Claus Kleber über die "Letzte Generation": "Das muss ein demokratischer Staat aushalten"

"Wenn man etwas politisch erreichen will, eine richtige Veränderung erreichen will, dann gehört auch ab und zu Sand ins Getriebe", sagte Claus Kleber, der die Klimaproteste unterstützt.  (Bild: ZDF)
"Wenn man etwas politisch erreichen will, eine richtige Veränderung erreichen will, dann gehört auch ab und zu Sand ins Getriebe", sagte Claus Kleber, der die Klimaproteste unterstützt. (Bild: ZDF)

Ein krisenreiches Jahr geht zu Ende. In ihrer letzten ZDF-Talkshow vor der Weihnachtspause diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen unter anderem über Klimaproteste und Reichsbürger. Der zum Einzelinterview geladene ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck sah die Demokratie davon nicht gefährdet.

Rund anderthalb Wochen vor dem Weihnachtsfest war es bei "maybrit illner" im ZDF wenig besinnlich: Unter dem Motto "Ein Jahr der Krisen - Angst vor der Zeitenwende?" ließ die 57-Jährige in der letzten Talkshow-Ausgabe des Jahres die größten Sorgen unserer Zeit bilanzieren.

Mit Ex-"heute journal"-Moderator Claus Kleber, der Bundesvorsitzenden der Grünen-Jugend, Sarah-Lee Heinrich, und der Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München, Hedwig Richter, diskutierte sie über den Ukraine-Krieg, die Energieknappheit und sogenannte "Klimakleber". Los ging es jedoch mit einem noch aktuelleren Thema.

In der letzten Ausgabe der ZDf-Talkshow vor Weihnachten sprach Maybrit Illner (zweite von links) mit dem ZDF-Moderator Claus Kleber, der Bundesvorsitzenden der Grüne-Jugend Sarah-Lee Heinrich (zweite von rechts) und der Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München Hedwig Richter. (Bild: ZDF)
In der letzten Ausgabe der ZDf-Talkshow vor Weihnachten sprach Maybrit Illner (zweite von links) mit dem ZDF-Moderator Claus Kleber, der Bundesvorsitzenden der Grüne-Jugend Sarah-Lee Heinrich (zweite von rechts) und der Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München Hedwig Richter. (Bild: ZDF)

"Rechter Terror gehört einfach zur Geschichte der Bundesrepublik"

"Wir sind mit sogenannten Reichsbürgern konfrontiert", eröffnete Illner die Diskussion: "Ist das eine reale Gefahr?", wollte sie von ihrem ZDF-Kollegen Claus Kleber wissen. Der antwortete prompt: "Nein! Ich kann mir nicht vorstellen, dass aus diesem Haufen irgendetwas geordnetes Gefährliches für unsere Ordnung entsteht!" Zwar habe es auch keine gefährliche Organisation gebraucht, um den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zu töten, dennoch betrachtete Kleber die Reichsbürger doch eher als eine "polizeiliche Gefahr": Sie würden schlichtweg zu ernst genommen.

Geschichtsprofessorin Hedwig Richter sah das anders: "Ich denke, wir sollten das ernst nehmen", mahnte sie: "Auch wenn das scheinbar verrückte Typen sind - ganz bestimmt sind sie verrückt: Rechter Terror gehört einfach zur Geschichte der Bundesrepublik!"

Die Geschichtsprofessorin Hedwig Richter rät, die Gefahr durch Reichsbürger ernst zu nehmen: "Auch wenn das scheinbar verrückte Typen sind - ganz bestimmt sind sie verrückt: Rechter Terror gehört einfach zur Geschichte der Bundesrepublik!" (Bild: ZDF)
Die Geschichtsprofessorin Hedwig Richter rät, die Gefahr durch Reichsbürger ernst zu nehmen: "Auch wenn das scheinbar verrückte Typen sind - ganz bestimmt sind sie verrückt: Rechter Terror gehört einfach zur Geschichte der Bundesrepublik!" (Bild: ZDF)

Gauck: "Man darf die 'Klimakleber' ruhig kritisieren"

Grünen-Politikerin Sarah-Lee Heinrich knüpfte an die Razzia hingegen die Hoffnung, "dass die Vergleiche mit der 'Klima-RAF' ein bisschen zur Ruhe kommen, weil das total unverhältnismäßig war". Am Ende des Tages seien es viele junge Menschen, die verzweifelt seien und sich Sorgen um ihre Zukunft machten, fuhr die 21-Jährige fort.

Zuspruch bekam die "Letzte Generation" auch von Kleber und Richter: "Wenn man etwas politisch erreichen will, eine richtige Veränderung erreichen will, dann gehört auch ab und zu Sand ins Getriebe", erklärte der ZDF-Moderator: "Das muss ein demokratischer Staat aushalten, dass mal die Zufahrt zum Flughafen zugeklebt ist, für ein paar Stunden."

In einem vorab aufgezeichneten Einzelinterview hatte Maybrit Illner den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck zu seinen Einschätzungen der gegenwärtigen Krisen befragt. Über die "Klimakleber" konnte der 82-Jährige dabei nur müde lächeln: "Das ist keine Bedrohung der Gesellschaft", sagte der Theologe.

Dem CSU-Politiker Alexander Dobrindt, der die Gruppierung als "Klima-RAF" bezeichnet hatte, könne er "in keiner Weise zustimmen": "Da wird ja mit Kanonen auf Spatzen geschossen", kritisierte Gauck: "Man darf diese Menschen ruhig kritisieren. Das geschieht auch. Man darf sie auch wegen einer falschen Strategie kritisieren." Denn: "Wenn über 80 Prozent der Menschen diese Aktionen nicht gut finden, wobei 60 Prozent die Anliegen gut finden, dann ist offensichtlich die Strategie wenig geeignet, um in der breiteren Bevölkerung Sympathie zu gewinnen."

Bereits vor der Sendung hatte Maybrit Illner mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck in einem Einzelinterview gesprochen. (Bild: ZDF)
Bereits vor der Sendung hatte Maybrit Illner mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck in einem Einzelinterview gesprochen. (Bild: ZDF)

Gauck über die "Angst vor der Moderne"

Ein Einzelner oder eine Gruppe dürfe nicht einfach sagen: "Meine Moral ist wichtiger als die Normen, unser Recht und auch unser Ordnungsrecht. Das geht nicht", schimpfte er: "Es ist gefährlich, die persönliche Moral über das zu stellen, was das Gemeinwesen gesetzlich normiert hat." Würde man das akzeptieren, würden sich immer neue Gruppierungen auf ihre moralischen Vorstellungen berufen: "Dann würden vielleicht die frustrierten Anhänger einer Fußballmannschaft sagen: Wir kleben uns an den Stadiontoren fest."

Die Angst vor der Klimakrise und weiteren Krisen wiederum sah Gauck als eine der grundsätzlichen Ursachen für die derzeitige Frustration und das Misstrauen vieler Menschen in doe Politik: Es sei "eine kulturelle Verunsicherung und auch eine politische Verunsicherung, die viele Menschen in Europa und darüber hinaus erfasst hat", erklärte er. Viele hätten "letztlich Angst vor der Moderne", erklärte er.

Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck wünscht sich "eine Demokratie, die sich wehrt, die nicht einfach abwartet und zuschaut". (Bild: ZDF)
Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck wünscht sich "eine Demokratie, die sich wehrt, die nicht einfach abwartet und zuschaut". (Bild: ZDF)

"Die dürfen auch dumm bleiben, wenn sie das wollen"

Zum Putschversuch der Reichsbürger wollte Illner von ihrem Gast wissen: "Der größte Feind der Demokratie steht rechts?" Das ändere sich von Zeit zu Zeit, sagte Gauck: "Manchmal steht er rechts und das ist hier im Moment so ganz eindeutig." Als Mensch und als Bürger wünsche er sich "eine Demokratie, die sich wehrt, die nicht einfach abwartet und zuschaut", forderte er.

Er könne damit umgehen, "dass diesen merkwürdigen Verfassungsfeinden einmal ihre Grenzen aufgewiesen werden": Als liberale Demokratie müsse man lange zuschauen: "Wir leben nicht nur mit Menschen zusammen, deren Werte wir teilen und die dürfen das auch. Die dürfen auch dumm bleiben, wenn sie das wollen. Und das müssen wir ertragen." Nicht ertragen müsse man aber, "wenn sie ganz grundsätzlich unsere Verfassung ablehnen" oder Menschen mit Waffen bedrohen.

Die Tatsache, dass einige der inhaftierten Personen aus Justiz, Bildungswesen und Bundeswehr stammen, bereitet dem Theologen allerdings keine Sorge: "Warum sollen wir uns Sorgen machen, wenn drei, vier Figuren aus den akademischen Kreisen dazugehören?" Das sei in der Geschichte schon immer so gewesen: "Auch Lenin hatte studiert", zählte er auf. "Sie werden niemals eine Bewegung haben, die nur aus Tölpeln besteht, sondern es wird immer eine intellektuelle Begleitung aller möglichen Wirrköpfe geben." Die Behauptung, viele der rechtsradikalen mutmaßlichen Terroristen stammten aus der Mitte der Gesellschaft, sei "einfach Unfug, weil es der Realität nicht entspricht", argumentierte Gauck: "Wir haben eine überaus stabile Mitte."