Wir haben alle versagt

Bundeskanzlerin Merkel und der griechische Premier Tsipras (Foto: dpa)
Bundeskanzlerin Merkel und der griechische Premier Tsipras (Foto: dpa)

Ende, aus – das Tischtuch zwischen Gläubigern und Griechenland scheint zerschnitten. Für den Scherbenhaufen tragen aber wir alle die Schuld.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Alexis Tsipras hat eine Menge Leute vor den Kopf gestoßen. Selbst seine engsten Mitarbeiter, mit denen der griechische Ministerpräsident in Brüssel vor die Gläubigerallianz aus Eurozonenländern und Internationaler Währungsfonds (IWF) trat, erfuhren von seinem spektakulären Schritt nur aus den Medien: Das griechische Volk soll darüber abstimmen, ob es die Reformforderungen der Gläubiger im Gegenzug für weitere Hilfen annimmt oder nicht.

Damit haben alle beteiligten Parteien aus Angst vor der eigenen Courage kapituliert. Es gibt keinen, der sich einfach anschickt, den Karren aus den Dreck zu ziehen. Vor allem ist es die Furcht vor dem Wähler, dem man zu viel Honig versprochen hat – in einer Zeit, die schon lange vorbei scheint.

Tsipras ist keine Lichtgestalt mehr

Bis vor kurzem schien Tsipras für einen Teil der Europäer ein Gegenentwurf zu finanzwirtschaftlichen Dogmen zu sein. Er gehörte nicht der alten korrupten politischen Klasse an und man erhoffte sich von ihm einen Neuanfang der griechischen Politik und nachhaltige Fragen an das Selbstverständnis der Europäischen Union (EU) zugleich. Heute haben Worte über Tsipras den Geschmack von politischen Grabreden, so sehr hat er sich mit seiner einsamen Entscheidung für das Referendum ins Abseits gestellt.

Warum hat er nicht in Brüssel über das Referendum diskutiert? Warum lässt er über etwas abstimmen, das er selbst ablehnt? Andersherum wäre ein Schuh daraus geworden: Eine Volksabstimmung machte Sinn, wenn die Regierung die Entscheidung über einen Plan auf breitere Grundlage stellte. Aber die Regierung Tsipras, so stellt es sich nun heraus, offenbart keinen Plan.

Das waren die Fehler der griechischen Regierung. Die der anderen EU-Regierungen sind nicht geringer.

Seit Jahren verengen die Gläubiger ihren Blick auf Griechenland. Sie sehen nur noch ihre Reformforderungen, von denen viele vernünftig sind, aber bei denen genau zu beachten ist, dass man nicht das Kinde mit dem Bade ausschüttet – dass die Operation gelingt, der Patient aber stirbt. Was die griechische Gesellschaft in den vergangenen Jahren an Ausgabenkürzungen hingenommen hat, wäre in Deutschland kaum möglich; zu sehr haben wir uns an unseren Wohlstand gewöhnt.

Viele Chancen wurden vertan

Unsere Gläubiger-Regierungen, und voran das Kabinett Merkel, haben also zugelassen, dass alle in der Sackgasse gelandet sind: Statt auf in weiten Teilen unrealistischen Sparplänen zu beharren (während die griechische Wirtschaft weiter schrumpft), hätte man ehrlich sein sollen – schon in den Jahren 2010 und 2012 hätte man die Chance gehabt, einen sauberen Schnitt zu vollziehen. Der hätte bedeutet, dass die privaten Gläubiger auf ihrem Geld sitzen bleiben. Banken wären zusammengebrochen. Aber das System hätte überlebt. Und mit den Steuermilliarden, mit denen wir Banken Kredite zuschoben, hätte man ganz andere Stabilisierungs- und Wachstumsprogramme ankurbeln können.

Aber so viel Ehrlichkeit wollte die Kanzlerin den Wählern nicht zumuten. Lieber suggerierte die Bundesregierung, die Hilfsgelder an Griechenland würden wieder zurückfließen. Das ist nun vorbei.

Es nützt nichts. Alle müssen sich wieder an einen Tisch setzen. Westeuropa muss endlich ein Gespür dafür entwickeln, was man anderen Menschen zumuten kann und was nicht. Die Regierung Tsipras muss endlich anfangen, wirklich Reformen im Steuerwesen durchzusetzen und vor allem die Patronagemöglichkeiten im System bekämpfen. Ein Stück weit muss die Regierung sich selbst bekämpfen. Diesen Mut zeigte Athen bisher nicht. Schuldenschnitt und ehrliche Reformarbeit sind die einzigen Chancen, die Griechenland bleiben.

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