Die Frau, die Punk und Pop vereinte

Vom Adoptivkind zur Ikone: Debbie Harry erlebte gemeinsam mit ihrer Band Blondie eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte und beeinflusst bis heute das Frauenbild im Popgeschäft. Am 1. Juli feiert die Sängerin ihren 75. Geburtstag.

Die Frau, die Punk und Pop vereinte
Die Frau, die Punk und Pop vereinte

Auch im fortgeschrittenen Alter sagt Debbie Harry noch deutlich ihre Meinung. "Ich glaube, wir haben einen Kriminellen als Präsident", urteilte die Blondie-Frontfrau im Frühjahr in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland über US-Präsident Trump. Der Punk schlummert eben immer noch in der Sängerin, die am 1. Juli ihr 75. Lebensjahr vollendet.

Unangepasst, mit einer ausdruckslosen und kühlen Mimik und als Pionierin weiblicher Selbstbestimmung eroberte Harry in den 70er- und 80er-Jahren die Charts. Mit ihr stiegen Blondie zu einer der gefragtesten Bands im Künstlermilieu New Yorks auf, ehe sie von dort aus die gesamte Pop-Welt eroberten. Das Markenzeichen der Gruppe war ihr ganz eigener Mainstream-Sound mit klassichen Ohrwurmmelodien sowie Anleihen bei Disco, Wave und dem damals brandneuen Rap. Mit Songs wie "Atomic", "Heart Of Glass" und "Call Me" schufen Blondie Hits für die Ewigkeit.

Schon früh zur Adoption freigegeben

Dabei deutete im Leben Debbie Harrys zunächst wenig auf die spätere Erfolgsgeschichte als Grande Dame des Punk hin. Am 1. Juli 1945 als Angela Trimble in Miami geboren, gab sie ihre Mutter, eine bekannte Konzertpianistin, früh zur Adoption frei. So landete das drei Monate alte Baby als Deborah Ann "Debbie" Harry bei einer kleinbürgerlichen Familie in Hawthorne, New Jersey. Deren Ideale sahen für Mädchen vor, brav und aufrecht zu leben, um später mal einen guten Mann zu finden. Debbie jedoch legte sich früh eine Alternativ-Version dieser Persönlichkeit zu, mit der sie sich im Nachbarort den Jungs präsentierte, während sie daheim anständig blieb.

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"Meine Mutter war Hausfrau, mein Papa Vertreter. Zu Hause gab es keine Kunst, keine Musik - das alles war ein großes Mysterium, das ich unbedingt kennenlernen wollte. Für mich begann dann die große Suche nach mir selbst, und so ging ich, als ich 19 war, nach New York", erinnerte sich Harry einst im Interview mit der Nachrichtenagentur teleschau. In der Millionenmetropole studierte sie Kunst, lernte im Nachtleben Größen wie Andy Warhol oder Jimi Hendrix kennen und tauchte tief in die Szene ein: "Drogen waren damals ein großer Teil des Soziallebens. Ich hatte einfach Glück, dass mir nie etwas zugestoßen ist. Ich hatte bis dahin nur Marihuana geraucht und noch nicht wirklich Informationen darüber, was der Markt noch so alles hergab."

Frauen, die T-Shirts tragen? Anno dazumal undenkbar, spätestens seit Debbie Harry völlig normal. Kaum eine Sängerin beeinflusste die Mode so sehr wie die Blondie-Frontfrau, die in den 70-ern und 80-ern zahlreiche Welthits einsang ("Atomic", "Heart Of Glass", "Call Me"). Zudem gelang es Harry und ihrer Band, Punk und Pop stimmig auf einen Nenner zu bringen.

Vorreiterin von Madonna, Lady Gaga & Co.

Nach einer kurzen musikalischen Episode in der Flower-Power-Band The Wind In The Willows folgte der Schritt hinein in den Geburtskanal des Punk - zu Blondie. Als erster Pin-Up-Rockstar der Geschichte inspirierte die Platinblonde zahlreiche Frauen dazu, in Bands die tragende Rolle zu übernehmen und eine selbst gewählte Version von Erotik, Glam und Spaß zu definieren, die nicht nur für Männer attraktiv ist. "Meine Rolle war die einer extrem femininen Frontfrau einer männlichen Rockband in einem klaren Macho-Umfeld", resümierte Harry in ihrer 2019 erschienenen Autobiografie "Face It".

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So wurde ein wohlerzogenes Mädchen aus der Nachkriegs-Vorstadtkultur Amerikas zur Wegbereiterin der Girl-Power-Bewegung. Madonna, Taylor Swift und Lady Gaga wären ohne Debbie Harry undenkbar. Die Stilikone mixte feminine und maskuline Elemente, machte T-Shirts auch für Frauen tragbar und vereinte weibliche Selbstbestimmung mit gleichzeitigem Sex-Appeal - eine Kombination, die vor Debbie Harry völlig paradox war. Mithilfe dieser explosiven Mischung aus musikalischem Innovationsgeist und revolutionärer Optik landeten Blondie 1978 ("Parallel Lines") und 1979 ("Eat To The Beat") auf Platz eins in den britischen Album-Charts. 1979 feierte die Band mit der Single "Heart Of Glass" ihren größten kommerziellen Erfolg - unter anderem in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Großbritannien und den USA eroberte der Song die Spitze der Charts.

Neue Musik von Blondie?

1983 dann der große Knall: Blondie lösten sich nach nicht einmal zehn Jahren auf. Harry hatte genug von ihrem Image als angehimmeltes Pin-Up-Girl, bei dem die Musik nur nebensächlich war. Zudem funktionierte das Management nicht, und bei Bandkollege Chris Stein wurde eine seltene Hautkrankheit diagnostiziert - die große Popdiva Debbie Harry zog sich also auch deshalb aus dem Geschäft zurück, weil sie ihren damaligen Lebensgefährten pflegen wollte. 16 Jahre später, nach mäßig erfolgreichen Versuchen Harrys, eine Solokarriere zu starten, gelang Blondie das Comeback und mit "Maria" sogar ein veritabler Hit.

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Auch danach wollten Debbie Harry und Blondie sich nicht mit den alten Evergreens begnügen. So entstanden im Lauf der Jahre weitere Alben, unter anderem "Pollinator", die bis dato letzte Platte, die 2017 immerhin den vierten Platz in den britischen Charts eroberte. Auch mit ihrem Äußeren sorgte Harry weiter für Schlagzeilen. Im Gegensatz zu vielen anderen weiblichen Promis steht die Künstlerin dazu, mit Schönheits-OPs nachgeholfen zu haben.

Und was bringt die Zukunft? Vielleicht noch mehr neue Musik. Immerhin verriet Frontfrau Harry im "Stern"-Interview im Januar: "Ich habe ein paar Ideen aufgeschrieben, wir sammeln Material und haben unseren Producer von 'Pollinator' gebeten, wieder mit uns zu arbeiten." Trotz einer bewegten Karriere im Spannungsfeld zwischen Sex, Drugs und Rock'n'Roll scheint für die Musikerin Debbie Harry das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht.

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