zusammenschluss von Nazi-Offizieren, die schon unter Hitler ihrem Agentenhandwerk nachgegangen waren und eben weiter machten. Die nach wie vor alles wissen wollten und Gesetze brachen, weil sie unter der Naziherrschaft die Erfahrung gemacht hatten, über dem Gesetz zu stehen.

Es heißt immer, die Deutschen hätten aus ihrer Vergangenheit gelernt, das Land sei international ein Musterbeispiel für „Vergangenheitsbewältigung“. Doch wer die Dokumente der „Bild“-Zeitung liest, fragt sich, wie ehrlich und grundsätzlich tatsächlich der Bruch mit dem Gedankengut und mit den Verhaltensweisen ist, welche die Nazis damals an die Macht brachte.

Und schließlich bleibt die Frage, wie anders der BND heute tickt. Will er noch immer alles wissen – wie der mit ihm kooperierende US-Nachrichtendienst NSA? Zapft er noch heute Journalisten an? Die Verantwortlichen schütteln mit dem Kopf. Aber will man ihnen glauben, sollte der BND das ganze Ausmaß seiner Schnüffeleien im Inland auf den Tisch legen – und nicht warten, bis die Wahrheit scheibchenweise herauskommt, wie nun bei Springer.