Wenn Dekadenz auf Flüchtingsschicksal trifft: Das sind die Streaming-Tipps der Woche

Auf der "Orrizonte" steht plötzlich nicht mehr Luxus, Reichtum und Sorgenlosigkeit im Mittelpunkt. (Bild: Sky)
Auf der "Orrizonte" steht plötzlich nicht mehr Luxus, Reichtum und Sorgenlosigkeit im Mittelpunkt. (Bild: Sky)

WOW lässt Flüchtlingsschicksale mit der Dekadenz von Kreuzfahrttouristen kollidieren. Netflix erzählt derweil eine berührende Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Welche Streaming-Highlights die kommende Woche bereithält, verrät die Übersicht.

Restaurants, Pools, Bars, Shopping Malls, Spielhallen: Die Ablenkung der Kreuzfahrtgäste auf der "Orrizonte" ist futsch, als schiffbrüchige Migranten an Bord kommen. "Unwanted" (bei WOW) zeigt die Gesellschaft in einem Mikrokosmos auf dem Meer: Niemand kann in den acht Episoden vor den Problemen weglaufen. Was Netflix, Prime Video und Co. in den nächsten Tagen sonst noch zu bieten haben, erfahren Sie in der Übersicht.

Trotz der betrüblichen Ereignisse des Zweiten Weltkriegs verliert Marie-Laure (Aria Mia Loberti) ihre Hoffnung nicht. (Bild: Netflix)
Trotz der betrüblichen Ereignisse des Zweiten Weltkriegs verliert Marie-Laure (Aria Mia Loberti) ihre Hoffnung nicht. (Bild: Netflix)

"Unwanted", WOW

Es ist immer wieder beeindruckend, wie sich die "Orrizonte" mit ihren Terrassendecks ins Bild schiebt. Das Kreuzfahrtschiff pflügt majestätisch durch das Mittelmeer, ein schwimmender Palast, in dem Luxus völlig in Ordnung ist und in dem die Welt ausgeblendet werden kann. Dafür bezahlen die Gäste schließlich. Doch die Sky-Serie "Unwanted" mit Jessica Schwarz holt ab 3. November (Sky Atlantic, Sky Q und Wow) die Realität an Bord: Die "Orrizonte" nimmt 28 geflüchtete Menschen auf, die auf dem Mittelmeer Schiffbruch erlitten haben.

Während die meisten der 5.000 Passagiere weiterhin feiern und schlemmen, nimmt das Schiff auf Geheiß von Politik und Reederei Kurs auf Nordafrika, um die Geflüchteten zurückzubringen. Für ihre Probleme ist man nicht zuständig. In ihrer Verzweiflung wehren sich die Menschen und kapern das Schiff. Wie in der großen Gesellschaft bilden sich auf der "Orrizonte" schnell Lager. Ein Polizist, der jeden Tag mit "denen" zu tun hat, will wissen, dass sie ohnehin nur Dealer und Kriminelle werden. Der Kapitän (Marco Bocci) folgt den Anweisungen von oben. Die erste Offizierin Edith (Jessica Schwarz) appelliert an die Verantwortung und Menschlichkeit.

Brisant und aktuell erzählt Oliver Hirschbiegel ("Der Untergang") in "Unwanted" von schmerzvollen Erfahrungen. Die Geschichten der Geflüchteten basieren auf dem Buch "Bilal" des Investigativjournalisten Fabrizio Gatti, der seine Erfahrungen auf seiner Reise entlang der Sahara-Routen beschreibt. Sie fügen sich wie Puzzleteile zusammen: Die abertausenden Migranten sind nicht mehr nur Zahlen, über die gestritten wird. Sie bekommen ein Gesicht. Es sind vergewaltigte Frauen, gefolterte Männer, zwangsrekrutierte Söldner - die auf der "Orrizonte" nicht willkommen sind.

Diana Nyad (Annette Benning, rechts) und Bonnie (Jodie Foster) trainieren für das große Ziel. (Bild: 2023 Netflix)
Diana Nyad (Annette Benning, rechts) und Bonnie (Jodie Foster) trainieren für das große Ziel. (Bild: 2023 Netflix)

"Alles Licht, das wir nicht sehen", Netflix

"Ich hoffe, ihr schaltet auch morgen wieder ein - falls es ein Morgen gibt": Die junge Marie-Laure (Aria Mia Loberti) betreibt eine Radiosendung in betrüblichen Zeiten. 1944 steuert der Zweite Weltkrieg zwar auf ein Ende zu, doch im französischen St. Malo halten die Nazis unter US-amerikanischem Bombenhagel eisern ihre Stellung. Von den qualmenden Ruinen bekommt Marie-Laure optisch nichts mit, sie ist blind.

Doch mit ihrer Stimme, mit der sie über den illegal betriebenen Radiosender Geschichten von Jules Verne und Co. verliest, verbreitet sie in der Netflix-Serie "Alles Licht, das wir nicht sehen" (ab 2. November) ein wenig Normalität. Davon zehrt auch Wehrmachtssoldat Werner (Louis Hofmann). Mit der Ideologie der Nazis hat er nichts am Hut, doch seine genialen Fähigkeiten als Radiobastler wollen sich die Deutschen zunutze machen.

In vier Episoden adaptiert Netflix in "Alles Licht, das wir nicht sehen" den gleichnamigen Roman von Anthony Doerr, der 2015 den Pulitzerpreis gewann. Im Mittelpunkt stehen die gänzlich unterschiedlichen Leben von Werner und Marie-Laure, die sich schicksalhaft überschneiden. Ganz ohne Kitsch kommt das internationale Team mit Stars wie Hugh Laurie und Mark Ruffalo nicht aus. Trotzdem wirft die hochwertig produzierte Serie "Alles Licht, das wir nicht sehen" einen erzählerischen Blick auf den Zweiten Weltkrieg, für den sich das Einschalten lohnt.

In der Beziehung von Anna (Jessie Buckley) und Ryan (Jeremy Allen White) kriselt es. (Bild: Apple )
In der Beziehung von Anna (Jessie Buckley) und Ryan (Jeremy Allen White) kriselt es. (Bild: Apple )

"Nyad", Netflix

Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin kennen sich aus mit sportlichen Höchstleistungen. Ihr Freeclimbing-Film "Free Solo" gewann 2019 den Oscar als bester Dokumentarfilm. Ihr neues Werk "Nyad" (ab 3. November, Netflix) fischt zunächst in ähnlichen Gewässern. Man sieht Szenen aus der Karriere der jungen Extremschwimmerin Diana Nyad, die zahlreiche Langstreckenrekorde sammelte, sich aber mit 30 Jahren aus dem aktiven Sport zurückzog.

An ihrem 60. Geburtstag beschließt Diana Nyad (Annette Benning), ihren gescheiterten Traum nochmal in Angriff zu nehmen: Obwohl sie Jahrzehnte nicht im Wasser war, will sie von Kuba nach Key West in Kuba schwimmen - 177 Kilometer. Mit Trainerin Bonnie (Jodie Foster) nimmt sie das Training auf. Ihr Umfeld erklärt Diana für verrückt, Sponsoren sind skeptisch: Lässt sich eine Seniorin als Sportheldin vermarkten?

Ein paar Längen hat "Nyad", wenn sich die Versuche wiederholen. Denn eine Schwimmerin auf offener See, die von großer Logistik und Begleitboten geleitet wird, gibt nur eine begrenzte Anzahl neuer Bilder her. Dennoch faszinieren Bennings und Fosters einnehmendes Schauspiel, die Geschichte wie auch ihre technisch-filmische Umsetzung.

Sammy (Gabriel LaBelle) liebt nichts so sehr wie das Filmen. (Bild: 2022 Storyteller Distribution Co.)
Sammy (Gabriel LaBelle) liebt nichts so sehr wie das Filmen. (Bild: 2022 Storyteller Distribution Co.)

"Fingernails", Apple TV+

"Wir sind positiv": Anna (Jessie Buckley) und Ryan (Jeremy Allen White) könnten glücklicher nicht sein. Angeblich ist ihre unumstößliche Liebe zueinander sogar technologisch verbrieft. Zumindest besagt das eine neue Technologie, die so faszinierend wie umstritten ist: Der Test verspricht, nur anhand der Fingernägel zweier Personen deren Beziehungspotenzial anzuzeigen - Scheidungen und unglückliche Beziehungen gehören demnach der Vergangenheit an.

Anna hält davon wenig und macht es sich deswegen zur Aufgabe, die Wirkweise des Tests zu ergründen: Sie nimmt einen neuen Job in einem Liebestestinstitut an - und stellt schon bald ihre Zuneigung zu Ryan infrage. Das liegt vor allem an der Tatsache, dass ihr undurchsichtiger Ausbilder Amir (Riz Ahmed) eine bis dato nicht für möglich gehaltene Anziehung auf Anna ausübt.

Im Anschluss entspinnt sich in "Fingernails", dem englischsprachigen Filmdebüt des griechischen Regisseurs Christos Nikou, eine Romcom der anderen Art. Statt Kitsch fragt der Filmemacher philosophisch angehaucht nach den Grundpfeilern von Liebe. Zu ernst nimmt sich die Dramödie trotzdem nicht, sondern setzt auch schwarzen Humor. Ab 4. November können sich davon alle Streamingfans bei Apple TV+ überzeugen.

"Die Fabelmans", WOW

Er machte Haie zu ikonischen Monstern, erzählte von außerirdischen Besuchern, erweckte die Dinosaurier wieder zum Leben und schickte Weltkriegssoldaten auf mitreißende Rettungsmissionen: Wer an "großes Kino" denkt, denkt immer auch an Steven Spielberg. Das Kinoerlebnis selbst nahm in der Arbeit von Spielberg, der das Spektakel und moderne Technik liebt, immer einen großen Platz ein. Insofern fällt sein aktueller Film etwas aus dem Rahmen - oder auch nicht. In "Die Fabelmans" (ab 4. November, WOW) erzählt Steven Spielberg die Geschichte von Steven Spielberg.

Er zeigt einen kleinen Jungen, sein Alter Ego Sammy Fabelman (Mateo Zoryan Francis-DeFord), der die Magie des Kinos für sich entdeckt und daraus mit Fleiß und Erfindungsreichtum eine Leidenschaft entwickelt, die über allem steht: "Die Fabelmans" zeichnet mit kleinen Schritten und großen Gesten nach, wie Steven Spielberg zu dem Visionär wurde, der über Jahre immer wieder neu definierte, was Menschen vom Kino erwarten. Ein Film übers Filmedrehen, eine Geschichte übers Geschichtenerzählen.

Spielberg setzt sich mit "Die Fabelmans" selbst ein Denkmal, verarbeitet darüber hinaus aber auch seine eigene Biografie, die sich nicht nur aus Seifenblasen und Luftschlössern zusammensetzt. Sammys Mutter Mitzi (Michelle Willilams) leidet während seiner Kindheit unter Depressionen, sein Vater Burt (Paul Dano) begegnet großen Träumereien mit ernüchternder Rationalität, und in der Schule erlebt der jüdische Sammy antisemitische Anfeindungen.