Die römischen Rockgötter Måneskin über ihren Überraschungserfolg: „Ein großer Mittelfinger für alles, was man zu uns gesagt hat“

Ethan Torchio, Thomas Raggi, Damiano David und Victoria De Angelis von Måneskin. (Foto: Epic Records)
Ethan Torchio, Thomas Raggi, Damiano David und Victoria De Angelis von Måneskin. (Foto: Epic Records)

Als Gewinner des überdrehten Eurovision Song Contest, die aus Italien stammen, nicht immer auf Englisch singen und vermeintlich unmodischen Hardrock spielen, sind Måneskin vielleicht keine offensichtlichen Anwärter darauf, amerikanische Mainstream-Superstars zu werden.

Aber genau das ist dennoch passiert.

Nach ihrem Triumph beim Eurovision Song Contest 2021 und nachdem sie den zweitgrößten TikTok-Song des Jahres mit ihrer rauen Coverversion von „Beggin'" von den Four Seasons landeten, haben sich Måneskin als eine der größten aufstrebenden Rockbands des letzten Jahrzehnts etabliert. Sie waren schon mit den Rolling Stones auf Tour, waren mit Iggy Pop und Tom Morello im Studio, ernteten Lob von Flea von den Red Hot Chili Peppers („Sie ist eine echte Rockerin!" sagte er über Måneskins knallharte Bassistin Victoria De Angelis) und Metallica und traten bei den MTV Video Music Awards und Saturday Night Live auf.

Größtes Ziel ist der Gewinn eines Grammy

Sie sind seit ABBA, den Gewinnern von 1974, die heißeste Eurovision-Band, die in den USA den Durchbruch geschafft hat. Måneskin bereiten gerade die Veröffentlichung ihres heißersehnten dritten Albums Rush! vor und sind weiterhin auf der Gewinnerseite. Der charismatische Frontmann Damiano David erzählte Yahoo Entertainment, dass sein größtes Ziel sei, einen Grammy zu gewinnen. Und das kann sehr gut bei der Verleihung nächsten Monat passieren, wo sie als beste neue Künstler nominiert sind. Wenn Davids Wunsch in Erfüllung geht, werden Måneskin die ersten Künstler aus Italien sein, die seit Einführung der jährlichen Zeremonie im Jahr 1959 in einer der „Big Four“ Grammy-Kategorien gewinnen.

Man könnte argumentieren, dass das, was Måneskin in Amerika (wo der Eurovision Song Contest trotz der Tatsache, dass er mit durchschnittlich 200 Millionen Zuschauern pro Jahr eine der meistgesehenen Sendungen der Welt ist, nicht allzu bekannt ist) tatsächlich geholfen hat, ihren Bekanntheitsgrad zu steigern, ein kontroverser (und, offen gesagt, totaler Rock 'n' Roll) Moment aus der Sendung war. Der Skandal, als David scheinbar Kokain schnupfte, während er in der Lounge der Kandidaten saß, fand sofort seinen Weg ins Internet, noch bevor „Zitti E Buoni" von Måneskin als Siegerlied für 2021 bekannt gegeben wurde. Als die Bandkollegen und der siegreiche, champagnerschlürfende David ohne Shirt zur Pressekonferenz nach der Preisverleihung erschienen, hatten sie keine andere Wahl, als sich zu dem Klatsch zu äußern.

David stritt die Anschuldigungen vehement ab und erklärte, dass die mysteriöse glitzernde Substanz auf dem Tisch vor ihm Glassplitter von einem Glas waren, das Måneskin-Gitarrist Thomas Raggi zerbrochen hatte. „Ich nehme keine Drogen, bitte Leute. Sagt das nicht. Sagt das echt nicht!”, bat er die anwesenden Reporter.

Damiano David von Måneskin aus Italien feiert, als der Band die Siegertrophäe für den Song „Zitti E Buoni“ (Sei still und sei ruhig) beim großen Finale des 65. Eurovision Song Contest im Ahoy im holländischen Rotterdam am 22. Mai 2021 überreicht wird. (Foto: Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)
Damiano David von Måneskin aus Italien feiert, als der Band die Siegertrophäe für den Song „Zitti E Buoni“ (Sei still und sei ruhig) beim großen Finale des 65. Eurovision Song Contest im Ahoy im holländischen Rotterdam am 22. Mai 2021 überreicht wird. (Foto: Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Es war ein unangenehmer Zwischenfall, der die Karriere einiger junger Künstler hätte zum Scheitern bringen können. Aber stattdessen brachte es die Leute dazu, über die Band zu reden, und schließlich inspirierte es sogar einen der punkigsten Tracks von RUSH!, „Kool Kids". Im Gespräch mit Yahoo Entertainment über den bissigen Song, in dem es um „die ganze Kontroverse mit dem Kokain und dem ganzen Scheiß" geht, erklärt David, dass er „wirklich, wirklich schlimme Wörter geschrien hat, mehr als schlimme Wörter, die man im Fernsehen nicht sagen darf", weil er dachte, dass Måneskin bei der Bekanntgabe der Eurovisions-Punktevergabe schlecht abschneiden würden. „Also habe ich mich [nach vorne] gebeugt, weil ich mich [vor der Kamera] versteckt habe".

David kichert dann: „Ja, sie dachten also, dass ich so ein Genie sei, denn ich glaube, wenn man mehr macht als nur ein Mann – ist man wie ein Halbgott! Ich meine, ich hatte so viel Macht, auf dem Tisch eine Line Kokain im Live-TV vor 80 Millionen Menschen zu schnupfen, auf dem verdammten Tisch, erste Reihe in der Arena? … Und dann mit der Perspektive wirkte es, als hätte ich die stärkste Nase, um [in der Lage zu sein] Kokain aus 30 cm [Entfernung] zu sniefen? Es gibt viel Drama. Ich wünschte, ich hätte es getan. Ich liebe es einfach. Leider nehme ich aber keine Drogen.“

Davis unterzog sich später freiwillig einem „f***ing Drogentest“, bei dem kein Kokain festgestellt werden konnte („Es war Ketamin“, scherzte De Angelis gegenüber Yahoo) und er stellte seine Ehre wieder her. Aber manchmal fragt er sich, ob er sich so viel Mühe hätte machen sollen, das wilde Rock’n’Roll-Gerücht auszuräumen. „Ich hatte allein beschlossen, diesen [Drogentest] zu machen, aber ich habe es so sehr bereut“, lacht er. „Ich wünschte am Tag danach, als ich sagte ‚Nein, es stimmt nicht‘ … ich bereue es, denn ich wollte, dass die Leute dachten ‚Vielleicht ist er so f***ing verrückt, dass er das gemacht hat!“

„Sie dachten, dass ‚Zitti E Buoni' ein beschissener Song sei"

Die Wut in „Kool Kids", das die Band „unmittelbar nach Eurovision geschrieben" hat, rührt jedoch nicht nur von diesem speziellen Vorfall her. Sardonische Zeilen wie "Everybody knows that rock 'n' roll is shit/But I don't give a f*** about being a cool kid" [Jeder weiß, dass Rock’n’Roll scheiße ist/Aber cool zu sein interessiert mich einen Scheiß“)und das auf den Punkt gebrachte „Eat my shit" wurden von den vielen Kritikern inspiriert, und zwar unglaublicherweise auch von Leuten, die für die Band arbeiteten. Viele glaubten nicht, dass Måneskin mit ihrem an die 70er/80er Jahre erinnernden Glam-Rock Erfolg haben könnten.

„Bevor wir [den Eurovision Song] gewannen, hat uns ein ganzes Team gesagt, wir sollen [unseren Stil ändern]", verrät David. „Sie dachten zum Beispiel, dass ‚Zitti E Buoni' ein beschissener Song sei. Sie sagten einmal – und das ist die kultigste Sache, die uns je passiert ist – ‚Wenn ihr glaubt, dass ‚I Wanna Be Your Slave' ein Hit ist, dann habt ihr keine Ahnung von Musik!'" Die letztgenannte Single, die zwei Monate vor dem Eurovision-Sieg von Måneskin mit „Zitti E Buoni" veröffentlicht wurde, erreichte schließlich in elf Ländern Platin oder Multiplatin und kletterte in den USA an die Spitze der Billboard-Hardrock-Song-Charts. Später wurde ein Remake im Duett mit dem ehemaligen Stooges-Frontmann Iggy Pop, einem der vielen Idole der Band, veröffentlicht.

„Wir hatten dieses Gefühl, dass wir irgendwie unverwundbar waren, aber gleichzeitig waren wir ein bisschen angepisst, denn wir haben Eurovision gewonnen, aber unser Team erzählte uns, dass unsere Musik scheiße ist“, erinnert sich David. „Wir waren frustriert, und so haben wir diese beiden Gefühle vermischt und diesen Song geschrieben [„Kool Kids“], der ein großer Mittelfinger für alles ist, was man zu uns gesagt hat.“

David fügt mit einem Schmunzeln hinzu, dass nach dem Eurovision-Sieg von Måneskin alle möglichen ehemaligen Neinsager „versucht haben, auf den Zug aufzuspringen, aber wir haben sie weggejagt. Wir haben sofort am Zug gerüttelt, und sie sind runtergefallen." Und natürlich sind Måneskin – David, De Angelis, Raggi und Schlagzeuger Ethan Torchio –jetzt die coolsten Kids überhaupt.

Nicht alles an Måneskins neu gewonnenem Erfolg war positiv. Ein Track auf RUSH!, „Mark Chapman", ein Protest gegen die Verherrlichung von „Serienmördern und Psychopathen" durch die Medien und benannt nach dem Mann, der John Lennon ermordet hat, wurde teilweise auch durch Davids eigene Erfahrungen mit einem Stalker inspiriert. „Mir wurden Bücher nach Hause geschickt und es passierte seltsamer Scheiß", verrät der Sänger. „Diese Frau verfolgte mich und meine Freundin und versuchte, alles zu verfolgen, was wir taten, und schickte uns Sachen nach Hause – und ich weiß nicht, woher sie wusste, wo wir wohnten. Es ist also so, man fühlt sich nicht sicher. ... Ich kann mich nicht einmal an das Buch erinnern. Ich glaube, ich habe es nicht einmal geöffnet."

Aber die vier Freunde aus Kindertagen, die seit 2016 eine Band sind, unterstützten einander, als sich im Trubel der letzten zwei Jahre ihr Leben drastisch zum Guten und Schlechten veränderte. Und sie sind froh, dass sie an ihrer Rock‘n’Roll-Vision gemeinsam festgehalten haben. Tatsächlich glaubt De Angelis, dass sie so berühmt geworden sind, weil sie „nicht versucht haben, sich dem Markt anzupassen oder etwas, das für uns nicht authentisch war.“

De Angelis sagt: „Ich glaube, die Leute sehen das und wissen es in unserer Musik zu schätzen, und dass es vielleicht heutzutage ziemlich traurig ist, dass viele Künstler gezwungen werden, etwas zu machen, was sie nicht wirklich sind, weil es nicht in den Charts ist und so. Es ist also sehr erfrischend, eine junge Band zu sehen, die etwas spielt, was nicht gerade modern ist, sondern einfach etwas, das sie aufrichtig mögen und mit dem sie sich identifizieren können."

Lyndsey Parker

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