Fall Böhmermann: Merkels Gesetzestreue wird ihr zur Last

Die Bundesregierung stimmt einem Strafverfahren gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Majestätsbeleidigung zu. Das ist ein Fehler. Doch den größeren haben andere zuvor gemacht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Der Aufschrei wird jetzt laut sein. Merkel beugt sich Erdogan! Der Sultan diktiert deutscher Regierung, wie man Meinungsfreiheit beschneidet! Tatsächlich ist der Gedanke an ein Strafverfahren wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes kein guter. Dumm nur, dass wir solche Paragrafen überhaupt noch haben.

Das ist die eine Seite. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist vorzuwerfen, dass sie sich an die Gesetze ihres Landes hält. Die andere: Böhmermann erhält nun, worum er förmlich bat und was ihm zusteht. In dieser „Staatsaffäre Böhmermann“ gibt es nur Verlierer.

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Verlierer Nummer Eins ist der türkische Staatspräsident, weil ihm der persönliche Strafantrag, den er auch eingereicht hatte, nicht genügte. Mit der Verbalnote seiner eigenen Regierung und der Forderung nach einem Verfahren gemäß dieses verdammten Mittelalterparagrafen 103 hat er die Bundesregierung unnötig in Bedrängnis gebracht und Misstrauen geschürt. Souverän wäre gewesen, den rassistischen Quatsch von Böhmermann an sich abperlen zu lassen.

Verliererin Nummer Zwei ist Merkel, weil sie besser gelassen auf das eine Verfahren verwiesen hätte, das eh schon begonnen hat. Sie hätte sagen können: Mit der Arbeit von Gerichten und Staatsanwaltschaften hat die Regierung nichts zu schaffen. Ganz klar ist aber auch, dass die Kanzlerin als am wenigsten beschädigte Akteurin heraustreten wird. Pedanterie und Gesetzestreue sind zwar schlechte deutsche Eigenschaften, aber es gibt schlimmeres.

Zum Beispiel, was Verlierer Nummer Drei, Jan Böhmermann, angeht. Mit seiner Hilfe haben wir die Türken unseres Landes daran erinnert, was wir letzten Endes von ihnen halten. Schließlich war es auch arg ruhig um sie geworden, nach den vielen „Flüchtlingen“, die uns den Atem rauben, und davor die „gierigen Griechen“ mit ihrem Schlendrian. Vielleicht wollte Böhmermann nur dem dünnhäutigen Erdogan eine Lektion erteilen, den Sultan und sein fragwürdiges Verständnis von Demokratie und Meinungsfreiheit vorführen.

Nun mal Schluss mit den armen Ziegen

Nur zeigte er mit seinem ebenfalls fragwürdigen Brachialhumor nicht nur Erdogan, sondern vielen Türken die lange Nase. Seine „Schmähungen“ galten formell Erdogan, mussten aber den Seldschuken an und für sich treffen: Nur so und nicht anders sind die rassistischen Stereotype zu verstehen, die er in seinem Gedicht brav zusammensammelte: Allesamt schmutzige Phantasien aus der Welt des Orientalismus, die der Deutsche seit Jahrhunderte gegen die da unten hegte.

Aus dieser Affäre werden also nur Lädierte hervortreten. Böhmermann selbst wird sich nun ein Verfahren und eine Geldstrafe abholen. Er ist jung, begabt, mutig und genial. Dieser schwere Fehler wird ihn nicht umhauen. Und wir sollten einen langen Blick in unsere Gesetzbücher wagen und schauen, was sich da noch an Paragrafen tummelt, die besser abgeschafft werden sollten, bevor ein Sultan daherkommt und uns auf unsere schlechten Traditionen hinweist.

Und vielleicht sollten wir den Lehrplan deutscher Schulen ändern. Im Deutsch-Unterricht sollte der Satire mehr Platz geschenkt werden. Immerhin sind wir mit Beginn dieser Affäre plötzlich zu begeisterten Anhängern dieser Textform mutiert; bevor dieser Hype in ein, zwei Wochen verflogen sein wird, sollten wir Nägel mit Köpfen machen und dieses Thema vertiefen. Die wichtigste Lektion: Wird Satire zum Instrument des (eigentlich immer rechts blinkenden) Populismus, wird sie schnell schal. So gesehen ist es Merkel sogar anzurechnen, dass sie sich der Stimmung im Land nicht beugte, welche den Sultan Erdogan auf der Beliebtheitsskala ganz unten positioniert und Böhmermann ganz oben.

Aber vielleicht haben die Leute nur vergessen, was der im vergangenen Sommer geschrieben hatte: „In diesem Sommer haben wir Deutschen eine historische Chance. Die Chance, uns ausnahmsweise mal nicht wie Arschlöcher zu benehmen.“ Das wäre ja ein guter Anknüpfungspunkt für die heutige Misere.

Bilder: dpa

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