Exclusiv im Ersten: Das Milliardenbusiness der Schleppermafia

Ein Zufallstreffer: Auf der Ladefläche eines LKW wurden 34 Erwachsene und 17 Kinder von der Polizei gefunden. Foto: Screenshot / ARD.
Ein Zufallstreffer: Auf der Ladefläche eines LKW wurden 34 Erwachsene und 17 Kinder von der Polizei gefunden. Foto: Screenshot / ARD.

Im Verborgenen werden zehntausende Menschen nach Europa und Deutschland geschleust. Die Methoden – längst nicht mehr verstecken sich Menschen nur auf LKW-Ladeflächen – werden immer raffinierter. Dafür haben die Schlepper Erfüllungsgehilfen auf allen Ebenen, sie sind in internationalen Netzwerken organisiert. Schlepperagenturen bieten ihre Dienste sogar online feil, die reichen von der Scheinehe bis hin zum Studentenvisum. Das ARD-Magazin FAKT recherchiert seit 2016 zu dem Thema, jetzt hat es die Ergebnisse in einer Reportage verarbeitet.

„Polizei! Öffnen Sie die Tür! Wir haben einen Durchsuchungsbeschluss. Wir betreten jetzt die Wohnung. Stellen Sie sich an die Wand. Wer ist noch hier?“ Frühmorgens in einem Berliner Mehrfamilienhaus im Januar dieses Jahres: Die Bundespolizei fahndet nach einer polnischen Staatsbürgerin mit syrischen Wurzeln, die im großen Stil Migranten eingeschleust hat.

Hinter ihr steht ein Familienclan, der grenzübergreifend agiert. Die Herangehensweise: Erschlichene Touristenvisa ermöglichen den Migranten einen Flug nach Polen, von dort geht die Reise weiter nach Deutschland, unter neuem Namen beantragen sie dort Asyl. Gewinn für die Schlepper: 8.000 Euro pro Person.

Eine Beteiligte erzählt, es sei ganz leicht, Kunden im Nahen Osten anzuwerben. Hauptsächlich Iraker und Syrer, die aber im Libanon leben, in Saudi-Arabien, in Kuwait. Die Schlepper organisieren eine Einladung und finanzielle Bürgschaften aus einem europäischen Land, auch Bankunterlagen sind kein Problem, und tauschen es bei Ankunft gegen ein Visum. Damit können die Flüchtlinge legal im Schengenraum reisen. Die Methode nutzte jahrelang eine Lücke im System aus: „Es gab damals noch keinen automatisierten Abgleich, wenn jemand im Asylverfahren Fingerabdrücke abgab. Jeder Fall musste damals in einer Einzelprüfung abgeglichen werden“, sagt Markus Pfau von der Bundespolizei in Halle. Mittlerweile wird jeder Fingerabdruck sofort gecheckt, die Lücke ist geschlossen.

Die Bundespolizei aus Halle wurde 2016 auf den Ring aufmerksam, durch die Arbeit der ARD-Journalisten. Seither begleitet das ARD-Team viele Einsätze und bekommt einen exklusiven Einblick in den Kampf gegen die organisierte Kriminalität mit Menschenschmuggel. Der Kopf des Schlepperrings, eine Frau mit dem Namen Mayada J., ist mittlerweile verurteilt, zu drei Jahren und sechs Monaten Haft.

“Es war eine Liebesheirat”

Aber es geht auch weitaus raffinierter, wie die nächste Geschichte zeigt: Eine indisch-pakistanische Familie verkauft Scheinehen mit Frauen aus Osteuropa. Die Beamten wurden stutzig, weil sich die angehenden Eheleute überhaupt nicht verständigen konnten. Eine der Scheinfrauen ist Magdalena V., sie heiratete einen Pakistaner, lebt mittlerweile allein mit ihren vier Kindern in einer Einzimmerwohnung in Polen. Sie sagt noch heute: „Es war eine Liebesheirat.“

Nur: Sie besitzt kein Foto ihres Mannes, keine gemeinsame Sprache, geheiratet haben sie in Dänemark, in der Aabenraa Kommune, da sind die Regelungen für Eheschließungen lockerer, werden aber auch in Deutschland anerkannt. Es musste damals schnell gehen. Sie waren nur zu zweit, die Trauzeugen stellte das Standesamt. Gleich nach dem Ja-Wort: Das Paar meldete sich in Zittau an, die Schleuser organisierten einen Nachweis für die Erwerbstätigkeit von Magdalena, klärten alles bei den Meldebehörden, die dann eine EU-Aufenthaltskarte ausstellte. Diese gilt auch für den pakistanischen Ehepartner. Der lebt seither völlig legal in Deutschland. Die Ehe hat ihren Zweck erfüllt und Magdalena seit einem Jahr nichts mehr von ihrem Mann gehört. Gewinn für die Schlepper: zwischen 15.000 Euro und 22.000 Euro pro Person.

In Berlin sitzt das Datenanalysezentrum „Internationale Organisation für Migration“, es gehört zu den Vereinten Nationen und untersucht weltweit Migrantenströme. Der Leiter ist Frank Laczko, er sagt: „Es gibt verschiedene Arten von Organisationen. Transnationale Organisationen verkaufen Komplettpakete mit Routen und Grenzübergängen. Und es gibt Menschen, die nur an einem kleinen Teil der Schmuggelaktionen beteiligt sind, korrupte Beamten oder das Fälschen von Papieren.“ Weltweit würden so zwischen fünf und sieben Milliarden Dollar pro Jahr Gewinn erzielt. Für humanitäre Zwecke gebe die ganze Welt sechs Milliarden Dollar aus.

Eine „Schlepper-Agentur“ operiert von Abu Dhabi aus, sie verspricht jungen Menschen ein Studienbewerbervisum. Ausgestellt von der Universität Leipzig. Bildungsabschlüsse, Sprachzertifikate, Bankkonten, Krankenversicherungen, das alles legt die Agentur der Uni vor, diese verschickt dann eine Bewerberbestätigung. Damit können die Flüchtlinge zur deutschen Botschaft in ihrem Land gehen, die stellt ein Visum aus. Die Einreise ist dann ganz legal. Quote der ernsthaften Studierenden: Unter zehn Prozent. Deshalb verschickt die Universität mittlerweile keine Unterlagen mehr. Gewinn für die Schlepper: 1.500 Euro pro Person.

Menschenschmuggel ist so gewinnbringend wie Drogenhandel und Waffenhandel

Es gibt aber auch noch die LKW-Schmuggler. Bis zu 100 Personen, eingepfercht im Laderaum, ständig dabei: die Angst, zu ersticken. Gewinn für die Schlepper: 8.000 Euro pro Person.

Markus Pfau: „In den letzten drei Jahren wurden viele Netzwerke zerschlagen, aber die Restrukturierung kann schnell gehen. Solange eine Nachfrage nach Migration nach Europa gibt, wird es Netzwerke geben, die das bedienen. Menschenschmuggel ist mittlerweile so gewinnbringend wie Waffen- und Drogenhandel.”

Frank Laczko: „Strafverfolgung und Entwicklungshilfe allein kann das nicht lösen. Es muss auch mehr Raum für legale Migration geben. Wir müssen aber auch strenger Grenzen kontrollieren. Die Ursachen irregluärer Migration bekämpfen. Probleme müssen länderübergreifend gelöst werden.“

Eine spannende Reportage, die Einblick gewährt in eine Branche, in der es nie um Menschen ging, sondern ums Geschäft. Ein Geschäft mit Menschenleben. Und es floriert, weil es zu viele Menschen gibt auf der ganzen Welt, die bereit sind, ihr Leben aufs Spiel setzen für die Aussicht auf Sicherheit, weg von Krieg und Tod. Beeindruckend ist dabei auch die Arbeit der Journalisten, deren jahrelange Recherche zu vielen Verhaftungen führte.