"Wir brauchen mehr Träumer": Wie ARTE im Corona-Sommer Fantasien und Utopien weckt

Keine Kultur, keine Veranstaltungen, keine Reisen - die Corona-Pandemie setzt auch einem speziellen Sender wie ARTE zu. Profilieren möchte man sich in diesem besonderen Sommer dennoch: Per Online-Konferenz wurde der "Summer of Dreams" angekündigt.

Dass die Corona-Pandemie alle Bereiche des Lebens und somit auch das Fernsehprogramm nachhaltig verändert, wurde bereits ausgiebig erörtert. Doch was macht eigentlich ein TV-Sender, der kaum auf Politikentscheidungen, Live-Berichterstattung oder Talkshows setzt, sondern sein Programm regelmäßig um jene Dinge kreisen lässt, die derzeit brachliegen? Genauer: Was macht der Kultursender ARTE, wenn die öffentliche Kultur nicht stattfindet, wenn Veranstaltungen, Konzerte und Reisen passé sind? - Darüber informierte der deutsch-französische Sender in einer virtuellen Pressekonferenz: ein Experiment, wie auch die letzten Wochen bei ARTE von Experimenten geprägt gewesen seien, betonte Programmdirektor Bernd Mütter. Man sei "vergleichsweise gut durch diese Krise gekommen", und gerade der Erfolg von Doku-Formaten wie "Berlin 1945" habe gezeigt, "wie wichtig Information, Orientierung und Hintergrund" heute seien.

Wo Absagen und Grenzschließungen regieren, wo Menschen sich "in Zeiten des Lockdowns nach neuen Horizonten sehnen", entführt ARTE "in die Welt der Träume", hieß es bei der Pressekonferenz. In der 14. Ausgabe seiner Sommerreihe plant ARTE in diesem denkwürdigen Jahr 2020 vom 10. Juli bis zum 23. August daher einen "Summer of Dreams", dessen Programm immer freitags und sonntags ausgestrahlt werden soll. Von Dokumentationen über Spielfime bis Konzerte versammelt der Kultursender unter dem Traum-Motto verschiedenste Genres - und trifft thematisch in der Tat den Geist der eigenartigen Zeit. Man brauche gerade jetzt Menschen, "die das Unmögliche für möglich halten", drückte es der verantwortliche Redakteur Oliver Schwehm im Pressegespräch aus, oder kurz: "Wir brauchen mehr Träumer". Gerade hierzulande, wo man mit Träumen doch eher zaghaft umgehe.

Und so nähert sich ARTE träumerischen Filmproduktionen wie dem in dieser Hinsicht beinahe klassischen Werk "Die fabelhafte Welt der der Amélie" (Sonntag, 2.8., 20.15 Uhr), der "Unendlichen Geschichte" (Sonntag, 12.7., 20.15 Uhr), dem laut Schwehm popkulturell "wirkmächtigsten deutschen Film", aber auch den düsteren Fantasien eines David Lynch in "Mullholland Drive" (Sonntag, 19.7., 21.50 Uhr) und "Dune" (Sonntag, 9.8., 20.15 Uhr, anschließend, 23.25 Uhr, die tolle Doku "Jodorowsky's Dune"). "Traumhafte Karrieren" wolle man dagegen in Dokus über Schauspielstars wie Arnold Schwarzenegger ("Die Verkörperung des American Dream", Sonntag, 16.8., 22.30 Uhr) und Meryl Streep ("Die unverstellte Göttin", Sonntag, 23.8., 22.50 Uhr) beleuchten, den Traum vom schicken Auto hingegen, man wäre ja sonst nicht ARTE, in einer Doku über die Sehnsucht nach Traumautos im Osten ("Autos im Sozialismus: Freiheit auf vier Rädern", Freitag, 7.8., 23.20 Uhr).

"Viel frische Ware"

Kern des "Summer of Dreams" ist aber ganz arteesk der Blick auf jene gesellschaftspolitischen Träume, die sich in der Popkultur artikulieren: "Der Traum ist aus - aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird", zitiert Redakteur Schwehm sogleich Rio Reiser, der wie kaum ein anderer für die Verquickung von Pop und Traum stand. "Pop Utopia" nennt sich auch jener Zweiteiler, mit dem ARTE am 10.7. (ab 21.45 Uhr) das Sommerprogramm beginnt. Produziert worden sei die Doku "in Hochzeiten von Corona", so Produzent Stefan Mathieu, der darin auch Chancen erblickte. So habe man Promis leichter vor die Skype-Kamera bekommen - und zudem besondere Einblicke, etwa Songwriter Rufus Wainwright im Morgenmantel.

Was mit dem Traum einiger weniger beginne, so Mathieu, werde zur Massenbewegung und schließlich zur neuen gesellschaftlichen Realität. Geprägt waren jene popkulturellen Revolten, die sexuelle Befreiung und Frieden und Umweltschutz forderten, von "Schlüsselsongs", so der Redakteur. Beispiele seien "We Shall Overcome" als Hymne der Friedensbewegung oder John Lennons "Imagine", dessen Titel auch eine Doku über den berühmten Songwriter und Yoko Ono trägt (Freitag, 10.7., 23.35 Uhr). Die so geprägten utopischen Vorstellungen, sie seien, so Mathieu, besonders aktuell "anwendbar auf die Gegenwart".

Dass diese Gegenwart anders ist, zeigt auch das Konzertprogramm von ARTE, dessen Live-Übertragungen in diesem Jahr entfallen müssen - ebenso wie geplante Events zum Beethoven-Jahr. "Wir geben nicht auf", gab man sich bei der Pressekonferenz dennoch optimistisch - und zeigt dann eben vergangene Konzert-Highlights von Queen (Freitag, 7.8., 21.45 Uhr, "Queen: Hungarian Rhapsody - Live in Budapest"), Coldplay (Freitag, 21.8., ab 21.45 Uhr), Pink Floyd (Freitag, 31.7., 21.50 Uhr, "Delicate Sound of Thunder") und Simon and Garfunkel (Freitag, 24.7., 23.30 Uhr, "Simon and Garfunkel: The Concert in Central Park").

Zumal ARTE in diesen Corona-Zeiten bereits mit besonderem Musikprogramm auf sich aufmerksam machen konnte: Die Reihe "United We Stream", die täglich (ab 19 Uhr) live DJ-Sets aus europäischen Clubs überträgt, wird vom Sender mit über zehn Millionen Zuschauern bislang ebenso als Erfolg verbucht wie die zahlreichen Wohnzimmer-Konzerte. "Im Vergleich zu anderen Sendern viel frische Ware" habe man bis dato senden können, drückte es Programmchef Mütter aus. Erst in ein paar Monaten könnte sich die Corona-Krise auch bei ARTE wirklich bemerkbar machen.