Forderungen nach Rückzug Israels aus Rafah

Während die Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg und die Freilassung von Geiseln erneut in eine Sackgasse geraten sind, stößt das israelische Militär tiefer in die Außenbezirke von Rafah im Süden des Küstengebiets vor. «Die Situation in Rafah steht auf Messers Schneide», sagte UN-Generalsekretär António Guterres.

«Ein massiver Bodenangriff in Rafah würde zu einer humanitären Katastrophe epischen Ausmaßes führen und unsere Bemühungen zur Unterstützung der Menschen angesichts der drohenden Hungersnot zunichtemachen.» In einem erneuten Eilantrag an den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag forderte Südafrika, das Gericht müsse Israel zu weiteren Schritten bewegen, um einen Völkermord an den Palästinensern zu verhindern. Israels Armee müsse sich sofort aus Rafah zurückziehen.

Israel will in Rafah die letzten Bataillone der islamistischen Hamas zerschlagen. Die USA, Israels wichtigster Verbündeter, warnen die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu jedoch eindringlich vor einer Großoffensive in der Stadt und drohten gar mit der Beschränkung von Waffenlieferungen. Frankreich forderte Israel auf, den Einsatz in Rafah unverzüglich zu beenden. Es drohe eine katastrophale Situation für die Zivilbevölkerung in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt, warnte das Außenministerium in Paris.

Benjamin Netanjahu wird vor einer Großoffensive in Rafah gewarnt (Bild: Leo Correa / POOL / AFP)
Benjamin Netanjahu wird vor einer Großoffensive in Rafah gewarnt (Bild: Leo Correa / POOL / AFP)

Weite Teile der Weltgemeinschaft hatten den Palästinensern kurz zuvor den Rücken gestärkt. Eine von der UN-Vollversammlung in New York mit großer Mehrheit angenommene Resolution erlaubt dem Beobachterstaat Palästina eine aktive Teilnahme an den Sitzungen des Gremiums, gibt ihm aber kein reguläres Stimmrecht. Israels UN-Botschafter Gilad Erdan warf der Vollversammlung vor der Abstimmung mit harschen Worten vor, «die Errichtung eines palästinensischen Terrorstaates» voranzutreiben.

Die US-Regierung hält es für möglich, dass Israel mit von den USA bereitgestellten Waffen im Gazastreifen gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen haben könnte. Aufgrund der Situation in Gaza sei es schwierig, einzelne Vorfälle zu bewerten oder abschließende Feststellungen zu treffen, heißt es in einem Bericht des US-Außenministeriums, der mit Verzögerung an den US-Kongress übermittelt wurde.

«Es gibt jedoch genügend gemeldete Vorfälle, die Anlass zu ernsthaften Bedenken geben.» Israelische Beamte hätten hingegen versichert, Israel halte das humanitäre Völkerrecht ein. Der TV-Sender CNN hatte zuvor unter Berufung auf einen US-Regierungsvertreter berichtet, im US-Außenministerium herrsche Uneinigkeit darüber, ob Israels Zusagen als «glaubwürdig und zuverlässig» akzeptiert werden sollten.

Unterdessen geriet die nordisraelische Stadt Kiriat Schmona unter schweren Artilleriebeschuss aus dem südlichen Libanon. Von rund 35 Raketen habe die israelische Abwehr 15 abgefangen, teilte die israelische Armee mit. Die restlichen Geschosse schlugen in der Stadt oder in offenem Gelände ein, wobei Gebäude und Fahrzeuge beschädigt worden seien.

Menschen seien nicht zu Schaden gekommen. Einige Raketen lösten bei ihrer Explosion Busch- und Waldbrände aus. Die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah reklamierte die Angriffe für sich. Israels Militär reagierte nach eigenen Angaben mit Artillerie- und Luftangriffen. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Humanitäre Helfer berichten unterdessen von verheerenden Zuständen in Rafah im Süden des Gazastreifens. Krankenhäuser müssten innerhalb von 24 Stunden ihre Dienste einstellen, wenn nicht dringend benötigter neuer Treibstoff geliefert werde. Von den mehr als eine Million Palästinensern, die in der Grenzstadt Schutz suchten, seien die Hälfte Kinder, sagte UN-Chef Guterres. Der Grenzübergang in Rafah nach Ägypten, über den bislang auch Hilfslieferungen in den Küstenstreifen gelangten, ist weiterhin geschlossen, seit die israelische Armee am Dienstag die Kontrolle auf der palästinensischen Seite übernommen hat.

Rafah: Ein Lager für vertriebene Palästinenser in der Nähe der Grenze zu Ägypten. (Bild: Omar Ashtawy/APA Images via ZUMA Press Wire/dpa)
Rafah: Ein Lager für vertriebene Palästinenser in der Nähe der Grenze zu Ägypten. (Bild: Omar Ashtawy/APA Images via ZUMA Press Wire/dpa)

Die Hamas griff derweil nach eigenen Angaben zum wiederholten Male den Grenzübergang Kerem Schalom an. Israel warf der Islamistenorganisation vor, verhindern zu wollen, dass Hilfslieferungen nach Gaza gelangen. Der Grenzübergang war erst am Mittwoch nach mehrtägiger Schließung wieder geöffnet worden. Ein Teil der Treibstofflieferungen sei zwar von dort aus erfolgt, seit Sonntag würden nach UN-Darstellung jedoch keine Lebensmittellieferungen mehr zugelassen, berichtete die Zeitung «New York Times».

Ein Grund dafür sei, dass Ägypten, wo die meisten Hilfsgüter für den Gazastreifen gesammelt und verladen werden, sich weigere, Lastwagen vom geschlossenen Rafah-Übergang nach Kerem Schalom weiterfahren zu lassen, zitierte die Zeitung amerikanische und israelische Beamte. Sie glaubten demnach, dass Ägypten versuche, Israel unter Druck zu setzen, damit es seine Truppen aus Rafah abzieht.

Israel solle den Verhandlungsfaden wieder aufnehmen, dies sei der einzige Weg zu einer sofortigen Freilassung der Geiseln und zu einer dauerhaften Waffenruhe, erklärte unterdessen das französische Außenministerium. Dass die jüngste Verhandlungsrunde in Kairo ergebnislos verlief, sei «zutiefst bedauerlich», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby. Die Gespräche steckten in einer Sackgasse. Man bemühe sich aber, beide Seiten dazu zu bewegen, die Diskussionen fortzusetzen. «Wir glauben immer noch, dass eine Einigung möglich ist», sagte Kirby.

Das «Wall Street Journal» zitierte ägyptische Beamte, wonach die Unterhändler die Gespräche Anfang nächster Woche in Kairo oder in Katars Hauptstadt Doha wieder aufnehmen wollen. Die Hamas warf der israelischen Führung vor, die Verhandlungen als «Feigenblatt» zu nutzen, «um Rafah und die Grenzübergänge anzugreifen und um ihren Auslöschungskrieg gegen unser Volk fortzusetzen».

Der militärische Anführer der Hamas in Gaza, Jihia al-Sinwar, hält sich einem israelischen Medienbericht zufolge entgegen bisheriger Vermutungen nicht in Rafah versteckt. Zwei israelische Beamte konnten der «Times of Israel» zwar nicht mit Sicherheit sagen, wo sich Sinwar derzeit aufhält.

Nach jüngsten nachrichtendienstlichen Einschätzungen dürfte er sich aber in unterirdischen Tunneln in der Gegend von Chan Junis, rund acht Kilometer nördlich von Rafah, versteckt halten, berichtete die Zeitung. Israels Armee hatte sich vor einem Monat aus Chan Junis zurückgezogen.