Das unfassbare Verschwinden von 43 mexikanischen Studenten: Kommission präsentiert Ergebnisse

Es war ein Verbrechen, dass ganz Mexiko erschütterte. Vor acht Jahren verschwanden 43 Studenten zunächst spurlos. Nun hat die Untersuchungskommission ihre Ergebnisse präsentiert.

Demonstration in Mexiko Stadt mit Bildern der verschwundenen Studenten.
Die Zahl 43 ist mittlerweile zum Symbol für das Versagen der Behörden im Kampf gegen die Gewalt in Mexiko geworden. (Bild: 2019. REUTERS/Carlos Jasso)

Der Fall der verschollenen Studierenden rückt nun wieder in die öffentliche Aufmerksamkeit, ausgerechnet während Mexiko erneut von einer Welle der Gewalt überrollt wird. Im Mai 2022 wurde zum ersten Mal die Marke von 100.000 verschwundener Personen überschritten, wie das Nationalregister des mexikanischen Innenministeriums bekannt gab. Seit dem sogenannten Drogenkrieg, der im Jahr 2006 begann, sind Schätzungen unabhängiger Organisationen zufolge mehr als 350.000 Menschen ermordet worden. Allein im vergangenen Jahr gab es im Durchschnitt 94 Morde an jedem Tag.

Die Verschwundenen von Mexiko

Immer wieder kommt es in dem Land, das fast 130 Millionen Einwohner*innen hat, zu unvorstellbar grausamen Gewalttaten. Meist trifft es Mitglieder von verfeindeten Drogenkartellen. Doch oft sind es auch Unbeteiligte, die zum Opfer der Gewalt werden. Mexiko liegt für viele Migrant*innen auf dem Weg aus Mittel- oder Südamerika in die USA. Besonders Frauen sind den "Coyotes", den Menschenschleppern häufig schutzlos ausgesetzt. Allein in der berüchtigten Ciudad Juárez, in der das Sinaloa- und das Juárez-Kartell um die Vormacht kämpfen, verschwanden tausende Frauen spurlos - oder ihre Leichen wurden in der Wüste verscharrt aufgefunden.

Gewalt in Mexiko: Erneut Journalist ermordet

Auch Politiker*innen und kritisch berichtende Journalist*innen werden immer wieder auf offener Straße hingerichtet. Mexiko gilt als eines der gefährlichsten Länder für Reporter*innen, allein in diesem Jahr wurden bereits 14 Journalisten ermordet. Dabei ist die Verstrickung zwischen Politik, Drogenkartellen, Polizei und Militär oft undurchsichtig. Genau deshalb erweckt der acht Jahre alte Fall der 43 verschwundenen Studenten nun erneut so große Aufmerksamkeit.

Die Gesichter der verschwundenen Lehramtsstudenten auf Stühlen an ihrem Ausbildungsinstitut
Die Gesichter der verschwundenen Lehramtsstudenten auf Stühlen an ihrem Ausbildungsinstitut "Raul Isidro Burgos" (Bild: REUTERS/Luis Cortes)

Zum Einen erklärte die Regierung die jungen Männer nun offiziell für tot. Wie die "dpa" berichtet, sagte der Staatssekretär für Menschenrechte, Alejandro Encinas, dass alle Hinweise auf diese "traurige Realität" hindeuteten. Das sei den Angehörigen der Studenten bei einem "schmerzhaften Treffen" mit Präsident Andrés Manuel López Obrador mitgeteilt worden. Zum Anderen ist aber auch die Rolle von Polizei und Behörden in dem Verbrechen nach wie vor äußerst umstritten.

Die Studenten waren Teil einer Gruppe von Studierenden des Lehrerseminars Ayotzinapa in Iguala im Bundesstaat Guerrero, die am 26. September 2014 mit mehreren Bussen zu einer Demonstration in Mexiko Stadt fahren wollten, um dort gegen die schlechten Arbeitsbedingungen für Lehrer zu demonstrieren. Auf dem Weg dorthin waren die Busse von Polizisten gestoppt und die 43 jungen Männer verschleppt worden und von den Beamten an das Verbrechersyndikat Guerreros Unidos übergeben worden.

Die verzweifelte Suche der Familien nach Antworten

Unerlässlich hatten seitdem die Angehörigen und Menschenrechtsorganisationen darauf gedrungen, das Verschwinden aufzuklären. Die Eltern hatten bei regelmäßigen Demonstrationen gefordert: "Lebend habt ihr sie uns genommen, lebend wollen wir sie zurück". Lediglich von drei der Vermissten wurden bislang Knochenfragmente gefunden. Im Zuge der Ermittlungen versuchten staatliche Stellen immer wieder, die Rolle der Polizei in dem Verbrechen zu vertuschen. Soldaten aus der Kaserne nahe des Tatorts hatten die Entführung nicht nur zugelassen, sie halfen sogar dabei, Studenten zu suchen, die dem Überfall entkommen waren, wie die mexikanische Medien nachweisen konnten. Das Militär hatte stets behauptet, in der Tatnacht hätten sich keine Soldaten auf den Straßen der Stadt bewegt. Dabei waren die Lehramtsstudenten eng überwacht worden und es befand sich sogar ein verdeckter Ermittler des Militärs in der Gruppe in einem der Busse. Dieser ist bis heute nicht wieder aufgetaucht, wie die Investigativ-Recherche zeigte.

Kommission spricht von "Staatsverbrechen"

Nun hat die zuständige Untersuchungskommission ihre Ergebnisse präsentiert. Staatssekretär für Menschenrechte Encinas wies die Regierungsversion zurück, nach der die Studenten getötet und dann auf einer Müllkippe verbrannt worden seien. Er sprach dagegen von einem Staatsverbrechen, an dem auch Vertreter verschiedener Institutionen beteiligt gewesen seien. Noch sind die Hintergründe weiterhin nicht vollständig aufgeklärt. Die Ermittlungen sollen fortgesetzt werden. Mexikos Präsident López Obrador war zuvor vom harten Kurs seines Vorgängers im Drogenkrieg abgewichen und war in einer "Friedensmission" auf die Kartelle zugegangen. Viele Expert*innen warnten davor, dass dies die Gewalt eher eskalieren würde. Die aktuelle Entwicklung gibt ihnen recht.

Die Geschichte der "43" bewegt die Menschen in Mexiko weiterhin. Immer wieder tauchen der Bus und die Zahl in Kunstwerken auf. Die zweiteilige Netflix-Doku "Die 43 von Iguala" von 2019 spürt dem Verschwinden nach, der ausgezeichnete Spielfilm "Was geschah mit Bus 670?" aus dem Jahr 2020 zeigt eine fiktive Version der verzweifelten Spurensuche. Für die realen Angehörigen geht die Suche nach Antworten über das Schicksal ihrer Söhne und Brüder weiter.

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