#CoronaElternRechnenAb: Shitstorm statt Hilfe
Seit über zwei Monaten kümmert sich die Mehrheit der Eltern zuhause um ihre Kinder. Der Frust über die mangelnde Unterstützung durch die Politik macht sich nun unter dem Hashtag #CoronaElternRechnenAb Luft im Internet.
Um aufzuzeigen, welche Belastung die zusätzliche Erziehungsarbeit für viele Eltern ist und welchen Wert Care-Arbeit haben sollte, stellten manche Eltern sogar eine symbolische Rechnung an den Staat. Was dann folgte, ist exemplarisch für die Debatte um Kinderbetreuung und die Sorgen vieler Eltern, von der Politik in der Corona-Krise eher stiefmütterlich behandelt zu werden. Über die Eltern, die es wagten, sich unter dem Hashtag zu beschweren, brach ein lupenreiner Shitstorm auf Twitter herein.
Simone Buchholz, Krimiautorin aus Hamburg, gehörte zu den Eltern, die eine “Rechnung” stellten. An den Schulsenator des Stadtstaats, Ties Rabe (SPD) schrieb sie: “Durch den im Rahmen der Coronakrise gefassten Beschluss der Schul- und Kitaschließungen vom 13.03.2020 ist seit dem 16.03.2020 die Schulpflicht des Landes Hamburg ausgesetzt. Da Sie mir seitdem die Beschulung und Betreuung meines Kindes in Auftrag gegeben haben, in Form einer Verschiebung Ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags in meinen Privathaushalt, erlaube ich mir, folgende Rechnung für die von mir erbrachten Leistungen zu stellen.” Diese Rechnung ist satt: Vier Stunden pro Tag á 25 Euro für die Beschulung der Kinder, dazu sieben Stunden Betreuung zu einem Stundensatz von 15 Euro fordert Buchholz, so kommt sie auf eine Gesamtsumme von 8294,30 Euro. Die Beispielrechnung hatte der Blog Phoenix-Frauen bereitgestellt, ein Projekt, das ermutigende Geschichten und praktische Hilfsangebote für Frauen und Mütter sammelt, um sie nach Trennungen oder Beziehungsgewalt zu stärken.
Coronavirus: Diese Internetseiten und Hotlines sollte man kennen
Der Schulsenator hat keine Zeit
Diese Leistungen seien bereits erbracht worden, schreibt Buchholz und schließt ihr Schreiben mit: “Bitte überweisen Sie den Bruttobetrag ohne Abzüge." Die Wochenzeitung Die Zeit fragte beim Schulsenator nach einer Antwort auf die Forderungen der Krimiautorin, der ließ lediglich ausrichten, er sei gerade zu beschäftigt und habe keine Zeit für Antworten. Wer aber, wenn nicht der zuständige Schulsenator sollte sich den Sorgen und Fragen der Eltern widmen? So zeigte Rabe einmal mehr, dass die Politik sich während der Pandemie augenscheinlich wichtigeren Themen zuwendet, als den etwa 13 Millionen Kindern, die momentan nicht regelmäßig in Kitas oder Schulen gehen können und den dazugehörigen Eltern, die sich zwischen Arbeit und Erziehung aufteilen müssen. Dabei geht es den meisten Eltern vor allem um die Doppelbelastung, die vom Staat und vielen Arbeitgebern einfach als selbstverständlich angenommen und die zum größten Teil von Frauen getragen wird. Vor allem ging es den Initiatorinnen darum, Ungleichheiten aufzuzeigen im Vergleich zu den teils schnellen und pragmatischen Lösungen, die für andere “Branchen” gefunden wurden.
Wahrscheinlich können sich CDU/CSU/SPD/FDP (AfD) das leisten es fadenscheinig abzulehnen, weil gerade während sie im Ausschuss sitzen, jemand anderes schlecht oder unbezahlt die #Carearbeit für sie übernimmt. Deshalb flutet die Ministerien mit Rechnungen. #CoronaElternRechnenAb https://t.co/EsmuK5W9Ch
— Claire Funke ☔️ (@Mamastreikt) May 13, 2020
Eltern, die ihre unbezahlte Care-Arbeit sichtbar machen, kassieren hier einen Shitstorm während Großkonzerne in der Coronakrise Staatshilfen erhalten, um dann trotzdem Milliardengewinne an Aktionäre auszuschütten. Wo ist da eigentlich der Aufschrei?#CoronaElternRechnenAb
— Asha Hedayati (@frauasha) May 13, 2020
Mich stört übrigens nicht, dass ich mich aktuell Vollzeit um mein Kind kümmere ☝🏼️
Mich stört, dass ich "nebenbei" im Homeoffice volle Leistung erbringen muss und so weder meinem Kind noch meiner Arbeit gerecht werden kann ohne daran zu zerbrechen.#CoronaElternRechnenAb— Frau Isolabums 🏰 (@FrauDingsda) May 13, 2020
Im Internet aber nahm das Hashtag eine völlig andere Wendung. Dort zeigten andere User wenig Verständnis und begannen, die Eltern zum Teil heftig zu beschimpfen.
Beim Sex zu blöde für die Verhütung und dann dem Staat die Rechnung für die eigenen Konsequenzen präsentieren.
Genau mein Humor.#CoronaElternRechnenAb— AlterSack (🖕) (@AlterSack10) May 12, 2020
#CoronaElternRechnenAb Ehmm........... euch ist aber schon klar dass das *eure* Kinder sind um die ihr euch kümmern "müsst"?
Dann bitte keine Kinder in die Welt setzen wenn man absolut keinen BOCK hat sich mit denen zu beschäftigen— Kate (@Levicopter) May 12, 2020
Das ist so dumm einfach. Vor allem was ich gesehen hab... so viel verdient kein Erzieher und der hat so um die 10+ Kinder in der Gruppe
— Zyra the Murloc Mama (@Zyralire) May 12, 2020
Auch viele Lehrer und Lehrerinnen fühlten sich von dem Hashtag angegriffen, wirkt es doch so, als würden sie nicht arbeiten, um die Eltern beim Homeschooling zu unterstützen.
Aha. #CoronaElternRechnenAb und stellen in Rechnung, dass sie nebenbei den Job von LehrerInnen übernehmen müssen.
Dürfen wir LehrerInnen dann auch abrechnen, dass wir immer mehr elementare (!) Erziehungsarbeit leisten sollen, die eigentlich von daheim kommen müsste?— Lotta (@Stupsotta) May 12, 2020
Mittlerweile sammeln sich unter dem Hashtag hauptsächlich negative Tweets. Dort wird den Müttern Geldgeilheit vorgeworfen oder gar, dass sie ihre eigenen Kinder hassen würden. Die Gründerinnen des Hashtags haben ihre Accounts inzwischen auf privat schalten müssen.
Krass was passiert wenn Eltern um Anerkennung und Hilfe rufen. Ich hätte mir diesen Shitstorm bei VW, Lufthansa und Co. gewünscht: "Ihr habt euch diese Branche ausgesucht, kommt alleine damit klar, wenn es schwierig wird"#coronaelternrechnenab
— Workingmommy (@Workingmommy6) May 13, 2020
OMG... was aus der tollen Idee #CoronaElternRechnenAb wurde, tut mir unfassbar leid für die wunderbaren Initiatorinnen.
Wie hoch wohl unter den ganzen "Kritikern" der Anteil derer ist, die gerade GLEICHZEITIG beschulen, betreuen, versorgen und voll erwerbsarbeiten müssen? 0 %?— Scherbenchaos (@Scherbenchaos) May 12, 2020
Schon vor ein paar Wochen hatten Eltern auf Twitter unter #CoronaEltern versucht, auf ihre Erschöpfung und die Belastung hinzuweisen, in der Politik fand das wenig Echo und wie der Shitstorm gegen #CoronaElternRechnenAb zeigt, scheint auch in der Gesellschaft kaum Verständnis zu herrschen. Die leise Hoffnung, dass die Corona-Krise die Wertschätzung für Care-Arbeit und Bildungsarbeit steigern könnte, scheint sich nicht zu erfüllen. Stattdessen steigt die Frustration weiter an, während die Lösungsansätze für Kitas und Schulen nur stückweise und stotternd ins Rollen kommen.
Corona-Krise: Die aktuellen Entwicklungen gibt’s hier