Schlussspurt im US-Wahlkampf: Gibt "Sandy" den Ausschlag?

Kommentar

Wird Megasturm „Sandy“ der Präsidentenmacher? Zwar haben die Kandidaten in den USA nun offiziell ihren Wahlkampf ausgesetzt, die Kameras laufen allerdings wie gewohnt weiter. Die Katastrophe stellt US-Präsident Barack Obama vor eine gewaltige Herausforderung: Er muss jetzt zupacken, effizient agieren - ohne dabei allzu heldenhaft wirken zu wollen. Herausforderer Mitt Romney könnte der Sturm indes die Wahl kosten. In einem CNN-Talk wollte er im vergangenen Jahr die US-Katastrophenbehörde FEMA abschaffen – die jetzt Leben rettet.

Hurrikan „Sandy“ hält die Ostküste der USA in Atem, Menschen sind umgekommen,Teile von New York kämpfen mit Hochwasser und Stromausfällen. Und das in der letzten Woche der Präsidentschaftswahlen. Beide Kandidaten geben sich betont staatsmännisch und betonen, wie banal und unwichtig doch der Wahlkampf angesichts der Katastrophe ist. „Derzeit bin ich an den Auswirkungen [des Sturms] auf den Wahlkampf nicht interessiert. Die Wahl wird nächste Woche auf sich selbst achtgeben“, sagte US-Präsident Obama auf einer Pressekonferenz am Montag.

Doch so zynisch es auch klingt - jedem Beobachter der Wahl ist klar, dass die Lager der beiden Kandidaten hinter verschlossenen Türen fieberhaft über der Frage brüten, wie sie die Katastrophe wohl zum eigenen Vorteil nutzen können. Beide Teams sind nervös – sie sind sich bewusst, dass die Sturmkatastrophe sich zu einem „game changer“ entwickeln könnte, zu einem Element das den Wahlkampf entscheidet.

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Im Moment ist der Präsident im Vorteil - er hat das Heft des Handelns nun in der Hand. Am Montag sagte Obama einen Wahlkampftermin ab, um ins sturmgeplagte Washington D.C. zurückzufliegen und das Wort an die Bevölkerung zu richten. „Alle sind sich bewusst, dass dies ein großer und machtvoller Sturm ist. Ich habe mit den Gouverneuren aller betroffenen Staaten gesprochen“, zeigte er sich als Macher. Und auch seine gespielte Verachtung für die Frage eines Journalisten, wie der Wahlkampf nun weitergehe, täuscht nicht darüber hinweg, dass sein Büro um den Wahlsieg bangt. Die Umfragen deuten derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Herausforderer Romney an, und der ursprüngliche Plan des Obama-Teams – die Wähler schon vorzeitig im Zuge des „early voting“ an die Urnen zu locken - ist durch den Sturm gefährdet.

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Allzu gut dürfte Obama noch das traurige Bild von George W. Bush in Erinnerung sein, als sich jener hilflos nach dem Monstersturm „Katrina“ in einem Hubschrauber über das zerstörte New Orleans fliegen ließ. Der Sturm verwüstete die Südstaatenperle am 29. August 2005, einem Montagmorgen – erst am Freitag darauf lief die Hilfe richtig an. Und dies, obwohl die Katastrophenszenarien Tage zuvor bekannt waren.  Den verheerenden Eindruck von Bushs Krisenmanagement werden künftige Präsidenten tunlichst vermeiden wollen.

Mitt Romney als ehemaligen Parteifreund von George W. Bush beobachten jetzt viele skeptisch. Am Montagmorgen kündigte sein Wahlkampfbüro noch ein volles Programm mit Auftritten in den Swing States an, ruderte dann aber zurück  - aus Angst vor dem „Split-Screen“-Problem, wie es hieß: auf der einen Seite eines geteilten Fernsehbildschirms sieht man Romney, wie er vor Anhängern Stimmung gegen Obama macht, auf der anderen Seite Sturmverwüstungen. Einen Wahlkampf-Event in Ohio benannte Romney daher kurzerhand in „Sturmhilfe-Event“ um. Dass der gerade in dem besonders umkämpften Staat im Nordosten stattfindet, ist natürlich „reiner Zufall“. Viel kann er als Herausforderer ansonsten nicht tun. Er hat derzeit andere, wie üblich hausgemachte, Probleme.

Denn Romney fliegt nun eine Aussage um die Ohren, die er im vergangenen Jahr im Fernsehen gemacht hatte. Auf CNN sagte er in einer Debatte, dass er prinzipiell dafür sei, die bundesstaatliche Katastrophenbehörde FEMA (Federal Emergency Management Agency) abzuschaffen und dafür die einzelnen Staaten zu stärken. Er ging sogar noch weiter: „Überall dort wo Kompetenzen von Bundes- auf Staatenebene verlagert werden können, ist das die richtige Richtung.“ Besser noch sei es allerdings, private(!) Firmen mit dem Katastrophenschutz zu beauftragen, so Romney. Mit dieser wahnwitzigen Aussage liegt er genau auf der Linie rechter Republikaner. Gegründet durch den Demokraten Jimmy Carter Ende der Siebziger Jahre, wurde die FEMA von George W. Bush und seinen republikanischen Amtsvorgängern entmachtet und rasiert.

Erst Obama stärkte die Behörde wieder. In den vergangenen zwei Jahren haben Republikaner im Kongress laut der New York Times jedoch eine 43-prozentige Mittelreduzierung für die FEMA erzwungen. Gelder, die insbesondere in der Katastrophenprävention eingesetzt worden wären. Warum verachten die Republikaner die FEMA so? Für viele Rechte gehört sie zum „Big Government“, denn sie koordiniert zentralistisch und sie hilft Armen ohne Gegenleistung. In der Welt der Rechtskonservativen ist da der Sozialismus nicht mehr fern.

Doch angesichts eines Sturms von 1500 Kilometern Größe ist eine staatenübergreifende Koordinierung der Hilfsmaßnahmen natürlich unabdingbar – und Obama lässt im Kampf gegen „Sandy“ derzeit keine Gelegenheit aus, sich mit FEMA-Chef Craig Fugate zu zeigen. Klar, dass Romney mit seiner Aussage bei den rechten "Tea Party"-Staatsskeptikern punkten wollte. Inzwischen wiegelte ein Sprecher ab: Der Kandidat wolle die Behörde nicht abschaffen. Es ist jetzt an Obama: Wenn es ihm gelingt, dass Bilder von ihm als Zupacker und beherzter Krisenhelferer bei den Leuten haften bleiben, dann kann diese den Ausgang der Wahl entscheiden. Gerhard Schröder hat es vorgemacht: Seine Auftritte in Gummistiefeln während der Elbflut 2002 trugen wesentlich zu seinem Wahlerfolg bei. Das räumt der SPD-Politiker heute sogar selbst ein.


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