Expertin Viviane Raddatz - Wunderlösung für die Energiewende? Was hinter dem Wasserstoff-Hype steckt
Wasserstoff ist das Gold der Energiewende. Oder? Zumindest ist es aktuell vielleicht einer der größten Hypes, wenn es um den nachhaltigen Wandel aller Wirtschaftsbereiche hin zur Klimaneutralität geht. Doch was steckt hinter dem Hype um das „Gold der Energiewende“?
Wasserstoff soll die Industrie frei von fossilen Emissionen machen. Wasserstoff soll die Tanks unserer Autos füllen. Wasserstoff soll das Gas in unseren Heizungsthermen ablösen. Und die Wärmenetze aufheizen. Und wahrscheinlich noch vieles mehr. Wasserstoff, der saubere Energieträger, das Allheilmittel für alle Sektoren.
Aber kann es das sein? Mit Blick auf die Verfügbarkeit von tatsächlich nachhaltigem Wasserstoff, muss die Antwort leider nein lauten. Denn zuallererst kann nur dann von einer wirklichen Wende etwa hin zu einem klimaneutralen Industriesektor gesprochen werden, wenn der genutzte Wasserstoff „grün“ ist – also mithilfe von Erneuerbaren Energien hergestellt wurde.
Denn für die Herstellung von Wasserstoff braucht es einiges an Energie. Kommt diese aber aus fossilen Quellen wie Kohle, Öl und Erdgas, ist der Wasserstoff nicht CO2-frei. Er trägt dann weiterhin zur Erderhitzung bei und hält fossile Strukturen aufrecht, von denen wir dringend abkehren müssen, um die Klimakrise einzudämmen.
Für grünen Wasserstoff bräuchte es deutlich mehr Erneuerbare
Beim Ausbau der Erneuerbaren geht es zwar gut voran, sodass sie perspektivisch unsere Stromversorgung abdecken können. Wenngleich noch eine Schippe draufgelegt werden sollte, etwa mithilfe eines Solarstandards – also PV-Anlagen für alle Dächer - und mehr Windanlagen auch im Süden Deutschlands.
Aber sollen Wind- und Sonnenenergie nun auch noch für die Wasserstoffherstellung bereitstehen, müssten zig Schippen draufgelegt werden. Und da landen wir erstens an den Grenzen von Flächenverfügbarkeiten, wenn wir den Strom hier in Deutschland gewinnen wollen. Oder wir schaffen höhere Importrisiken, wenn wir noch mehr Wasserstoff aus anderen Ländern beziehen, die ihn dann doch eventuell noch mit Gas herstellen oder in denenWasserknappheit herrscht.
Wirklich “grüner” Wasserstoff bleibt vorerst also ein sehr rares Gut. Und daher muss er mit Bedacht eingesetzt werden. Dort, wo Alternativen fehlen, direkt auf Strom zu setzen. Denn die direkte Elektrifizierung verbraucht weit weniger Energie. Der Verkehrssektor ist ein gutes Beispiel: Hier stehen mit E-Autos die direkt elektrische Variante zur Verfügung. Stattdessen Wasserstoff großzügig einsetzen zu wollen, wäre, wie Straßen mit Gold zu pflastern. Die Industrie dagegen braucht den klimafreundlichen Wasserstoff, denn hier lässt sich nicht alles direkt mit Strom betreiben.
Verbraucher:innen brauchen mehr Orientierung
Und der Gebäudesektor? Auch hier gibt es Alternativen zum Wasserstoff, die in den meisten Fällen auch die Portemonnaies der Verbraucher:innen schützen. Alternativen, die sowohl das Klima und die Umwelt schonen als auch heute schon tatsächlich verfügbar sind. Leider hat die rosarote Brille beim Blick auf das herbeigewünschte Wunderkind Wasserstoff aber dazu geführt, dass er für den Wärmebereich von der Politik weit stärker in den Fokus gerückt wurde als es Sinn ergibt. Gleich auf zwei Ebenen ist das geschehen.
Einmal bei der individuellen Wahl der Heizung, die über das Gebäudeenergiegesetz (kurz GEG, auch bekannt als Heizungsgesetz) neu aufgestellt wurde. Beim Streit um das Heizungsgesetz, der den politischen Sommer 2023 bestimmte, wurde am Ende so vielverwässert, dass es nicht nur mit der Orientierung für Verbraucher:innen dahin war. Auch aus Klima- und Kostensicht ist der gefundene Kompromiss mehr als fragwürdig. Denn erlaubt ist weiterhin, sich auch in Zukunft eine neue fossile Erdgasheizung einzubauen, wenn sie denn beispielsweise perspektivisch auf Wasserstoff umrüstbar ist. Hier stehen mehr als drei Fragezeichen.
Was mit fossilem Gas läuft, läuft auch mit Wasserstoff?
Erstens wird hier den Menschen vorgegaukelt, dass Wasserstoff schon mittelfristig so weit verfügbar sei, als dass er in den vielen Heizungen der vielen Häuschen in Deutschland zum Einsatz kommen könnte. Was nicht der Fall ist, siehe oben. Zweitens müssten Gasheizungen umgerüstet werden, mit entsprechenden Kosten. Eine normale Erdgasheizung ist heute nicht zu 100 Prozent wasserstofffähig. Und drittens, apropos Kosten: Mit Wasserstoff würden sich Verbraucher:innen auch einem Kostenrisiko aussetzen, da sie mit H2 einen relativ teuren Energieträger einkaufen müssen. Und viertens so lange noch Gas verheizen, was die Klimakrise weiter anfacht.
Denn Erdgas ist wie Öl und Kohle ein fossiler Energieträger. Auf der Klimakonferenz in Dubai hat sich die Staatengemeinschaft – auch Deutschland – dazu bekannt, von allen fossilen Energieträgern abzukehren. Nun den Einbau neuer Gasheizungen zu forcieren – wie auch immer ihre Umstellung auf Wasserstoff oder anderen Gasen eventuell funktionieren mag – läuft daher auch den eigenen Klimaplänen und -versprechen entgegen.
Apropos Gasheizung: Nicht nur Wasserstoff ist perspektivisch erst einmal ein sehr teurer Wärmelieferant. Auch fossiles Gas ist aufgrund von geopolitischen Unsicherheiten und CO2-Bepreisung preislich riskant – das haben wir durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine erst kürzlich erfahren müssen. Und gegen die nachhaltige Alternative, die – anders als auch Wasserstoff – derzeit auch schon verfügbar ist, kommt Gas nicht an: die Wärmepumpe.
Vom „ Hammer-Heizungs-Deal “ profitieren
Der WWF hat beispielhaft an einem durchschnittlichen Einfamilienhaus gezeigt , dass der Einbau einer neuen Wärmepumpe sich gegenüber dem Einbau einer neuen Gasheizung nicht nur aus Klimasicht, sondern auch aus Kostenargumenten auszahlt. Berücksichtig wurde dabei die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG), über die es über verschiedene Stufen Förderung gibt.
Die Berechnung zeigt: Allein die Grundförderung macht die Wärmepumpe bereits wettbewerbsfähiger als eine Gasheizung. Durch Grund- und Geschwindigkeitsbonus lassen sich mit einer Wärmepumpe mehr als 600 Euro im Jahr gegenüber einer neuen Gasheizung einsparen. In Kombination mit einer PV-Anlage sind es sogar 975 Euro pro Jahr. Mit dem zusätzlichen Einkommensbonus, den ein großer Teil von Gebäudeeigentümer:innen bekommt, beträgt die jährliche Ersparnis rund 840 Euro. In der Kombination mit einer PV-Anlage können über 1.200 Euro jährlich gespart werden.
Zeigt unterm Strich: Auch im Gebäudebereich ist die direkte Elektrifizierung über eine Wärmepumpe aktuell und perspektivisch die bessere Variante, als auf Wasserstoff – oder sogar Erdgas – zu setzen. Aber beim Thema Wärme gibt es ja noch eine zweite Ebene, und zwar die kommunale Wärmeversorgung.
Wärmeplanung in den Kommunen steht an
Hier wären wir bei Punkt zwei von oben. Denn die kommunale Wärmeversorgung wurde ebenfalls gerade politisch neu aufgestellt und auch hier wird sehr stark auf Wasserstoff gesetzt.
Kurz zur Einordnung: Nach dem Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung, das kürzlich in Kraft getreten ist, müssen Kommunen in den kommenden Jahren (je nach Größe der Kommune gibt es unterschiedliche Fristen) Wärmepläne vorlegen. Gemeinsam mit dem GEG soll so die Wärmewende vollzogen werden. Das ist zwar grundsätzlich ein guter Gedanke, nur hakt es in der Praxis aufgrund vieler Ausnahmen und langer Fristen. Für eine ganzheitliche Wärmewende reicht es nicht aus.
Und eben wieder auch aufgrund der zu großen Rolle des Wasserstoffs. Denn Kommunen sollen prüfen müssen, bestimmte Gebiete mit Wasserstoff zu versorgen. Das ist aber rechtlich zumindest fragwürdig, wie auch ein neues Rechtsgutach t en gezeigt hat, beauftragt von Münchner Umweltinstitut, DUH, GermanZero, Klima-Bündnis und WWF .
Demnach braucht es zuallererst einmal einen verbindlichen Fahrplan der lokalen Gasverteilnetzbetreiber für eine Umstellung des Gasnetzes auf Wasserstoff, bevor die Kommune hier mit Wasserstoff plant. Dazu gehört auch eine Versicherung, dass der Betreiber die Mehrkosten für die Verbraucher:innen übernimmt, sollte die Wasserstoffversorgung dann doch scheitern – zurecht, damit die Kostenfalle Wasserstoff verhindert werden kann. Wir sind skeptisch, ob jemand diese hohen Risiken tragen wird. Ist das nicht der Fall, muss die Kommune Wasserstoff für Haushalte früh aus der Wärmeplanung ausklammern, um keine Zeit und Ressourcen für unrealistische Lösungen zu verschwenden.
Lieferung mit Wasserstoff kann nicht gewährleistet werden
Dazu kommt: Noch fehlen die Fahrpläne für die Gasnetzumstellung. Größere Städte müssen ihre Wärmeplanung bis Mitte 2026, die übrigen Gemeinden bis Mitte 2028 vorlegen. Die Netzbetreiber können die Fahrpläne derzeit noch gar nicht erstellen, da die regulatorischen Vorschriften für Gas- und Wasserstoffnetze noch nicht aktualisiert wurden und eine tatsächliche Lieferung des Wasserstoffs nicht sichergestellt werden kann. Realistisch gesehen werden die Fahrpläne zur Wasserstoffversorgung also häufig nicht rechtzeitig vorliegen.
Was übrigens gar nicht Teil der kommunalen Wärmeplanung ist und demnach trotzdem mit Wasserstoff versorgt werden kann, auch wenn H2 in der Planung der Kommune nicht auftaucht bzw. ausgeschlossen wird: die Industrie. Das heißt, die lokalen und regionalen Industrieunternehmen können künftig auch so auf Wasserstoff setzen, auch wenn er im Zuge der Wärmeplanung für Haushalte nicht zum Heizen vorgesehen ist.
In Kommunen auf realistische und zeitnah realisierbare Pläne setzen
Das zeigt: Auch hier lenkt der Blick auf Wasserstoff ab von wahrscheinlich realistischeren Alternativen, die schneller eine nachhaltige Wärmeversorgung ermöglichen. Dazu gehört, frühzeitig zu kommunizieren, welche Gebiete nicht für einen Anschluss an Wärmenetze infrage kommen, damit Hausbesitzer:innen dort selbst schon etwa in eine Wärmepumpe investieren können. Dazu gehört auch, die Fernwärmenetze auszubauen und die Fernwärme mithilfe von Erneuerbaren Energien fossilfrei zu bekommen.
Und bevor der falsche Eindruck hinterlassen wird: Wasserstoff ist ein essenzieller Baustein für die Energiewende, solange er “grün” ist und dort zum Einsatz kommt, wo es aktuell an Alternativen mangelt. Wie in einzelnen Industriesparten. Oder im Flugverkehr. Nicht im Individualverkehr oder dem Gebäudesektor. Nur so wird er tatsächlich zum Gold derEnergiewende statt zur Kostenfalle für Verbraucher:innen.