Care-Arbeit: Was muss sich für Väter ändern?
Berlin (dpa) - Er hat zwei Kinder, teilt sich die Aufgaben mit seiner Frau und spricht in Videoschnipseln bei Instagram über Wochenbett und Kinderernährung. Influencer Sebastian Tigges, online unter @tigges zu finden, gilt vielen seiner Fans als Paradebeispiel eines Vaters, wie er im Jahr 2024 sein sollte: präsent, engagiert, reflektiert.
Wer sich einige seiner Monologe über «Care-Arbeit» - das meint alles, was unter die Themen Sorge und Sich-Kümmern fällt - anschaut, könnte davon überzeugt sein, dass moderne Väter sich längst ebenso einbringen wie Mütter.
Dagegen sprechen allerdings noch viele Zahlen. Gerade einmal 1,9 Prozent der Väter, deren jüngstes Kind unter sechs Jahren ist, waren 2022 in Elternzeit, wie das Statistische Bundesamt angibt. Bei den Müttern war es gut ein Viertel. Der sogenannte Gender-Care-Gap liegt laut Bundesfamilienministerium aktuell bei 44,3 Prozent.
Frauen verwenden demnach täglich 44,3 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Warum klaffen die schöne Social-Media-Utopie, für die etwa ein Sebastian Tigges steht, und die Realität derart weit auseinander? Und was hindert Männer daran, noch aktiver in der Vaterrolle aufzugehen?
Allmendinger: «Veränderungsbereitschaft ist da»
«Die gute Nachricht ist aber: In allen unseren Befragungen sagen Väter, sie würden mehr Zeit für ihre Kinder verwenden wollen», sagt die Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Jutta Allmendinger.
«Alle Mütter sagen, sie würden mehr Zeit für die Erwerbstätigkeit verwenden wollen. Aufbruchstimmung und Veränderungsbereitschaft sind also da.» Der Status quo sei auf Traditionen und Kulturen in Unternehmen zurückzuführen - und auf die Politik. «Auf der einen Seite sagen wir: Väter, geht auch in Elternzeit! Auf der anderen Seite erhalten wir Strukturen, die das Gegenteil bewirken.»
Konkret meint Allmendinger etwa das «sehr teure Ehegattensplitting». Die damit verbundenen Steuerersparnisse setzten bei großen Einkommensunterschieden Anreize dafür, dass Mütter nach der Geburt länger zu Hause blieben und später in Teilzeit arbeiteten, während die Männer ununterbrochen in Vollzeit arbeiteten - «das zeigt die Forschung eindeutig».
Lieber nur spaßige Aufgaben
Zwar engagieren sich Männer stärker in der Kinderbetreuung als noch in vergangenen Jahrzehnten, aber mit einer Einschränkung, wie Buchautorin Patricia Cammarata («Raus aus der Mental Load Falle: Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt») beobachtet hat. «Das, was Männer gerne übernehmen, nenne ich das «Onkeln» - die Spaßanteile. Mit Kindern spielen, aber viel weniger die mühsamen Dinge wie Hausaufgabenbetreuung oder Fahrten zu Sportkursen. Das ist noch sehr in Frauenhand.»
Das liegt Cammarata zufolge an der Sozialisation: «Während Frauen stark damit aufwachsen, dass sie die Hauptverantwortlichen für Fürsorgethemen in der Familie sind und einen Großteil des «Mental Loads» übernehmen, also alles im Kopf haben, initiieren und delegieren, nehmen sich Männer selbst oft als eine Art Hilfsarbeiter wahr, der auf Aufträge wartet.» Die Männer erledigten die ihnen zugeteilten Aufgaben, sähen aber nicht den ganzen Prozess dahinter. So entstünden Hierarchien in Beziehungen.
Dafür spreche auch die repräsentative Vermächtnisstudie 2023 der Wochenzeitung «Die Zeit», des WZB und des Instituts für angewandte Sozialwissenschaft (infas), für die 4200 Menschen befragt wurden. «Die Studie hat sich 21 Gebiete angesehen, die relevant für das tägliche Leben sind, von Kinderbetreuung bis Putzen. In nur drei davon sehen sich Männer zuständig, da stellen sie keine Fragen: Finanzen, Instandhaltung und Handwerksarbeiten», erklärt Cammarata.
Die Perspektive der Väter
Doch wie beurteilen Männer mit Kindern die Lage selbst? Zumindest einen Einblick bekommt Eberhard Schäfer vom Väterzentrum Berlin, das Interessierte etwa bei Väter-Cafés oder auf Reisen zusammenbringt und bei Bedarf berät. Er erlebe, dass Männer die Sorgearbeit vor allem dann in der Beratung ansprächen, wenn es Beziehungsprobleme gebe. «Erstens sind sie oft geschlaucht und zweitens unzufrieden, weil ihr Einsatz nicht gewürdigt wird.»
Die Väter wollten ja nicht, das höre man oft in der Debatte. «Wir sollten da genauer hinsehen», meint Schäfer. «Väter nehmen sich zum Beispiel auch Zeit für ihre Kinder, wenn sie nicht in Elternzeit gehen. Und die Verteilung der Elternzeit ist das Ergebnis einer partnerschaftlichen Aushandlung, an der die Frau beteiligt ist.»
Politische Rahmenbedingungen ändern
Sind die Frauen also selbst schuld? «Ich habe auch einige Kollegen, die sagen, dass Mütter gar nicht wollen. Aber wir haben ja schlichtweg keine Untersuchungen dahingehend, was Frauen machen würden, wenn sie in anderen Rahmenbedingungen leben würden», sagt Soziologin Allmendinger. Ihr Ansatz: «Veränderte Strukturen verändern auch die Kulturen. Wenn man doch zumindest den Koalitionsvertrag umsetzen würde: Festgeschrieben sind die Familienstartzeit und mehr Vätermonate, angedeutet ist ein Einstieg in den Ausstieg aus dem Ehegattensplitting.»
Die Familienstartzeit - eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt - lässt jedoch auf sich warten. Und das Ehegattensplitting lasse sich nicht einfach abschaffen, weiß Allmendinger: «Aber wir können so ähnlich wie bei der Rente mit 67 Übergangsregelungen einführen. Die Einsparungen sollten bei den Familien bleiben und gezielter eingesetzt werden: für Kinder, nicht für die Ehe.» Zudem schlägt sie eine kürzere Dauer des Elterngeldes vor, aber mit höherem Lohnersatz als die in der Regel 65 Prozent. «So würde Haushalten beim Elterngeldbezug von Vätern weniger Geld fehlen.»
Den «Mental Load» umverteilen
Damit sich bei Paaren etwas persönlich verändere, brauche es ein Bewusstsein dafür, dass die Frau immer die Hauptverantwortliche und das Back-up im Rücken des Mannes sei, findet Cammarata. «Das geht nur, wenn sie den Kompetenzvorsprung und Erfahrungsschatz, den sie definitiv hat, übergibt. Er muss das ernst- und annehmen.»
Frauen rät die «Mental Load»-Expertin etwa dazu, nicht bei jeder Aufgabe in einen «Funktionsmodus» zu gehen und alles schnell selbst zu erledigen, sondern aufzuzeigen, was die To-dos überhaupt sind und bis wann sie erledigt sein sollten. «Man muss sehr kleinteilig über diese Dinge sprechen, aber sie sind wirklich unsichtbar für die Männer.»
Der naheliegendste Schritt für Männer sei, die Elternzeit zu nutzen: «diese Monate auch allein zu nutzen, nicht mit der Partnerin parallel». Wichtig sei, dass es bei allen Fragen rund um Aufgabenteilung nicht um Schuld gehe - die Männer seien nicht schuld. Genauso sieht das Allmendinger: «Wir kommen nicht weiter, wenn wir Frauen gegen Männer aufhetzen. Ich weiß ja, dass Männer heute so viel mehr machen als ihre Väter. Wenn man diesen Vergleich zieht und nicht nur den zu den Müttern, kann man auch Respekt zollen und die Männer weiter mitnehmen.»
Besser Väter-Influencer als keine
Und selbst, wenn Mütter schon wesentlich länger über Wochenbett, Kinderernährung und «Care-Arbeit» sprächen, sei es doch gut, dass es öffentliche Väter wie eben Sebastian Tigges gebe, meint Cammarata noch. «Pragmatisch gesehen hat er ja die richtige Message. Wenn wir deswegen jetzt endlich mal über die Verteilung von Sorgearbeit im größeren Rahmen sprechen, ist das halt so.»