Fernsehserie Marke Eigenbau: Wer braucht schon einen Sender?

In der neuen Streaming-Welt braucht man keinen Vertrag mit Netflix, Amazon oder einem deutschen Fernsehsender, um eine spannende neue Sitcom-Serie an den Start zu bringen. Das Community Art Center Mannheim hat das Produzieren selbst in die Hand genommen. Ist das das Fernsehen von morgen?

Das Leben in der Großstadt von heute bringt viel Stress mit sich: Alleinerziehende müssen sich als Working-Poor-Mütter durchschlagen. Ausgebeutete Paket-Boten knapsen mit ihren harten Vollzeit-Jobs knapp über dem Exitenzminimum dahin. Und selbst die sich gerne so glamourös gebenden Influencer müssen viel Energie und Herzblut investieren, um vor der Web-Kamera groß rauszukommen - und trotzdem lächeln zu können angesichts des Überlebenskampfes im Unterschichtenviertel. Die spannende neue Sitcom "#STRESS - Ein Life Diary", die ab Donnerstag, 10. Oktober, in acht Teilen exklusiv bei YouTube zu sehen ist, nimmt die zeitgemäßen Arbeits- und Lebensformen augenzwinkernd auf die Schippe.

Das Besondere dabei: Die Produktion, die sich mit aktuellen Hochglanz-Serien messen kann, entstand nicht in Kooperation mit Branchenriesen wie Netflix, Amazon oder einem deutschen Fernsehsender, sondern quasi im Selbermacher-Studio, in einem Kunst- und Begegnungszentrum in Mannheim, wo die Handlung auch angesiedelt ist. "Die Arbeit am Set hat uns unglaublich viel Spaß gemacht", berichtet Annette Dorothea Weber, die bei "#STRESS" das Drehbuch schrieb und die Regie sowie die Produktion übernahm, im Rückblick voller Stolz. Die Acht-Folgen-Sitcom entstand im Community Art Center von Mannheim, deren künstlerische Leiterin Weber ist.

"Dieses Jahr haben wir uns ein Projekt vorgenommen, das sich mit der Zukunft der Arbeit beschäftigt", sagt Weber, die sonst mit einer freien Gruppe an Theaterschauspielerin Bühnenproduktionen im Community Art Center auf die Bretter hievt. Diesmal wählte man einen anderen Weg, baute auf der Theaterbühne feste Film-Sets auf, engagierte ein professionelles Kamera- und Schnitt-Team aus dem Bekanntenkreis und drehte die launigen "#STRESS"-Folgen, die sich mit dem nicht ganz einfachen Alltagsleben im Stadtviertel Neckarstadt-West beschäftigen, deren sehr gemischte Bevölkerung von Abstiegsängsten gequält wird, aber gleichzeitig ins Visier von Immobilien-Haien geraten ist.

Neue Zielgruppen erreichen - potenziell in ganz Deutschland

Auf die Entscheidung, die Serie selbst auf YouTube zu bringen, ist Annette Dorothea Weber sehr stolz - auch weil sie so ganz neue Zuschauer für ihre Arbeiten im Community Art Center, das auch sonst häufiger Medienprojekte verfolgt und zu allen Kunstproduktionen eigene Trailer produziert, erreichen will. "Wir erweitern unseren Kreis, weil wir über das Streaming unsere Inhalte viel breiter streuen und neue Zielgruppen ansprechen können", erklärt sie. Potenziell natürlich im gesamten deutschsprachigen Raum. "Um ins Theater zu gehen, muss man eine Schwelle überschreiten", so Weber. "Sich zu Hause einmal etwas auf YouTube anzusehen, ist viel einfacher."

Der technische Aufwand des Produzierens hat sich für die Beteiligten an den acht Serien-Episoden durchaus überschaubar gehalten. Weber schreibt selbst sonst oft Drehbücher, nur die Arbeit an einem Storyboard fürs Filmen war neu für sie. "Licht war vor allem eine Herausforderung", sagt sie im Rückblick. "Vom Theater-Licht habe ich Ahnung, vom Film-Licht nicht." Einen dramaturgischen Bogen fürs Streaming-Fernsehen zu schlagen, hat ihr dagegen viel Spaß gemacht. "Ich bin persönlich Serien-Junkie", so Weber. "Ich bin abhängig von der Droge Serien-Fernsehen."

YouTube von innen kritisieren

Wie es sich für ein gemeinnütziges Stadtteilprojekt schickt, schlägt die "#STRESS"-Serie kritische Töne an und nimmt in einer Art "Guerilla-Taktik", wie es in Mannheim heißt, auch die Produktionsbedingungen und möglicherweise falschen Träume der Generation YouTube mit ihren vielen privaten Influencern ins Visier. "Wir greifen aktuelle Themen mit einer gewissen Ironie auf", sagt Annette Dorothea Weber über die Serie. "Sie klischiert sehr stark." So kommen auch erfundene Fake-Werbeeinspielungen ins Bild, die die Zuschauer glauben lassen könnten, dass zur Erhöhung der Click-Zahlen Promotion-Maßnahmen in die Spielhandlung integriert wurden.

Weber hat sich zuletzt sehr viele YouTube-Diaries von meist jungen Produzenten angesehen - und war oft fassungslos angesichts von Kommerzialisierung und Naivität. "Früher wollten man als junger Mensch doch ein Star in einer Illustrierten wie der 'Bravo' werden", sagt sie. "Heute wollen die Kids das bei YouTube erreichen. Menschen sind unglaublich verführbar." Dass YouTube der Produktion trotzdem die Möglichkeit bot, das Medium quasi von innen heraus zu kritisieren, imponierte den Serien-Machern im Selber-Macher-Prinzip stark.

Keine nervigen TV-Redakteure im Nacken

"Ich find's toll, dass wir das frei und unabhängig gemacht haben", unterstreicht die frischgebackene Serien-Produzentin Weber. "Besonders gut gefällt mir, dass wir nicht darauf angewiesen waren, zermürbende Gespräche mit einer Redaktion zu führen und das frei von einer Produktionsfirma oder einem Fernsehsender drehen konnten." Mut muss man haben!

Ab 10. Oktober werden jeweils donnerstags ab 19.00 Uhr neue Folgen von "#STRESS - Ein Life Diary" bei YouTube (https://www.youtube.com/channel/UCEwts6_PNkErVO1bQbpkfdQ/featured?view_as=subscriber) eingestellt. Die acht Folgen sind frei empfangbar und jeweils zwischen zehn und zwölf Minuten lange, sodass sich insgesamt ein eigenproduziertes Projekt in Spielfilmlänge ergibt. Im Frühjahr nächsten Jahres soll es im Community Art Center, teilweise wieder mit den gleichen Darstellern, dann erneut aufgegriffen werden - dann allerdings wieder auf der hauseigenen Bühne.