Das rote Jahr: Wie das SPD-Comeback 2021 gelang

Es ist ein kleines rotes Wunder. Zum Beginn dieses Jahres drohte die SPD vollends unterzugehen. Im Dezember 2021 ist sie an der Regierung und in so guter Verfassung, wie seit langem nicht.

SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz mit Daumen-Hoch-Geste
Ungewohnt happy: Olaf Scholz führte die SPD zurück an die Spitze und tritt nun die Merkel-Nachfolge an. (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke/Pool)

Noch vor zwei Jahren forderten die aufmüpfigen Jusos auf ihrem Bundeskongress Ende November kämpferisch "Nikolaus ist GroKo-Aus". Es folgten innerparteiliche Querelen und ein tiefer Absturz. Anfang des Wahljahres 2021 befanden sich die Sozialdemokraten im ungeahnten Tiefflug und mussten beinahe hoffen, dass die Grünen plötzlich mit ihren Shootingstars das Kanzleramt erobern würden um die SPD noch einmal als kleinen Koalitionspartner an der Regierung zu beteiligen.

Mit stoischer Ruhe ins Kanzleramt

Es kam bekanntlich anders, Olaf Scholz beharrte mit seiner hanseatisch-stoischen Ruhe auf die Siegchance seiner Partei. Die setzte im Wahlkampf voll auf ihren Kandidaten und darf nun nach 16 Jahren Angela Merkel zum ersten mal wieder einen Kanzler stellen. Sogar der Koalitionsvertrag mit der auf Bundesebene neuen Ampel wurde nun mit sagenhaften 98,8 Prozent der Stimmen vom Parteitag durch gewunken. Und mit Kevin Kühnert führt der Kopf des auch im Bundestag stark vertretenen linken Juso-Flügels die Partei künftig als Generalsekretär.

Die ungeliebte GroKo, auf die sich die SPD durch die politischen Manöver der FDP zähneknirschend erneut einlassen musste, ist Geschichte. Für viele Genossen dürfte das ein Grund zum Aufatmen sein. Denn wie wenig Rückhalt die Koalition aus CDU und SPD bei der Basis hatte, ließ sich nicht nur an den Nikolaus-Forderungen der Jusos ablesen. Auch der letzte Koalitionsvertrag mit der CDU bekam nur knapp über 66 Prozent Zustimmung bei den Mitgliedern.

Der ehemalige Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert beim Parteitag der SPD im Dezember.
Kevin Kühnert forderte, dass von dem "Laden noch was übrig bleibt" und darf jetzt als Generalsekretär selbst dafür sorgen. (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke/Pool)

Die Fehler der anderen

Dass die SPD ein dermaßen starkes Comeback hinlegte, hat natürlich auch seine Gründe in den Fehlern der politischen Gegnern. Den Grünen wurde das Schicksal vom letzten SPD-Hoffnungsträger Martin Schulz zuteil, indem sie zu früh in den Umfragen nach oben schossen und danach als primäres Ziel der anderen Parteien ausgemacht wurden. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock schaffte es im Wahlkampf dann nicht, das erhoffte Potenzial einzulösen und ausreichend Neuwähler*innen zu gewinnen, um die prognostizierte Mehrheit zu holen. Auch bei der CDU stellte sich Armin Laschet vornehmlich selbst Hindernisse in den Weg. Der schwierige Spagat, sich einerseits von der Ära-Merkel abzusetzen, ohne die Anhänger*innen der Kanzlerin zu verschrecken, gelang ihm nicht.

Olaf Scholz machte das besser. Irgendwie schienen die Deutschen in dem Hamburger die Mischung aus Kontinuität und notwendigem Aufbruch zu finden. Die vermeintlichen Fehler der Regierung insbesondere in der Corona-Politik und beim Abzug aus Afghanistan wurden ihm nicht angekreidet. Stattdessen konnte er als Finanzminister beim Verteilen der Pandemie-Hilfen "mit der Bazooka" Punkte sammeln. Und so konnte der ehemalige Hamburger Bürgermeister seelenruhig mit ansehen, wie sich die Konkurrenz selbst zerlegte und die SPD am Wahltag plötzlich ganz vorne stand.

Wie Merkel - nur anders

Nun sind 25,7 Prozent auch kein richtig überwältigendes Ergebnis und letztlich auch nur 5,2 Prozent über dem historischen Wahldebakel 2017. Dass dieser Ausgang der Bundestagswahl dennoch so überraschend war, liegt vor allem daran, dass die SPD noch im Juli bei nur 15 Prozent der Stimmen in Umfragen weit abgeschlagen war. Außer Scholz glaubte da wohl kaum noch jemand an einen Sieg. Doch der damalige Vize-Kanzler hatte von Merkel lernen können, wie man die Ruhe bewahrt, von den Fehlern der anderen profitiert und Stabilität vermittelt. Daran konnten auch die WireCard- und CumEx-Skandale nichts ändern, von deren Nachwirkungen an Scholz so gut wie nichts haften blieb.

Geschlossenheit in Rot

Dazu wirkte die SPD zum ersten Mal seit Jahren geschlossen. Die Überraschungsvorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans waren eigentlich Scholz-Konkurrenten, stellten sich nun aber hinter ihn. Selbst die aufmüpfigen Jusos unter Kühnert reihten sich ein. Während in den anderen Parteien parallel um Posten gestritten wurde und Details nach außen drangen, schwor man sich bei den Genossen auf das Ziel Bundestagswahl ein – mit Erfolg. Zur Belohnung darf der linke Flügel nun durch Kühnert einen Großteil der Partei-Zukunft mitgestalten, während die Wahl von René Klingbeil an Stelle des zurückgetretenen Walter-Borjans eher dem konservativen Teil der Sozialdemokraten Rechnung trägt. Es scheint, als sei die SPD nach vielen Jahren wieder etwas bei sich und in der vielbeschworenen Mitte angekommen. Inwieweit sie das unter Scholz in Regierungspolitik umsetzen kann, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.

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