Emily Cox zu Übergriffigkeiten an Filmsets: "Ich bin so aufgewachsen, dass ich mich sehr klar verteidige"

Emily Cox spielt in der grandiosen ARD-Serie "37 Sekunden" die Tochter eines Musikstars, der eine Nachwuchskünstlerin vergewaltigt haben könnte - die beste Freundin von Cox' Figur. Im Interview erzählt die 38-Jährige, welche Erfahrungen in Sachen Übergriffigkeit sie selbst an Filmsets gemacht hat. (Bild: Pascal Bünning)
Emily Cox spielt in der grandiosen ARD-Serie "37 Sekunden" die Tochter eines Musikstars, der eine Nachwuchskünstlerin vergewaltigt haben könnte - die beste Freundin von Cox' Figur. Im Interview erzählt die 38-Jährige, welche Erfahrungen in Sachen Übergriffigkeit sie selbst an Filmsets gemacht hat. (Bild: Pascal Bünning)

In "37 Sekunden", einer der besten deutschen Serien des Jahres, spielt Emily Cox die Tochter eines berühmten Musikstars. Der Mann könnte eine Nachwuchskünstlerin vergewaltigt haben. Die Frage, um die es hier auch geht: Wie schafft man es, die Grenze zwischen einvernehmlichem Sex und Vergewaltigung auszuloten?

Emily Cox, Tochter eines Engländers und einer Irin, kam in Wien zur Welt und wuchs zweisprachig auf. Heute zählt die 38-Jährige sowohl auf dem internationalen ("Last Kingdom") wie auch auf dem deutschsprachigen Film- und Fernsehmarkt zu den gefragten Charakterdarstellerinnen. In der sechsteiligen ARD-Serie "37 Sekunden" (Dienstag, 15. August, 22.50 Uhr, Das Erste, und bereits ab 4. August in der ARD Mediathek) spielt sie die Tochter eines berühmten Musikstars, der eine Nachwuchskünstlerin vergewaltigt haben könnte - die beste Freundin von Cox' Figur. Die sensibel und gleichermaßen komplex erzählte Serie dürfte mit zum Besten zählen, das man in diesem Jahr aus deutscher Serienproduktion sehen kann. Noch wichtiger ist jedoch die Frage, wie man es schafft, die Grenze zwischen einvernehmlichem Sex und Vergewaltigung klar zu definieren. Emily Cox hat dazu eine klare Meinung.

teleschau: In der Serie sagt der Mann, dem Vergewaltigung vorgeworfen wird: "Leidenschaft lässt sich nicht in Regeln einordnen." - Wo ist die Grenze zwischen Leidenschaft und Übergriffigkeit?

Emily Cox: Genau darum geht es in "37 Sekunden". Am Drehbuch fand ich toll, dass es ein sehr komplexes Thema auf eine ebenso komplexe Art und Weise erzählt. Es gibt in der Serie keine rein guten oder bösen Menschen. Alle Charaktere haben Abgründe oder auch "blind spots", die sie selbst gar nicht kennen. Ich habe selten erlebt, dass sich eine Serie oder ein Film so differenziert mit diesem Thema auseinandersetzt.

teleschau: Sie meinen, dass auch der eventuelle Vergewaltiger nicht als Monster gezeichnet wird? Das ist sicher etwas, das auch Widerspruch hervorrufen wird ...

Emily Cox: Das kann durchaus sein. Die Serie fragt eben auch danach, was es bedeutet, Täter zu sein und stellt auch die Frage: Ab wann ist man überhaupt ein Täter? Wo ist die Grenze zwischen Leidenschaft und Gewalt? In Bezug auf meine Figur, denn ich spiele ja die Tochter des mutmaßlichen Täters, geht es auch darum, wie lange man einen Menschen beschützt, den man aus ganzem Herzen liebt.

Anwältin Clara (Emily Cox) und die begabte Songwriterin Leonie (Paula Kober) sind beste Freundinnen. Doch Clara weiß nicht, dass Leonie eine Affäre mit ihrem Vater eingegangen ist. (Bild: ARD Degeto/Odeon Fiction GmbH/Barbara Bauriedl)
Anwältin Clara (Emily Cox) und die begabte Songwriterin Leonie (Paula Kober) sind beste Freundinnen. Doch Clara weiß nicht, dass Leonie eine Affäre mit ihrem Vater eingegangen ist. (Bild: ARD Degeto/Odeon Fiction GmbH/Barbara Bauriedl)

"Wer die Grenzen anderer Menschen nicht respektieren kann, muss gestoppt werden"

teleschau: Gibt es für Sie persönlich eine klare Grenze?

Emily Cox: Ja, die gibt es. Sobald einer beim sexuellen Kontakt kommuniziert: "Nein, das möchte ich nicht", ist der Fall für mich klar. Es ist absurd, überhaupt darüber zu diskutieren. Dass man die Möglichkeit in Betracht zieht, dass diese Aussage nicht ernst gemeint sein könnte.

teleschau: Die Sex-Szene in Serienfolge eins, um die es danach immer wieder geht, wurde aber so ambivalent gedreht, dass sie mehrere Optionen offen lässt. Oder, wie sehen Sie es?

Emily Cox: Dazu möchte ich eigentlich lieber nichts sagen, weil die Serie ja schließlich davon lebt, dass sich jede Zuschauerin und jeder Zuschauer selbst eine Meinung bildet. Jeder schaut sich diese Szene an und fragt sich: Wo ist diese Grenze? Genau mit dieser Frage sollten wir uns als Gesellschaft auseinandersetzen.

teleschau: Trotzdem: Kann man eine solche Grenze bei jedem Geschlechtsakt klar ziehen?

Emily Cox: Natürlich gibt es auch Sex, der spielerisch mit Verweigerung umgeht. Ich denke aber, dass man in der Regel weiß, ob man es damit zu tun hat oder nicht, wenn man gerade Teil eines solchen Spiels ist. Es kann mir niemand erzählen, dass man es nicht mitbekommen haben will, dass die andere Person den sexuellen Akt nicht wollte. Selbst, wenn man wildere Dinge tut.

teleschau: Seit MeToo schauen wir viel genauer hin, wie Menschen miteinander umgehen. Wie zum Beispiel die Machtverhältnisse zweier Menschen in Bezug auf mögliche Intimität aussehen. Wächst da gerade eine neue Generation mit anderem Bewusstsein heran?

Emily Cox: Ich glaube schon! Ich denke, dass da eine Generation heranwächst, die sich vieles nicht mehr bieten lässt. Das finde ich gut. Gleichzeitig finde ich wichtig, dass die Freiheit der Sexualität und das Spielerische in der Sexualität erhalten bleiben. Ich denke, wie fast immer liegt der Schlüssel in der Kommunikation. Einerseits dem klaren Verständigen darüber, was man will, und was nicht - wie weit ein Flirt gehen darf. Andererseits im selbstverständlichen Wahrnehmen der Grenze des anderen. Wer die Grenzen anderer Menschen nicht respektieren kann und will, hat in meinen Augen ein ernstes Problem und muss gestoppt werden.

Carsten (Jens Albinus, links) und seine Tochter Clara (Emily Cox) erfahren von einem Video, dass Leonie gepostet hat. Auch Carstens Manager Ranke (Martin Feifel) ist fassungslos. (Bild: ARD Degeto/Odeon Fiction GmbH/Barbara Bauriedl)
Carsten (Jens Albinus, links) und seine Tochter Clara (Emily Cox) erfahren von einem Video, dass Leonie gepostet hat. Auch Carstens Manager Ranke (Martin Feifel) ist fassungslos. (Bild: ARD Degeto/Odeon Fiction GmbH/Barbara Bauriedl)

"Wenn man sich übergriffig verhält, kann man richtig gute Filme gar nicht machen"

teleschau: Wäre die Position von Frauen dann gestärkt?

Emily Cox: Sex ist doch eigentlich etwas total Schönes, wenn wir Freiheit mit einer Klarheit darüber verbinden, was gewünscht wird und was nicht. Und wenn das auch von der Gegenseite strikt eingehalten wird.

teleschau: Es ist in den vergangenen Jahren viel über Übergriffigkeit an Filmsets gesprochen worden. Wie sind Ihre Erfahrungen? Ist das Filmset ein übergriffiger Raum?

Emily Cox: Ich habe zum Glück nie sexuelle Übergriffigkeit erlebt. Leider habe auch ich allerdings unangenehme Erfahrungen an Sets gemacht. Ich finde es gut, dass nun generell mehr über diese Themen gesprochen wird. Darüber, wie man Strukturen schafft, damit es möglichst allen Menschen bei einer Filmproduktion gut geht. Es geht um Arbeitsbedingungen, Vereinbarkeit von Job und Familie und natürlich auch den Umgang miteinander. Es ist auf jeden Fall gut, dass Stellen geschaffen werden, an die man sich wenden kann, wenn es übergriffiges Verhalten gibt. Ich hoffe und glaube, dass es immer seltener passieren wird, dass man am Set respektlos miteinander umgeht. Meine Erfahrungen an Sets waren zum Glück bisher überwiegend positiv, und wenn die Atmosphäre an einem Set stimmt, dann ist es der tollste Job der Welt.

teleschau: Sie sprachen aber eben selbst von "unangenehmen Erfahrungen an Sets" ...

Emily Cox: Wie gesagt, der überwiegende Teil der Sets, an denen ich gearbeitet habe, war positiv und wertschätzend. Und ich finde, man sieht es dem fertigen Produkt auch an, wenn es so war. Auch bei "37 Sekunden". Wir Schauspielerinnen und Schauspieler waren sehr frei. Wenn man sich übergriffig verhält, kann man richtig gute Filme gar nicht machen, weil die Mitarbeitenden dann zumachen. Und sei es nur unbewusst.

Clara (Emily Cox) und der kompromisslose Rechtsanwalt Fabian Hauser (Marc Benjamin), der ihren Vater verteidigt, kennen sich von früher. Bringt der eitle Starjurist Claras destruktive Seite zum Vorschein?
 (Bild: ARD Degeto/Odeon Fiction GmbH/Barbara Bauriedl)
Clara (Emily Cox) und der kompromisslose Rechtsanwalt Fabian Hauser (Marc Benjamin), der ihren Vater verteidigt, kennen sich von früher. Bringt der eitle Starjurist Claras destruktive Seite zum Vorschein? (Bild: ARD Degeto/Odeon Fiction GmbH/Barbara Bauriedl)

"Ich sitze am Klavier seit ich ein Baby bin"

teleschau: Welcher Art waren Ihre negativen Erlebnisse?

Emily Cox: Wie gesagt, es war nichts Sexuelles. Eher schlechte Arbeitsbedingungen mit zu wenig Zeit, was beispielsweise zur Folge hatte, dass man Stunts wahnsinnig schnell machen sollte. Und bei gefährlicheren Stunts sind Ruhe und Zeit dringend nötig, damit sich niemand verletzt. Ich hab Situationen erlebt, bei denen Stuntleute dann gesagt haben, dass sie auf diese Art und Weise ein Problem mit der Szene haben, weil es nicht sicher genug war. Eben wegen des Zeitdrucks und der mangelnden Vorbereitung. Manchmal wurde dann ein Druck aufgebaut, der einfach unangenehm war. Solche Dinge habe ich erlebt.

teleschau: Sie haben sich aber nie eingeschüchtert oder dominiert gefühlt, von Regisseuren oder Produzenten?

Emily Cox: Nein, ich bin aber auch so aufgewachsen, dass ich mich sehr klar verteidige, wenn ich in solche Situationen gerate. Das hat mit meiner Erziehung, meiner Familie zu tun. Aber die Bewegung, über die wir gerade sprachen, ist ungeheuer wichtig für Menschen, die sich nicht so gut selbst schützen können.

teleschau: Apropos Erziehung, Ihre Eltern sind beide Pianisten. Gab es da keinen familiären Druck, dass Sie künstlerisch auch in diese Richtung gehen?

Emily Cox: Druck gab es nicht, aber es lag natürlich nahe. Als Kind dachte ich immer, dass Klavierspielen so etwas ist, wie den Führerschein zu haben. Also etwas, das alle Erwachsenen tun. Ich sitze am Klavier seit ich ein Baby bin, mein Papa hatte mich während dem Üben oft am Schoß. Irgendwann, als ich älter wurde, merkte ich dann, dass meine Eltern das supergut können, und fand es wichtig, etwas zu haben, das nur ich mache. Das war dann die Schauspielerei.

Rammstein-Debatte, aber anders: Popstar Carsten Andersen (Jens Albinus) hat eine heimliche Liebesaffäre mit der mehr als 20 Jahre jüngeren Leonie (Paula Kober), die ebenfalls auf eine Musikkarriere hofft. (Bild: ARD Degeto/Odeon Fiction GmbH/Barbara Bauriedl)
Rammstein-Debatte, aber anders: Popstar Carsten Andersen (Jens Albinus) hat eine heimliche Liebesaffäre mit der mehr als 20 Jahre jüngeren Leonie (Paula Kober), die ebenfalls auf eine Musikkarriere hofft. (Bild: ARD Degeto/Odeon Fiction GmbH/Barbara Bauriedl)

"Ich habe so eine Art Hippie-Eltern"

teleschau: Also haben Ihre Eltern nicht versucht, Sie zu beeinflussen - in Richtung eines musikalischen Berufs?

Emily Cox: Nein, ich habe so eine Art Hippie-Eltern, die haben mich sehr frei erzogen. Druck ausüben, das war nie deren Ding. Ich habe mit 14 etwa aufgehört, Klavierunterricht zu nehmen. Erst vor ein paar Jahren spürte ich, wie sehr mir die Musik fehlt. Dann habe ich mir ein gutes elektrisches Klavier gekauft und schreibe darauf jetzt ab und zu Songs. Das macht mir viel Spaß.

teleschau: Aber Sie haben nie in einer Band oder einem Ensemble gespielt?

Emily Cox: Leider nicht. Aber ich hätte tatsächlich Lust, noch mal etwas in diese Richtung auszuprobieren.

teleschau: Sie sind zweisprachig aufgewachsen. Mit englischsprachigen Eltern und einer deutschsprachigen Umgebung. Wie groß ist Ihre Ambition, international zu drehen?

Emily Cox: Die ist schon da, ich habe auch Agenturen in Amerika und England. Über die letzten Jahre war ich mit einer Hauptrolle in der BBC/Netflix-Serie "Last Kingdom" ja auch international gut beschäftigt. Die Serie ist erst vor etwa einem Jahr zu Ende gegangen. Dafür habe ich etwa sechs Monate pro Jahr gedreht, es gab fünf Staffeln und einen Film. Ich möchte aber auch weiter in Deutschland und Österreich drehen, weil auch hier sehr spannende Sachen passieren.

teleschau: Fühlt es sich für Sie anders an, auf Englisch oder Deutsch zu drehen?

Emily Cox: Ein bisschen schon. Wenn Leute Englisch sprechen, habe ich immer gleich das Gefühl, sie gehören zu meiner Familie. Weil früher, als ich klein war, waren meine Eltern die einzigen Menschen, die in meinem Umfeld Englisch sprachen. Alles andere fand auf Deutsch statt. Aber ich mag beide Sprachen sehr gerne, was man ja auch an der Wahl meiner Rollen sehen kann.

Clara Andersen (Emily Cox) singt mit ihrem Vater Carsten Andersen (Jens Albinus) auf dessen Gartenparty. (Bild: ARD Degeto/Odeon Fiction GmbH/Barbara Bauriedl)
Clara Andersen (Emily Cox) singt mit ihrem Vater Carsten Andersen (Jens Albinus) auf dessen Gartenparty. (Bild: ARD Degeto/Odeon Fiction GmbH/Barbara Bauriedl)