Diego Maradona: Die Hand Gottes wird 60

Der vielleicht berühmteste Argentinier wird 60. Diego Maradona blickt auf ein bewegtes Leben zurück, das sich bis heute zwischen dem Glanz alter Triumphe und seiner Drogenabhängigkeit bewegt.

Diego Maradona polarisiert bis heute. (Bild: imago images/PA Images)
Diego Maradona polarisiert bis heute. (Bild: imago images/PA Images)

"Oh mein Gott, was ist bloß aus ihm geworden?" Sportautor Alex Steudel war entsetzt, als er das Fußballidol seiner Jugend in der Doku "Diego Maradona" des britischen Regisseurs und Oscar-Preisträger Asif Kapadia (48, "Amy,) sah. Steudel beschrieb in seiner Kolumne für Sport1 einen alten Maradona, der "fast nicht wiederzuerkennen" sei und "wegen einer Art Ganzkörperarthrose nicht mehr richtig gehen kann. Er humpelt herzzerreißend. Und er redet wie jemand, der unter Drogen steht, die Augen oft so halb zugeklappt (...) Tränen laufen sein aufgeschwemmtes Gesicht hinunter, und du hast selber einen Kloß im Hals und möchtest ihn nur in den Arm nehmen und sagen: Komm, wir machen das Ganze noch mal ganz von vorn, aber diesmal helfe ich dir, und alles wird gut".

Dann sagt dieser erbarmungswürdige Mensch über sich als Spieler: "Ich war krank, drogenabhängig. Ich frage mich immer: Hätte ich keine Drogen genommen, wie gut hätte ich dann gespielt?" Der Rückblick auf seine Triumphe dürfte Maradona auch diesen Freitag quälen. Dann wird er 60, da schaut er zwangsläufig in die Vergangenheit, weil sie die Zeit der unendlichen Freuden war.

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Das Wunderkind aus Buenos Aires

Er war einer der Größten der Fußballgeschichte, die Enthusiasten sahen in ihm das "achte Weltwunder". "Mit Maradona zu spielen, kann man nicht beschreiben. Man muss dabei sein. Er war ein Genie", schwärmte der Brasilianer Alemao (58). Die argentinische Trainerlegende César Luis Menotti (82) griff beim Thema Maradona tief in die poetische Zauberkiste: "Der Ball und er kamen zusammen auf die Welt." Selbst nüchterne Sportbeobachter sahen in Maradona ein Wunderkind. Vermutlich trifft es dieser Begriff am besten. Ein Wunderkind, meist strahlend, immer naiv, aber auch eigensinnig, trotzig und jähzornig, wenn es mal nicht so brillant lief.

Diego Armando Maradona wuchs als fünftes von acht Kindern eines Fabrikarbeiters in Villa Fiorito, einem Elendsviertel am Stadtrand von Buenos Aires auf. Mit neun kam er in die Kindermannschaft des Erstligisten Argentinos Juniors, mit 15 spielte er in der ersten Mannschaft, mit 20 galt er als der beste Spielmacher Südamerikas. 1981 wechselte er zum bekannteren Lokalrivalen Boca Juniors und wurde argentinischer Meister. Mit 21 war er ein Weltstar, mehr noch: Er bestieg den nach dem Karriereende des Brasilianers Pelé (80) verwaisten Thron des besten Fußballers der Welt.

Maradonas Jahre in Europa

Dann ging Maradona nach Europa zum FC Barcelona. Zwei Jahre kickte er in Spanien, eine Zeit von Licht und Schatten. Brillanten Auftritten auf dem Spielfeld folgten Skandale: Mal zettelte er auf dem Platz eine Massenschlägerei an, mal versackte er im Nachtleben. Heute weiß man: In Barcelona begann Maradonas Kokainkarriere. Dennoch folgte zwischen 1985 und 1990 sein fußballerischer Zenit. Maradona wurde mit seinem neuen Club, dem SSC Neapel, zweimal italienischer Meister und 1986 mit der argentinischen Nationalmannschaft (im Endspiel gegen Deutschland) Weltmeister, die WM in Mexiko war seine größte Bühne. Im Viertelfinale gegen England befördert er den Ball regelwidrig mit der Hand ins englische Tor. "Es war die Hand Gottes", sagt er danach.

In Neapel verehrten ihn die Fans damals mit religiöser Inbrunst. Viele Tifosi hatten ein Foto des Argentiniers zu Hause neben das Kruzifix gehängt, dem Bildnis einer Madonna hatte ein Unbekannter einen kleinen Maradona auf den Schoß gemalt. Neapel war aber auch die Metropole der Mafia-Organisation Camorra. Die vereinnahmte den Star, versorgte ihn mit Kokain und Prostituierten, ein Lebenswandel, der den Argentinier bis heute nicht loslässt. Nach den Wochenendspielen feierte er bis einschließlich Mittwoch Kokainexzesse, erst donnerstags stieg er wieder ins Mannschaftstraining ein. Dopingkontrollen manipulierte der Verein angeblich mit der Abgabe gefälschter Urinproben. Schließlich wurde Maradona wegen des Besitzes und der Weitergabe von Drogen zu 14 Monaten Knast verurteilt, auf Bewährung.

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In Ungnade gefallen

Die Vatikanzeitung L'Osservatore Romano bezeichnete ihn als "widerwärtige Person", die jene "beleidige, die wenig oder nichts haben". Sein Trainer vom SSC Neapel meinte dazu: "Ich stimme dem aus vollem Herzen zu." Selbst die Camorra, die angeblich beim Zwölf-Millionen-Rekordtransfer von Barcelona nach Neapel ihre Hände im Spiel hatte, wollte nichts mehr von ihm wissen. Maradona wurde in Italien zur Persona non grata. Der Rest seiner Karriere ist ein Absturz ins Bodenlose. Die folgenden Engagements beim FC Sevilla (1992-1993) und den argentinischen Clubs Newell's Old Boys (1993-1994) und Boca Juniors (1995-1997) waren überwiegend von Drogenvergehen, Dopingsperren und Bewährungsstrafen geprägt. An alte Erfolge konnte er nie wieder anknüpfen.

Seine anschließende Trainerkarriere ist bislang auch nicht von Erfolg gekrönt. Die argentinische Nationalmannschaft coachte er (2008-2010) bei der WM 2010 in Südafrika bis ins Viertelfinale. Dort traf sie auf Deutschland und verlor 0:4. Maradona verdingte sich danach in den Vereinigten Arabischen Emiraten, unterschrieb später beim weißrussischen Verein Dynamo Brest, ging dann aber nach Mexiko zum desolaten Zweitligisten Dorados de Sinaloa in Culiacán. Er führte das Team vom letzten Platz in die Playoffs, dann verschwand er, kam wieder und trat schließlich "aus gesundheitlichen Gründen" zurück. Zum Abschied rief er den Leuten zu: "Danke, dass ihr mich wieder zum Leben erweckt habt." Seine derzeitige Station ist der argentinische Erstligist Gmynasia y Esgrima La Plata, sein Vertrag beim Abstiegskandidat läuft noch bis 2021.

Hemmungslos und ohne Kontrolle

In seinem Privatleben gab sich Maradona der Selbstzerstörung hin. Drogen, Alkohol, Medikamente. Sein früherer Manager Guillermo Coppola (72) sagt, Diego sei "außer Kontrolle", er höre "auf niemanden" und sei eine "getriebene Persönlichkeit" ohne jedes Augenmaß. Immer wieder musste er in klinische Behandlung. Er erlitt einen schweren Herzinfarkt sowie einen Leberschaden. Immer wieder unterzog er sich Entziehungskuren - um danach zu bekennen: "Ich war, bin und werde immer drogenabhängig sein." Auch äußerlich ähnelte er immer weniger dem Fußballhelden. Maradona hatte bis zu 75 Kilo Übergewicht und ließ sich den Magen verkleinern, um 50 Kilo loszuwerden. FAZ-Autor Paul Ingendaay schrieb: "Diego Maradona (...) hatte das Pech, am Leben bleiben zu müssen, und läuft bis heute als Karikatur seiner selbst herum."

Zu diesem Bild des Jammers gehören auch seine Frauengeschichten. Er hat mindestens acht Kinder mit sechs verschiedenen Frauen (darunter eine Ehefrau). Erst 2019 erkannte er die Vaterschaft für drei Kinder in Kuba an. Dort hielt er sich zwischen 2000 und 2005 zum Drogenentzug auf. Jüngst verkündete er, er wolle seinen Kindern nichts vererben, sondern sein Vermögen spenden. Viel wird es ohnehin nicht sein, denn von seinen Millionengagen, die er als bestbezahlter Kicker seiner Zeit verdiente, sollen nicht einmal 150.000 Euro übriggeblieben sein.

"Mein Herz ist blau und weiß": Maradona bleibt Trainer

Mitleid von der eigenen Tochter

Was ist ihm geblieben? Nach wie vor wird er in seiner Heimat verehrt. In Rosario hat man sogar die Kirchengemeinde Iglesia Maradoniana gegründet, die sich allerdings selbst nicht ernst nimmt. Vielmehr parodiert sie die Liebe zu ihrem Gott "D10S", ein Mix aus dem spanischen Wort Dios (Gott) und seiner Rückennummer 10. Der Rest ist Mitleid mit einem "stark übergewichtigen Altstar, der (...) als nicht mehr ganz zurechnungsfähig gilt" (ZDF). Seine Tochter Giannina (31) äußerte sich beschämt über ihren Vater, der im Sommer beim Tanzen mit einer Frau plötzlich die Hosen fallen ließ: "Es ist sehr traurig, ihn so zu sehen. Ich habe nie gewollt, dass mein Sohn seinen Großvater so sieht."

Für den Trainer-Philosophen César Luis Menotti ist der wahre Maradona nicht der erbarmungswürdige: "Diego existiert in keiner anderen Welt als auf einem Fußballplatz. Das ist sein Leben, sein Traum."

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