Wie wir die Flüchtlingskrise in Syrien lösen können

Syrien Autokrat Baschar al-Assad (Bild: dpa)
Syrien Autokrat Baschar al-Assad (Bild: dpa)

An den Bürgerkrieg in Syrien haben wir uns gewöhnt wie an den Sonnenuntergang. Das wird über Jahre hinweg für Flüchtlinge sorgen – wenn wir nicht endlich handeln.

Ein Kommentar von Jan Rübel

So ist das mit Diktatoren und Realitätsverdrehern: Manchmal rutscht selbst ihnen ein wahres Wort heraus. Syriens Regimechef Baschar al-Assad holte in einem Fernsehinterview mit russischen Sendern weit aus, als er sagte: Europa sei verantwortlich für die Fluchtbewegungen in seinem Land, weil das Nato-Land Türkei die Terrortruppe Islamischer Staat (IS) unterstützte.

Damit instrumentalisiert Assad nur das Leid jener Menschen, welches er selbst verursacht. Aber ganz Unrecht hat er damit nicht. Der Westen hat in der Syrien-Krise versagt. Wir hätten so viel tun können, aber wir haben es unterlassen. Denn Syrien ist in der Agenda des Westens nicht auf den vorderen Plätzen: Was in diesem Land geschieht, interessiert einfach nicht, taugt nur zu Krokodiltränen. Es ist höchste Zeit, das zu ändern.

Wir müssen für die Menschen zweierlei unternehmen: Zum einen müssen wir Assads Truppen daran hindern, mit Luftangriffen seine militärischen Gegner und die Zivilbevölkerung zu drangsalieren – über eine Flugverbotszone. Und zum anderen müssen wir all jenen Staaten, die den IS und die radikalislamische Nusra-Front groß werden ließen, die rote Karte zeigen.

Wir lassen unsere Freunde gewähren

Das sind vor allem Freunde und vermeintliche Freunde. Der IS ist mittlerweile ein sich selbst ernährendes System geworden. Aber so groß werden konnte er nur mit der Hilfe anderer Staaten: Geldgeber vor allem in Saudi-Arabien und Qatar, oft Privatiers mit besten Kontakten zur Regierungsebene, haben über Jahre hinweg die Kalifatstruppe gepäppelt. Und das „Nato-Land“ Türkei hat den IS im eigenen Land gewähren lassen: IS-Kämpfer konnten Waffen, Geld und Ausrüstung über die Türkei in die von ihnen beherrschten Zonen schmuggeln – und sie ließen sich in türkischen Krankenhäusern behandeln. All dies geschieht, mit Einschränkungen, noch heute.

Heute haben Türkei, Saudi-Arabien und Qatar offiziell den IS zu ihrem Gegner erklärt. Aber das sind nur Lippenbekenntnisse. Ein paar Bomben auf den IS, die den Terrorschärgen nicht wehtun – und im Parallelzug bekämpfen die türkischen Streitkräfte die kurdischen Guerillas, obwohl sie die einzige nennenswerte Gegenkraft zum IS auf dem Boden darstellt. All dies mit unserem Segen. Assad hat nicht ganz Unrecht: Damit sind wir mitverantwortlich für all die Fluchtbewegungen, die der IS auslöst. Denn es gäbe einiges zu tun: Die Türkei würde zuhören, wenn Deutschland Ankaras Kuschelkurs mit dem IS und die Bomben gegen die kurdische PKK verdammen, diplomatischen Druck aufbauen und mit abgekühlten Beziehungen sowie Wirtschaftssanktionen drohen würde. Auch die Länder am Arabischen Golf sind auf Deutschland angewiesen: Als Verkäufer von Öl und Gas, als Investoren bei uns und als Abnehmer vieler deutscher Exportwaren. Es ist längst Zeit, dieses Asset in die Waagschale zu werden und sich von diesen „Freunden“ oder „Partnern“ zu entfernen. Ihnen klar zu machen, dass ihre zynische Außenpolitik Syrien weiterhin im Kriegszustand belässt. Es ist Zeit, die Geschäftsbeziehungen in den Kühlschrank zu stellen. Dafür werden wir auf Geld verzichten müssen, wohl auch auf Arbeitsplätze.

Die Geschichte wird kein mildes Urteil sprechen

Assad wiederum kann bis heute Fassbomben auf Straßenzüge abwerfen lassen und die Rebellen aus der Luft vor sich her treiben. Warum wird er daran nicht gehindert? Warum richtete der Westen im Irak gegen Saddam Hussein eine Flugverbotszone im Norden Iraks ein? Warum geschah das gleiche in Gaddafis Libyen? Das syrische Regime hätte kein Mittel in der Hand, sich gegen solch eine Zone zu stellen.

Für uns alle liegt auf der Hand, wie wir Syrern in Syrien helfen können. Wie wir sie vor Bomben und vor Terrormilizen schützen können. Es sollte uns bewusst sein, wie Historiker in nicht einmal 20 Jahren über unsere Generation schreiben werden: Sie werden unsere Tatenlosigkeit verurteilen, die so viele Probleme in deren Gegenwart verursacht haben wird. Wir werden dastehen als die Generation, die nur auf ihren Hintern schielte. Und dann wie ein berühmter Vogel den Kopf in den Sand steckte. Wir werden gelten als eine Generation von Losern.

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