"Das eigene Ende rückt näher, jetzt wird man selber alt"

Dominic Raackes Nachfolgeprojekt zur 90er-Kultserie "Um die 30" von 1995: Im ZDF-Film "Um die 50" triffte die alte Freundesclique wieder zusammen. Auch nach der langen Trennung fühlen sich Frank (Raacke) und Tina (Natalia Wörner) noch zueinander hingezogen - auch wenn beide längst neue Partner haben. (Bild: ZDF / Raymond Roemke)
Dominic Raackes Nachfolgeprojekt zur 90er-Kultserie "Um die 30" von 1995: Im ZDF-Film "Um die 50" triffte die alte Freundesclique wieder zusammen. Auch nach der langen Trennung fühlen sich Frank (Raacke) und Tina (Natalia Wörner) noch zueinander hingezogen - auch wenn beide längst neue Partner haben. (Bild: ZDF / Raymond Roemke)

26 Jahre nach der ZDF-Kultserie "Um die 30" gelingt Dominic Raacke ein Coup: Er bringt das alte Ensemble rund um Natalia Wörner, Jürgen Tarrach und Co. noch einmal komplett für den Film "Um die 50" zusammen. Warum blieb die "Dramedy" von 1995 im kollektiven Gedächtnis, obwohl sie kein Quotenhit war?

62 Jahre ist Dominic Raacke mittlerweile alt. 15 Jahre lang, von 1999 bis 2014, verkörperte er den Berliner "Tatort"-Kommissar Till Ritter. Wer den gebürtigen Hanauer dieser Tage trifft, hat nicht das Gefühl, einem alternden TV-Star mit Gnadenbrot-Rollen zu begegnen. Raacke wirkt extrem wach, entspannt und gleichzeitig künstlerisch hochengagiert. Dass er auch ein talentierter Autor und Stoffentwickler ist, bewies Raacke 1995 mit der ZDF-Miniserie "Um die 30", die aus seiner Feder und der des Regisseurs Ralf Huettner stammt. Eigentlich war das Ensemblestück mit späteren Stars wie Natalia Wörner, Jürgen Tarrach oder Catherine Flemming als Langzeiterzählung einer Generation gedacht, die sich in einer Clique Münchener Freunde manifestierte. Doch Produktions-Schwierigkeiten bremsten das Projekt immer wieder aus. 26 Jahre nach der Kultserie "Um die 30" ist nun doch noch der sehenswert nonchalante Film "Um die 50" geworden (Montag, 30. August, 20.15 Uhr). Dominic Raacke erzählt, wie es dazu kam und warum er sich mit seinem jetzigen Alter eigentlich ziemlich wohlfühlt.

teleschau: Hätte Ihr Film nicht "Mitte 50" heißen müssen, weil die ZDF-Serie "Um die 30" ja schon 1995, also vor 26 Jahren lief?

Dominic Raacke: Wegen mir hätte der Film ruhig "Um die 60" heißen dürfen. Bei "Um die 30" war ich ja auch schon Mitte 30. Zehn Jahre später wollten wir "Um die 40" drehen, das hat aber aus unterschiedlichen Gründen nicht geklappt. Ich wollte es aber auch nicht aufgeben, dafür steckte zu viel Herzblut in der Sache. 2015 haben wir dann einen neuen Versuch gestartet. Und wie das so ist, es hat sich wieder hingezogen. Tick, tack, die Uhr läuft - und schon bist du sechzig. Aber weil ein paar Kolleginnen noch etwas jünger sind, wäre "Um die 60" einfach uncharmant gewesen.

teleschau: "Um die 30" entwickelte sich in der Retrospektive zu einer Art Kultserie. Viele Altersgenossen, die das damals sahen, haben die Serie in Erinnerung behalten ...

Raacke: So richtig erfolgreich war "Um die 30" nicht, was sicher auch ein Grund dafür ist, dass die Fortsetzung erst mal nicht zustande kam. Die Quoten waren okay, aber es war eben auch kein Hit. Trotzdem hat sich "Um die 30" dann doch irgendwie zum Kult entwickelt. Die Serie hatte eine echte Fanbase. Das haben damals - eher jüngere - Leute geschaut, die sonst nichts Deutsches und schon gar keine deutschen Serien im Fernsehen gesehen haben. Ich glaube, dass wir da einen Nerv getroffen haben. Noch Jahre später wurde ich immer wieder darauf angesprochen, nach dem Motto: Wann geht es endlich weiter? Und warum wird es nicht wiederholt?

Dominic Raacke, 62, spielt in "Um die 50". Ein Widerspruch? Nein, schon vor 26 Jahren war der Schauspieler, der sein eigenes Drehbuch für die ZDF-Serie "Um die 30" realisierte, bereits Mitte 30. Das lag auch an jenen Hürden, mit denen Raackes fiktionales Langzeit-Projekt zu jeder Phase leben musste. (Bild: 2019 Tristar Media/Tristar Media)
Dominic Raacke, 62, spielt in "Um die 50". Ein Widerspruch? Nein, schon vor 26 Jahren war der Schauspieler, der sein eigenes Drehbuch für die ZDF-Serie "Um die 30" realisierte, bereits Mitte 30. Das lag auch an jenen Hürden, mit denen Raackes fiktionales Langzeit-Projekt zu jeder Phase leben musste. (Bild: 2019 Tristar Media/Tristar Media)

"'Um die 30' sollte wie ein Popsong sein: lässig, sexy und gleichzeitig ehrlich"

teleschau: Was, glauben Sie, war das Besondere an "Um die 30"?

Raacke: Das Projekt ist ja aus einer gewissen Not heraus entstanden. Ralf Huettner und ich sahen uns im normalen TV-Programm einfach nicht abgebildet und fragten uns: Wo sind wir eigentlich? Wo wird unsere Generation erzählt, unser Lebensgefühl? Die Idee zur Serie stammte schon aus den späten 80-ern. Natürlich waren wir vom amerikanischen Kino und seiner Erzählweise sehr geprägt. Wir waren jung und hungrig, fanden das deutsche Fernsehen öde und haben uns dann reingekniet mit unserer Idee, endlich mal was anderes zu erzählen.

teleschau: Welches Lebensgefühl wollten Sie denn in der Serie einfangen?

Raacke: Ein Lebensgefühl, das Leichtigkeit und Stil hatte. "Um die 30" sollte wie ein Popsong sein: lässig, sexy und gleichzeitig ehrlich. Und wir wollten uns ein Denkmal setzen. Es ging nicht um puren Realismus, es war eine Fantasie über uns. Wie wir sind und wie wir gerne wären. Ich glaube, es war genau diese Mischung, die den Erfolg bei den Fans ausmachte. Und einige Leute haben sich in unseren Figuren so viel mehr wiedergefunden, als in den Protagonisten deutscher Fernsehserien jener Zeit, wie "Diese Drombuschs", "Die Schwarzwaldklinik" oder " Das Traumschiff". Der Witz dabei war übrigens, dass Claus Beling, unser Redakteur beim ZDF, ausgerechnet der Traumschiff-Produzent war und wir eine wunderbare und wirklich störungsfreie Zusammenarbeit miteinander hatten.

teleschau: Ein Kennzeichen der Serie, das sich nun auch im Film "Um die 50" wiederfindet, war das beiläufige Erzählen. Es geht nicht um die ganz großen Dramen, sondern die kleinen Dinge im Leben. War das die Grundidee des Projekts?

Raacke: Ja, wir wollten unsere Geschichten immer "unten" erzählen. Sie sollten eine gewisse Leichtigkeit behalten, auch wenn es dramatisch wurde. Natalia Woerner und ich waren das zentrale Paar. Ihr Drama war, dass sie keine Kinder kriegen konnten, ein echtes 30er-Thema. Bruno Eyron spielte den Womanizer, der verzweifelt um seine Exfreundin - Catherine Flemming - kämpft, die ihn aber immer wieder abblitzen lässt. Jürgen Tarrach war das Stehaufmännchen, ein Traumtänzer, der Großes plant und immer wieder auf die Schnauze fällt. Für Susanne Schäfer, die seine Frau spielte, war er wie ein zweites Kind. Sie beginnt eine Affäre, um sich endlich wieder als Frau zu spüren. Im Grunde alles große Dramen, die wir aber versucht haben, beiläufig und nonchalant zu erzählen.

Wie in der 90er-Jahre Serie "Um die 30" treffen sie sich wieder auf der Bowlingbahn. Von links: Die alten Freunde Carlo (Jürgen Tarrach), Carola (Susanne Schäfer), Tina (Natalia Wörner), Frank (Dominic Raacke), Sabrina (Catherine Flemming) und Olaf (Bruno Eyron) kehren 26 Jahre später für den ZDF-Film "Um die 50" zu ihren alten Rollen zurüc (Bild: ZDF / Raymond Roemke)

"Man sollte die Familie mit der eigenen Kunst in Ruhe lassen"

teleschau: Ihre Serie, Ihr Erzählen funktionierte also nicht nach gängigen Mustern ...

Raacke: "Um die 30" war ein echter Genremix, der Begriff Dramedy kam damals gerade auf. Man könnte auch sagen: Es war eine Anti-Soap. In der Soap werden Ereignisse und Gefühle ja extrem hochgedreht, alles wird auf laut gestellt und mit Pauken und Trompeten unterlegt. Wir wollten das Gegenteil: große Gefühle, existenzielles Drama - aber eben runtergedimmt, leise und beiläufig erzählt.

teleschau: Sie haben eine Tochter, die jetzt um die 30 ist. Haben Sie sie mal gefragt, ob sie etwas mit der Serie anfangen kann?

Raacke: Ich hoffe doch sehr, dass sie sich "Um die 30" in der Mediathek anschauen wird. Immerhin kann sie das dann mit ihrem eigenen 30er-Lebensgefühl vergleichen und sehen, wie es Papa und Co. so ging, vor 25 Jahren. Die jungen Leute von heute haben natürlich ein ganz anderes Fernsehverhalten. Ich weiß auch nicht, ob sie was mit der Ästhetik anfangen kann. Tempo und Bildsprache haben sich ja deutlich verändert. Aber ehrlich gesagt, will ich gar nicht nachfragen, denn man sollte die Familie mit der eigenen Kunst in Ruhe lassen.

teleschau: Das klingt danach, als hätte sie es bisher eher nicht gesehen?

Raacke: Ich weiß es gar nicht genau. Sie war ja als Kleinkind dabei, als wir die alten Folgen gedreht haben. Da ist sie als Dreijährige am Set herumgehüpft und hat das, glaube ich, alles sehr genossen. Ich empfehle allen, sich die alten Folgen noch mal anzuschauen, die werden anlässlich von "Um die 50" noch mal in die Mediathek eingestellt. Das ist eine irre Zeitreise - back to he Nineties. Außerdem muss sich dann keiner mehr beschweren, dass die Serie in all den Jahren erst einmal wiederholt wurde.

teleschau: Glauben Sie, dass die Themen der heutigen Generation "Um die 30" dieselben sind wie damals?

Raacke: Absolut, die großen Generationsaufgaben bleiben irgendwie immer die gleichen: Soll ich eine Familie gründen, Kinder kriegen? Wie schaffe ich es, meinen beruflichen Weg zu finden? Und dann natürlich dieses existenzielle Gefühl, erwachsen werden zu müssen und sich gleichzeitig davon überfordert zu fühlen. Das sind alles Dinge, die 1995 nicht viel anders abgelaufen sind als 2021.

Die sechs Freunde aus dem Film "Um die 50" 26 Jahre zuvor in der Serie "Um die 30" (von links): Carlo (Jürgen Tarrach), Carola (Susanne Schäfer), Tina (Natalia Wörner), Frank (Dominic Raacke), Sabrina (Catherine Flemming) und Olaf (Bruno Eyron). (Bild: ZDF / Kurt Krieger)
Die sechs Freunde aus dem Film "Um die 50" 26 Jahre zuvor in der Serie "Um die 30" (von links): Carlo (Jürgen Tarrach), Carola (Susanne Schäfer), Tina (Natalia Wörner), Frank (Dominic Raacke), Sabrina (Catherine Flemming) und Olaf (Bruno Eyron). (Bild: ZDF / Kurt Krieger)

"Unsere Freundschaft hält bis heute"

teleschau: Dann kommen wir doch mal zu "Um die 50". Warum hat es jetzt doch noch geklappt mit dem Projekt - und was wollten sie zeigen?

Raacke: Wir wollten einfach weitererzählen. Schon 1989, als wir die Idee hatten, war unser Plan, alle zehn Jahre zu den Figuren zurückzukehren. Es war schon immer ein Meta-Projekt, nur dass wir zwischenzeitlich Probleme hatten, es realisiert zu bekommen. Filme machen ist eine verrückte Sache. Manchmal kämpft man jahrelang wie ein Löwe und bekommt eine Idee nicht realisiert. Dann, als wir es schon fast abgeschrieben hatten, traf ich unsere Produzentin Susanne Freyer beim Münchner Filmfest und sagte: "Wir müssen doch endlich mal 'Um die 50' machen." Und dann kam eins zum anderen, und plötzlich war alles kein Problem mehr (lacht).

teleschau: Könnte das auch daran liegen, dass Sie altersmäßig nun viel näher an die Zielgruppe Ihres Senders ZDF herangerückt sind?

Raacke: Ja, das könnte ein Grund sein.

teleschau: Alle sechs Schauspielerinnen und Schauspieler von damals spielen wieder die alten Rollen. Das ist nicht selbstverständlich, oder?

Raacke: Sie wären schön blöd, wenn sie nicht wieder mitgemacht hätten (lacht). Das ist eine Once-in-a-lifetime-Chance: Wann hat man als Schauspieler schon mal die Möglichkeit, seine Rolle eine Generation später weiterspielen zu können. Auch für Ralf und mich war das ein Pfund: Wir konnten in Rückblenden auf Bilder von damals zurückgreifen, brauchten keine jüngeren Darsteller oder aufwendige Masken. Andere müssen ein Casting machen und Schauspieler finden, die einen dann glaubhaft in jung spielen. Wir konnten einfach auf Material aus "Um die 30" zurückgreifen.

teleschau: Hatten sie mit den anderen fünf Schauspielerinnen und Schauspielern von damals immer Kontakt - oder war er zwischendurch abgerissen?

Raacke: Wir hatten immer Kontakt miteinander. An "Um die 30" haben wir damals fünf Monate gedreht. So etwas schweißt zusammen. Jürgen Tarrach stand zum ersten Mal vor einer Kamera. Er ist ein guter Freund von mir geworden, unsere Freundschaft hält bis heute. Catherine Flemming war, glaube ich, auch das erste Mal im Fernsehen. Bruno Eyron war schon einigermaßen bekannt, aber für ihn, wie für Susanne Schäfer und Natalia Wörner war "Um die 30" ein wichtiger Karriere- Schub.

Schauspieler und Drehbuchautor Dominic Raacke in seiner "Coming of Age"-Serie "Um die 30", die 1995 im ZDF lief. (Bild: ZDF / Kurt Krieger)
Schauspieler und Drehbuchautor Dominic Raacke in seiner "Coming of Age"-Serie "Um die 30", die 1995 im ZDF lief. (Bild: ZDF / Kurt Krieger)

"Vergangenheit ist für mich nichts, was ich bereue"

teleschau: Und doch sind 26 Jahre eine lange Zeit, um als Freunde verbunden zu bleiben.

Raacke: Es ist mit jedem etwas anders. Natalia sehe ich eher selten, aber es ist immer herzlich, wenn wir uns irgendwo treffen. In der Branche begegnet man sich immer wieder. Ob beim Drehen oder auf dem roten Teppich. Manche haben eine Serie, wo der andere dann mal eine Gastrolle spielt. So ganz ist der Kontakt zwischen uns sechs nie abgerissen. Und "Um die 30" war für uns alle einfach auch etwas ganz Besonderes. Deshalb waren wir absolut sicher, dass alle ohne Murren wieder dabei sein würden.

teleschau: Wie lautet die große Lebensfrage, wenn man "um die 50" ist?

Raacke: Der Druck, dieses ewige Ringen nach Erfolg, lässt nach. Als kreativer Mensch will man ja nie aufhören zu arbeiten, und das ist auch gut so. Aber die Arbeit fühlt sich für mich heute anders an. Man will die Dinge nicht mehr einfach nur durchboxen, man hat gelernt zu akzeptieren, dass nicht mehr alles möglich ist und dass das auch so in Ordnung ist. Die 50-er können aber auch echte Krisenjahre sein. Beziehungen gehen zu Bruch. Manche sehen diese Zeit als ihre letzte Chance, noch einmal durchzustarten. Natürlich wird auch der Tod der Elterngeneration ein Thema. Das eigene Ende rückt näher, jetzt wird man selber alt.

teleschau: Wer "Um die 50" sieht, könnte auf die Idee kommen, dass sie nach diesen 90 Minuten gerne weitererzählen würden ...

Raacke: Das haben Sie richtig interpretiert. In "Um die 30" konnten wir rund sechs Stunden lang das Leben unserer sechs Figuren erzählen. Jetzt hatten wir nur 90 Minuten und mussten alles stark verdichten. Zwei von drei Paaren sind nicht mehr zusammen. Einige haben neue Partner, es gibt Kinder. Wir haben da eine Menge Personal und Beziehungen am Start. Das schreit förmlich danach, genauer betrachtet zu werden. Es würde mich freuen, wenn es weitergeht.

teleschau: Gibt es etwas, das Sie in Ihrem Leben bereuen - oder was sie verpasst zu haben glauben?

Raacke: Nein, ich bin ein zufriedener Mensch. Und Vergangenheit ist für mich nichts, was ich bereue. Ich benutze sie eher als Ressource. Aber - ich bin ja auch schon 62.

ZDF-Film "Um die 50": Die Eheleute Henriette (Henny Reents) und Frank (Dominic Raacke) beenden ein Krisengespräch in Harmonie. (Bild: ZDF / Raymond Roemke)
ZDF-Film "Um die 50": Die Eheleute Henriette (Henny Reents) und Frank (Dominic Raacke) beenden ein Krisengespräch in Harmonie. (Bild: ZDF / Raymond Roemke)