Flugblatt-Affäre: Söder muss entscheiden

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will am Sonntagvormittag kurzfristig eine Pressekonferenz geben. Die Staatskanzlei lud für 11.00 Uhr dazu ein, «aus aktuellem Anlass», wie es in der Einladung hieß.

Mit Spannung wird Söders Entscheidung erwartet, ob er seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wegen der Affäre rund um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten entlässt oder nicht.

Der Freie-Wähler-Vorsitzende hat Söders Fragenkatalog dazu schriftlich beantwortet - nach Angaben aus CSU-Kreisen vom Samstag werden die Antworten nun «in Ruhe» ausgewertet. Weder der Inhalt der Fragen noch die Antworten sind bekannt. Laut der Bayerischen Landesverfassung kann der Ministerpräsident seine Ministerinnen und Minister mit Zustimmung des Landtages entlassen.

Markus Söder mit Hubert Aiwanger (Bild: Stefan Puchner/dpa)
Markus Söder mit Hubert Aiwanger (Bild: Stefan Puchner/dpa)

Aiwanger selbst sieht «überhaupt keinen Grund für einen Rücktritt oder eine Entlassung», wie er der «Bild am Sonntag» sagte. Der 52-Jährige forderte ein Ende der «Hexenjagd». Er wird heute zu Terminen in Bayern erwartet, Söder gibt dem ZDF ein Sommerinterview.

Aiwanger möchte Fortsetzung der Koalition

Bei einem Auftritt am Samstag im hessischen Landtagswahlkampf beantwortete Aiwanger keine Fragen zur Flugblatt-Affäre. «Da wird nur wieder was draus gedreht», sagte er nach seinem Auftritt. In Hessen wird ebenso wie in Bayern am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt.

Der «Bild am Sonntag» sagte Aiwanger, dass er die Koalition mit der CSU weiterführen möchte: «Ich wünsche mir, dass es nach den Wahlen eine Fortsetzung der Koalition von uns mit der CSU geben kann, natürlich hängt das aber vom Wahlergebnis ab.» Seine Wähler seien empört über die «Kampagne».

Bei der Veranstaltung in Hessen erhielt Aiwanger Zuspruch vom dortigen Freie-Wähler-Chef Engin Eroglu. Auch wenn die seit einer Woche kursierenden Vorwürfe gegen den Bundesparteichef und bayerischen Regierungsvize «alle schlimm» seien, gebe es «nicht einen Beweis» dafür, sagte Eroglu nahe dem nordhessischen Ort Wetter. Aiwanger habe «glaubwürdig versichert», dass er das Flugblatt nicht geschrieben habe, und sei «nicht Auslöser dieser Kampagne».

Weitere Vorwürfe werden laut

Aiwanger hatte bereits vergangenen Samstag zurückgewiesen, das antisemitische Flugblatt geschrieben zu haben, über das die «Süddeutsche Zeitung» berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er ein, es seien «ein oder wenige Exemplare» in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf sagte sein älterer Bruder, der Verfasser zu sein. Gegen Aiwanger selbst wurden im Laufe der Woche weitere Vorwürfe laut. Am Donnerstagnachmittag entschuldigte er sich.

Der Stiftungsdirektor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, kritisierte Aiwangers Umgang mit den Vorwürfen scharf. Aiwanger hätte sich entschuldigen und glaubhaft Einsicht zeigen sollen, sagte er der ARD. «Lägen die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Bayern, ich würde Aiwanger nicht erlauben, bei uns Gedenkreden zu halten.»

Dank Aiwangers zahlreichen Verteidigern werde statt über das Pamphlet, das den Holocaust verherrliche, nur noch über eine angebliche Schmutzkampagne gesprochen. «Den erinnerungspolitischen Klimawandel kennzeichnet ein Nachlassen von Geschichtsbewusstsein und historischer Sensibilität gegenüber den NS-Verbrechen», warnte Wagner.

Reaktionen aus der Politik

Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter sagte, Aiwanger versuche, aus eigenen Verfehlungen politisches Kapital zu schlagen. «Das ist zutiefst unanständig. Wenn Söder das durchgehen lässt und auf Zeit spielt, wird er seiner Verantwortung als Ministerpräsident nicht gerecht», sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Ähnlich äußerte sich der SPD-Politiker Ralf Stegner. Es spiele keine Rolle mehr, ob Aiwanger das «ekelhafte antisemitische» Flugblatt selbst verfasst oder nur verbreitet habe. «Seine «Entschuldigung» - die keine war - und seine Opferpose sind unerträglich», schrieb er am Samstag auf der Plattform X, bislang bekannt als Twitter.

«Es geht nicht um «Jugendsünden», die Vergleiche mit jugendlichen Aussteigern rechtfertigten, hier zeige sich eine charakterliche und politische Haltung, die mit einem Staatsamt nicht vereinbar sei- «was gerade in Zeiten der Bedrohung unserer Demokratie keine Petitesse ist», schrieb Stegner.

Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte sich zuvor hinter Aiwanger gestellt. «Warum sollen junge Neonazis aus der rechtsextremistischen Szene aussteigen, wenn sie am Beispiel Hubert Aiwanger erleben, dass man auch 35 Jahre später noch für den Wahnsinn der eigenen Jugend öffentlich gebrandmarkt wird?», schrieb Gabriel am Freitag auf X.

Mit Informationen von dpa.

VIDEO: Affäre Aiwanger: "Eine Entschuldigung reicht nicht"