Der Preis für Deniz Yücels Freilassung – Diskussion über politische Geschäfte mit der Türkei bei „Anne Will“

Zu Gast bei „Anne Will“ waren (v.l.n.r.): Ulf Poschardt („Welt“-Chefredakteur), Peter Steudtner (Menschenrechtsaktivist), Norbert Röttgen (CDU), Michael Roth (SPD) und Sevim Dagdelen (Die Linke). (Bild: NDR/Wolfgang Borr)
Zu Gast bei „Anne Will“ waren (v.l.n.r.): Ulf Poschardt („Welt“-Chefredakteur), Peter Steudtner (Menschenrechtsaktivist), Norbert Röttgen (CDU), Michael Roth (SPD) und Sevim Dagdelen (Die Linke). (Bild: NDR/Wolfgang Borr)

Nach über einem Jahr ohne Anklage in einem türkischen Gefängnis kam der „Welt“-Journalist Deniz Yücel vor wenigen Tagen frei. Wie die Freilassung zustande kam und was sie für das deutsch-türkische Verhältnis bedeutet, diskutierte Anne Will am Sonntagabend mit ihren Gästen.

Auch wenn die Haftentlassung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel landesweit für Aufatmen sorgte: Sein Fall – und der von zahlreichen anderen, immer noch inhaftierten Journalisten in der Türkei – ist hochproblematisch. In einer Videobotschaft nach seiner Entlassung erklärte Yücel, immer noch weder zu wissen, warum er eigentlich in Haft saß (eine Anklage blieb aus), noch, warum er ein Jahr nach Haftbeginn wieder entlassen wurde.

CDU-Politiker Norbert Röttgen ist indes überzeugt, dass es sich hierbei um ein Politikum handle. Es sei „völlig klar, dass die Freilassung so politisch war wie die Festnahme“, so Röttgen. Es sei völlig klar, dass der türkische Staatschef Erdogan Bedingungen im Sinn hatte.

Norbert Röttgen sieht die Bedingungen für die Freilassung Yücels kritisch. (Bild: NDR/Wolfgang Borr)
Norbert Röttgen sieht die Bedingungen für die Freilassung Yücels kritisch. (Bild: NDR/Wolfgang Borr)

„Ich glaube, dass Sigmar Gabriel einen fatalen Zusammenhang selber hergestellt hat zwischen der Inhaftierung von Yücel und der Modernisierung des Leopard 2“, spielt Röttgen auf die von der Türkei gewünschte Modernisierung des deutschen Kampfpanzers Leopard 2 an, der von der Türkei zurzeit im Kampf gegen die kurdische Miliz YPG in Syrien genutzt wird. Gabriel hatte in einem „Spiegel“-Interview Anfang des Jahres noch über einen derartigen Deal gesprochen, war damit allerdings auf heftige Kritik gestoßen.

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Den Vorwurf eines solchen Deals entkräftete der „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt: „Deniz hat sehr früh klargemacht, er würde nicht kommen wollen, wenn es einen Deal geben würde. Das ist ein Typ, der sagt das nicht nur, der zieht das eisenhart durch.” Auf die Frage, was wäre, wenn es doch ein Gegengeschäft gegeben hätte: „Das wäre für Deniz schrecklich“, so der Journalist, „der wäre in der Zelle geblieben.“ Poschardt zeigte sich sichtlich glücklich über die Freilassung seines Kollegen und sprach von einem Verdienst der Politik sowie Yücels Freundeskreis: „Sie haben sich hinreißend um ihn gekümmert.“

Lob für die deutsche Diplomatie kam auch von Linken-Politikerin Sevim Dagdelen – allerdings sieht sie die Lage pessimistisch: „Ich möchte ausdrücklich der deutschen Diplomatie danken. (…) Aber man sollte sich nicht vormachen (…), dass die Türkei auf einmal ein Rechtsstaat und eine Demokratie ist.” Erdogan stehe gerade wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand und brauche finanzielle Hilfe, so Dagdelen.

SPD-Politiker Michael Roth stellte klar: „Es gibt keinerlei Absprachen!“ Ansonsten zeigte sich Roth über die Lage der Türkei betont nüchtern und illusionslos: „Die türkische Regierung hat in allen Gesprächen immer auf die Unabhängigkeit der türkischen Justiz hingewiesen“, so Michael Roth. „Da müssen Sie wohl selber schmunzeln“, unterbrach ihn die Moderatorin. „Ich schmunzele deshalb, weil wir natürlich wissen, dass es in der Türkei schlecht um die Demokratie, schlecht um die Medienfreiheit, schlecht um die Meinungsfreiheit steht.“ Jedoch müsse man eben auch mit Regierungen wie jener der Türkei in Kontakt bleiben und weiterhin verhandeln.

Menschenrechtler Peter Steudtner forderte einen Stopp von deutschen Waffenexporten. (Bild: NDR/Wolfgang Borr)
Menschenrechtler Peter Steudtner forderte einen Stopp von deutschen Waffenexporten. (Bild: NDR/Wolfgang Borr)

Für den emotionalen Höhepunkt der Sendung sorgte der Menschenrechtsaktivist und Dokumentarfilmer Peter Steudtner. Dieser wurde 2017 in der Türkei inhaftiert, als er dort auf einem Fortbildungsseminar für Menschenrechtler referierte. Der Vorwurf: Unterstützung einer bewaffneten Terrororganisation. Steudtner saß vier Monate im selben Gefängnis wie Yücel und wurde im Oktober 2017 überraschend freigelassen.

Sein Appell: „Wenn ich nicht sicherstellen kann, dass ein anderes Land Waffen innerhalb der Menschenrechtsgesetzgebung einsetzt, dann kann ich sie nicht verkaufen […]. Ich glaube, dass der Waffenhandel insgesamt abgeschafft gehört.“ Er habe mittlerweile viele Freunde in der Türkei und hoffe, dass sich die dortige Lage bald bessert: „Mein größter Wunsch wäre, möglichst bald in die Türkei reisen zu können und mit meinen Freunden feiern zu können – aber bitte auch dann mit den zigtausend anderen, die noch freigelassen werden müssen.”

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