Kommentar: Die AfD interessiert sich nicht wirklich für jüdisches Leben in Deutschland

Religiöse Toleranz zählt – zumindest in der Außendarstellung – nicht gerade zur den Kernkompetenzen der AfD. (Bild: Kay Nietfeld/dpa)
Religiöse Toleranz zählt – zumindest in der Außendarstellung – nicht gerade zur den Kernkompetenzen der AfD. (Bild: Kay Nietfeld/dpa)

Rechtspopulisten wollen sich mit Juden solidarisieren. Im Faktencheck erweist sich dieses Manöver als Etikettenschwindel.

Ein Kommentar von Jan Rübel

In den Sozialen Medien ist zuweilen von enttäuschter Liebe zu lesen – oder was man dafür hält, wie im richtigen Leben. In Internetforen jüdischer Gruppen und Organisationen gibt es immer wieder die Appelle von AfD-Anhängern: Schließt euch uns an. Wir verteidigen euch gegen den Antisemitismus im Land. Wir unterstützen Israel gegen die arabische Welt.

Wer dann weiter liest, stößt auf die stets gleichen Antworten: Die Braut will nicht. Bisher laufen Juden der AfD nicht gerade die Türen ein – warum eigentlich, wenn der Partei der Schutz jüdischen Lebens angeblich so wichtig ist?

Weil die Rechtspopulisten kaum eine Gelegenheit verstreichen lassen, dass dieses Interesse bestenfalls in sandigem Boden wurzelt und schlimmstenfalls den eigenen Antisemitismus kaum zu verbergen versucht.

Wenn es konkret wird

Jüngstes Beispiel: das Verhalten der Neusser AfD zum geplanten Bau einer Synagoge. Alle Parteien, CDU, SPD, FDP und Gründe haben in der Stadt den Bau einer Synagoge, den Ausbau des Gemeindezentrums und mittelfristig einen neuen Friedhof beschlossen. Das Gemeindeleben vor Ort ist aktiv und wächst. Neuss soll sich zum regionalen Zentrum für jüdisches Leben entwickeln. Zwei Stadtverordnete aber stimmten dagegen: Ein muslimischer Politiker bemängelte, eine ähnliche Hilfe gebe es nicht für islamische Gemeinden – und der AfD-Vertreter meinte, solch ein Beschluss verstoße gegen das Neutralitätsgebot des Staates.

Nun könnte die AfD auch die Partei der maximalen Verfassungspatrioten sein, die inoffizielle Gewerkschaft aller Oberjuristen im Lande, der Paragraphenritter und Artikelhochhalter. Ist sie aber nicht. Bisher fiel die AfD eher dadurch auf, mal fünfe gerade sein zu lassen, wenn es um ihre Inhalte ging. Da fällt schon auf, wie nun Begriffe wie “Neutralität” oder “Gerechtigkeit” eine derartig hohe Messlatte für die Parteiaktiven darstellen, dass sie diese nicht unterlaufen wollen.

Kennen all die anderen Parteien womöglich nicht die deutschen Gesetze? Oder kennen sie zwar die rechtlichen Grundlagen unseres Landes, trauen sich aber nicht an ihre Umsetzung, weil sie einfach Mainstream sind, fremdgesteuert oder wasauchimmer?

Neutralität ist eine Schutzbehauptung. Denn auch AfD-Politiker wissen, dass in jeder deutschen Kleinstadt Gedenktafeln an jenen Orten hängen, die einmal Heimat von Synagogen gewesen waren. Die Gebetshäuser wurden überall zerstört, weil dies von staatlicher Hand geplant worden war. Wie will also die AfD aufrichtig mit einer Neutralität argumentieren, wenn es gerade der Staat war, der jüdisches Leben in Deutschland vernichtete; man sollte, folgerichtig denkend, doch zu dem Schluss kommen: Es ist Aufgabe des Staates, den Aufbau jüdischen Lebens zu fördern.

Aber ich vergaß: Was zwischen den Jahren 1933 und 1945 geschah, inklusive der Progromnacht von 1938, war in den Augen des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland ein “Vogelschiss”. Derart kleingeredet, kann einem die neue Pflege dessen, welches unglaublich litt, herzlich egal sein.
Und somit kann die AfD lange darauf warten, sich als glaubwürdige Beschützerin von Juden zu gerieren.

Die AfD weigert sich, einen Politiker wie Wolfgang Gedeon aus der Partei auszuschließen, obwohl er seit Jahren konsequent antisemitischen Kram schreibt. Einen Spitzenmann wie Björn Höcke will sie erst recht nicht verdammen, obwohl seine Reden allein im Stil an einen gewissen Politiker, nunja, erinnern. Und wenn er über die deutsche Regierungspolitik zwischen 1933 und 1945, also der Naziherrschaft, spricht: Dann hört sich das so anders an als man es von Menschen gewohnt ist, die wissen wollen, was los war und ein Verantwortungsgefühl für das hegen, was in ihrem Land vorfiel und vorfällt.

Das passt herrlich zum AfD-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, der als Parlamentarier der CDU einst zu trauriger Berühmtheit reifte, weil für ihn Verantwortungsbewusstsein für die Vergangenheit eine “Bußzeit” war, angesichts jener er die Deutschen als “resozialisiert” ansah, was ihn dazu anhielt, gegen den Bau eines Mahnmals zur Erinnerung an den Völkermord an den Juden zu sein, nach dem Motto: genug ist genug; als gäbe Erinnerung für Aufrichtige keinen Antrieb. Hohmann aber schien dies lästig. Er versuchte es mit lästerlicher Aufrechnung, wo keine war: In einer anderen Rede konstruierte er ein “Tätervolk” von Juden, um eben die “Taten” der Deutschen kleinzureden. Er verglich nämlich die Naziverbrechen mit einer angeblichen Beteiligung von Juden an der russischen Oktoberrevolution und an der stalinistischen Herrschaft, was natürlich hanebüchen war, weil Juden im damaligen Russland auch, wie so oft, als Minderheit zu den ersten Opfern gehörten. Damit schoss sich Hohmann aus der CDU und in die politische Versenkung, bis ihn die AfD reaktivierte.

AfD-Anhänger demonstrieren gegen den Bau einer Moschee in Baden-Württemberg. Macht sie das automatisch zu Freunden der Juden in Deutschland? (Bild: Marijan Murat/dpa)
AfD-Anhänger demonstrieren gegen den Bau einer Moschee in Baden-Württemberg. Macht sie das automatisch zu Freunden der Juden in Deutschland? (Bild: Marijan Murat/dpa)

Echte Hilfe von echten Freunden

Was übrigens das angebliche Parteiherz für Israel angeht, so geriet es gehörig ins Stocken, als AfD-Politiker “privat” nach Syrien reisten und alles ganz dufte fanden. Ob sie die Machthaber um die Clique Baschar al-Assads zum regimeimmanenten Antisemitismus befragten, ist nicht bekannt. Auch im Iran gehört es unter Regierenden zum guten Ton, gegen Israel bis hin zu Vernichtungsphantasien zu wettern, was AfD-Politiker nicht davon abhält für mehr Toleranz gegenüber dem Theologenregime zu werben, denn dies sei ja besser als eine Fluchtbewegung aus dem Land heraus.

Ein ganz anderes Herz, nämlich für Tiere, entdeckt die AfD beim Schächten. Dieses Schlachtritual gilt für gläubige Juden und Muslime. Um sie aber als “fremd” zu stigmatisieren, entfaltet die AfD eine Empörung über Tierleid. Entsprechende Äußerungen über Massentierhaltung bleiben indes Fehlanzeige. Tiere werden missbraucht, um Gläubige als “rückständig” verachtenswert zurecht zu stutzen. Betäubungsloses Schächten wurde übrigens deutschlandweit 1933 verboten, oder wie der Berliner sagt: Nachtigall, ick hör dir trapsen.

Beinahe ins Parteiprogramm geschafft hätte die Forderung nach einem Beschneidungsverbot. Juden und Muslime praktizieren dieses Ritual seit vielen Jahrhunderten. Die AfD entdeckte in ihm eine prima Chance, wie beim Schächten.

Also: Die AfD entdeckte die Juden aus zweierlei Gründen. Zum einen versuchen die Rechtspopulisten die problematischen Ausmaße des Antisemitismus von Einwanderermilieus aus dem Nahen Osten als Antisemitismus überhaupt zu stilisieren, als gäbe es einen deutschen nicht. Und zum anderen erhoffen sie sich von Juden eine Art Urkunde. Wenn sich Juden für die AfD entscheiden, so die Hoffnung, kann man die Partei nicht mehr so böse finden.

Bisher ging diese Rechnung nicht auf. Und es sieht nicht im geringsten danach aus, dass dies jemals passiert.

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