Deutschland hat keinen Box-Weltmeister mehr: Was machen die Altmeister, wer sind die Hoffnungsträger?

Tyron Zeuge (26) hat am Samstag in Offenburg seinen WBA-Gürtel im Super-Mittelgewicht an den Briten Rocky Fielding (30) verloren. Deutschland hält nun keinen WM-Titel der relevanten Box-Verbände (IBF, WBA, WBC, WBO) mehr. Sein Trainer Jürgen Brähmer warf in der fünften Runde das Handtuch nach einem Leberhaken, der Zeuge auf die Bretter schickte, in den Ring. Sein Boxer hatte gegen den größeren Fielding und dessen Reichweite keine Mittel gefunden. Der bis Samstag ungeschlagene Boxer aus dem Sauerland-Stall hatte sich 2016 im Rückkampf gegen Giovanni de Carolis zum Weltmeister gekrönt und den Titel drei Mal erfolgreich verteidigt.

Rocky Fielding entthront den deutschen Weltmeister im Supermittelgewicht, Tyron Zeuge. Bild-Copyright: Christian Kaspar-Bartke/Bongarts/Getty Images
Rocky Fielding entthront den deutschen Weltmeister im Supermittelgewicht, Tyron Zeuge. Bild-Copyright: Christian Kaspar-Bartke/Bongarts/Getty Images

Die Gründe für die Niederlage sind vielfältig. Während das relativ unbeschriebene Blatt Fielding sehr fokussiert antrat, wirkte Zeuge für Außenstehende ein bisschen so wie die deutsche Fußballnationalmannschaft während der WM: leicht überheblich, siegesgewiss, den Gegner unterschätzend, aber trotz Einsatzbereitschaft etwas wirkungslos. Sport1-Experte Graciano Rocchigiani fehlte der Kampfgeist des Titelverteidigers: “Nach dem ersten Gegentreffer war sein Herz weg, er hat keine Gegenwehr mehr geleistet.” Sein Trainer zeigt hingegen mit dem Finger auf den Promoter, der den Kampf recht kurzfristig angesetzt habe, sodass nur sechs Wochen Vorbereitung möglich gewesen seien. “Tyron wurde zu diesem Kampf gezwungen. Ich kann ihm wegen der Niederlage keinen Vorwurf machen”, sagt Brähmer.

Sauerland ohne Champion
Erstmals seit 2004 hat Sauerland Event keinen Weltmeister mehr im Stall. Überhaupt setzt die bekannteste deutsche Box-Promotion inzwischen verstärkt auf Skandinavier. Der Markt wandelt sich. Zahlreiche kleinere Ställe drängen in den Markt, in dem sich schon seit etlichen Jahren Weltmeister wie einst Felix Sturm selbstständig machen. Dabei gelingt es den etablierten Unternehmen wie Sauerland Event dank ihrer jahrelangen Erfahrung und Kontakten ziemlich gut, ihre Schützlinge schon relativ früh um Titel boxen zu lassen. Meist mit Heimvorteil auf deutschem Boden, häufig mit Rückkampfoption bei Niederlagen. Im Vertrag für den Fielding-Kampf, einer freiwilligen Titelverteidigung, bei der so eine Option laut Brähmer Usus sei, fehlte eine solche Klausel.

Wilfried Sauerland, der sich eigentlich schon aus dem Business zurückgezogen hatte und seit diesem Jahr wieder ins Tagesgeschäft eingreift, ist sich aber sicher, aufgrund guter Beziehungen zum Fielding-Management jederzeit einen Rückkampf zu bekommen. Wenn er will. Denn ob es für Zeuge bei Sauerland weitergeht, ist alles andere als gewiss. Brähmer jedenfalls hat dort keine Zukunft mehr. Sein Wasserflaschenwurf nach dem Zeuge-Knockout in Richtung Sauerland-Geschäftsführung werde ein Nachspiel haben.

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Wer folgt auf Zeuge?
Sauerland Event will natürlich wieder Weltmeister hervorbringen. Der Stall hat ja noch Vincent Feigenbutz. Dem jungen Heißsporn verhalf das Management vor zwei Jahren zu einem WM-Kampf. Da war Feigenbutz gerade einmal 20 Jahre jung. Das Duell gegen den elf Jahre älteren Giovanni de Carolis kam zu früh, Feigenbutz ging unter. Seit der Niederlage hat der Supermittelgewichtler alle sieben Kämpfe gewonnen. In der WBA-Weltrangliste steht er auf dem zweiten Platz und darf sich Hoffnungen auf eine baldige WM-Chance machen. Aber auch in anderen Boxställen und Gewichtsklassen gibt es aussichtsreiche Kandidaten, die möglicherweise in naher Zukunft Weltmeister werden könnten.

Vincent Feigenbutz hat seinen IBF-Intercontinental-Titel im Supermittelgewicht erfolgreich verteidigt und sich damit wohl seine nächste WM-Chance erarbeitet. Bild-Copyright: Martin Rose/Bongarts/Getty Images
Vincent Feigenbutz hat seinen IBF-Intercontinental-Titel im Supermittelgewicht erfolgreich verteidigt und sich damit wohl seine nächste WM-Chance erarbeitet. Bild-Copyright: Martin Rose/Bongarts/Getty Images

Schwergewicht: Schwarz, Kabayel und Huck
Tom Schwarz, 24 Jahre jung, bei SES-Boxing unter Vertrag, zählt zu den Hoffnungsträgern im Schwergewicht. Er hat bislang alle seiner 21 Profikämpfe gewonnen, davon 13 durch K.O. Auch sein Stallkollege Agit Kabayel steigt kontinuierlich auf. Unlängst besiegte der 25-jährige Kurde Dereck Chisora. Die Knockout-Quote des 18-fachen, ungeschlagenen Siegers im Boxring liegt bei 72%.

Ganz anders sieht es beim gebürtigen Bosnier Marco Huck aus. Seine Zeit im Cruisergewicht ist vorbei. Der Ex-Weltmeister hat in seiner ursprünglichen Gewichtsklasse in den letzten Jahren gegen jedes ungeschlagene, härtere Kaliber (Krzysztof Glowacki, Mairis Briedis, Oleksandr Usyk) verloren. Nun wagt er einen Neuanfang. Seinen ersten Kontrahenten im Schwergewicht, Yakup Saglam, knockte er im Juni aus.

Seinen Platz im Cruisergewicht könnte Noel Gevor einnehmen. Zumindest ist der Zug für den in Armenien geborenen Sauerland-Boxer noch nicht abgefahren. Der 27-Jährige mit deutschem Pass hat seine einzige Niederlage bislang vor etwas über einem Jahr gegen den erfahrenen Krzysztof Wlodarczyk hinnehmen müssen.

Leichtere Hoffnungsträger
Karo Murat (34 Jahre, 32 Siege, 3 Niederlagen), Dominic Bösel (28 / 27 / 1) und Enrico Kölling (28 / 26 / 2) stehen ganz weit oben im IBF-Ranking der Halbschwergewichte. Kölling hatte bereits eine WM-Chance, ging gegen Artur Beterbiev jedoch zu Boden. Im Duell der Titelkampfanwärter trifft er am 27. Oktober in Weißenfels auf Bösel, dem wiederum Murat die weiße Weste versaut hatte. SES-Boxing dürfte der gefragteste Stall im Halbschwergewicht sein. Neben Bösel und Kölling schickt Promoter Ulf Steinforth mit Adam Deines (27 / 15 / 0) einen weiteren aufstrebenden Kämpfer ins Rennen.

Zu den gefragtesten Gegnern im Supermittelgewicht zählt immer noch Artur Abraham. Der 38-jährige Deutscharmenier hat seinen Zenit allerdings ebenso wie der in der Versenkung verschwundene Russendeutsche Robert Stieglitz (37) überschritten. Für die stärksten Haudegen dieser Gewichtsklasse reicht der Punch der beiden deutschen Ex-Weltmeister nicht mehr. Der gebürtige Kosovare Robin Krasniqi (31), ebenfalls unter deutscher Flagge unterwegs, hat gegen die großen Namen Nathan Cleverly, Abraham und Brähmer bereits verloren. Und ob Brähmer (39) noch einmal als Aktiver in den Ring steigt oder sich ganz aufs Coachen verdingt, bleibt abzuwarten.

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