Helles Land und Dunkeldeutschland

Blick auf das Rathaus Wilmersdorf am 11.08.2015 am Ferbelliner Platz in Berlin. Bundespräsident Gauck besucht die Flüchtlingsunterkunft am 26.08.2015. Foto: Jörg Carstensen

Bundespräsident Joachim Gauck teilt Deutschland an diesem Tag in zwei Teile: In das «helle Deutschland» und in «Dunkeldeutschland».

Der Lichtblick sind für ihn die vielen freiwilligen Helfer - wie Ärzte, Betreuer, Übersetzer -, die den oftmals erschöpften und verängstigten Flüchtlingen die Ankunft in der von ihnen als gelobtes Land empfundenen Bundesrepublik erleichtern wollen. Die düstere Seite ist für ihn der rechte Krawall gegen die Menschen unter anderem aus Kriegsgebieten wie Syrien und Afghanistan. «Hetzer und Brandstifter» dürfen nicht geduldet werden, mahnt er.

Früher als andere hat das Staatsoberhaupt Brisanz und Tragweite des Flüchtlingsproblems erkannt. Im Dezember 2012 forderte er beim Besuch eines Asylbewerberheims in Brandenburg einen «Mentalitätswandel» in der deutschen Bevölkerung. Im März dieses Jahres machte er sich auf Malta ein Bild von den Umständen, unter denen Tausende Mittelmeer- Flüchtlinge leben, die dem Tod auf der Überfahrt entronnen sind.

Im Vergleich dazu ist Berlin-Wilmersdorf an diesem Mittwochmorgen ein undramatischer Ort - auf den ersten Blick. Rechtsradikale Proteste wie im sächsischen Heidenau hat es hier bisher nicht gegeben. Stattdessen ein Bündnis für die Unterstützung von Flüchtlingen mit dem Titel «Willkommen in Wilmersdorf». Mehr als 500 Flüchtlinge sind dort untergebracht, seit zwei Wochen erst, wie es mit ihnen weitergeht, weiß noch niemand. Gauck informiert sich.

Hier sind Freiwillige in der Verantwortung. «Wir helfen im Rahmen des Möglichen», sagt Karsten Hackradt vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), der hier mit 15 ehrenamtlichen Mitarbeitern im Einsatz ist. «Jeder Bürger kann sich hier einbringen.» Das gefällt dem Bundespräsidenten. 30 Ärzte und 20 Krankenschwestern sind hier beschäftigt, in ihrem Urlaub, ihrer Freizeit. «Es gibt so viele Bekloppte», stöhnt eine Ärztin über rechte Hetzer. «Eigentlich müsste der Staat Leute einstellen», findet sie. So ähnlich argumentieren die meisten Freiwilligen: Das kann hier kein Dauerzustand sein. Aber die Stimmung in Berlin-Wilmersdorf ist friedlich. Ganz anders in Heidenau.

Dort trifft Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittag ein. Ihr schallen Buhrufe und Pfiffe entgegen. «Volksverräter, Volksverräter», skandieren Schaulustige. Die Kleinstadt gelangte am Wochenende zu trauriger Berühmtheit, weil Rechtsextremisten versuchten, die Unterbringung erschöpfter Menschen aus der Fremde gewaltsam zu verhindern - unterstützt von bürgerlichen Claqueuren.

Merkel brauchte einige Tage, um an den Brennpunkt zu fahren. Vizekanzler Sigmar Gabriel war schon am Montag dort. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich liefert sich am Vormittag überraschend ein heftiges Wortgefecht mit einem selbst ernannten Wutbürger, der die Asylbewerber als Schmarotzer bezeichnet. Der sonst in solchen Situationen eher zurückhaltende Christdemokrat Tillich fragt den Mann, warum er mit «dem rechten Pack» sympathisiere. An den Straßen wehen Deutschland-Fahnen.

Mohammed aus Herat in Afghanistan hat 40 Tage gebraucht, um nach Deutschland zu gelangen. Vor einer Woche ist er angekommen, seit drei Tagen ist er in Heidenau in Sachsen, in der Flüchtlingsunterkunft in einem ehemaligen Baumarkt.

Mohammed sagt, größtenteils sei er den Weg gelaufen. Der 19-Jährige zeigt seine geschundenen Füße in den offenen Sandalen. Als die internationalen Truppen aus seinem Heimatland abzogen, sei auch für ihn die Zeit gekommen zu gehen. Er zeigt Narben an Kopf und linkem Ohr: Das «waren die Taliban». Trotz der Krawalle sei Deutschland «ein sehr, sehr gutes Land», sagt Mohammed. Und der Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in dem Heim mache ihn «glücklich».

Dagegen sagt ein 65-jähriger Heidenauer, der an einem Stehtisch einer Tankstelle ein Bier trinkt, auf die Frage, was er von Merkels Auftritt halte, recht schnoddrig: «Das ist mir Bockwurst.» Und: «Das bringt eh alles nichts.» In Heidenau seien alle gegen das Flüchtlingsheim, das ein paar Hundert Meter weiter an der Bundesstraße nach Dresden liegt. Ein anderer sagt: «Die Gewalt war Scheiße. Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Jetzt gehen die Menschen arbeiten, aber am Wochenende stehen alle wieder da.»

Auf dem Bahnhof von Heidenau ist nicht viel los. In der Umgebung ein leerstehender Wohnblock. Viele Scheiben eingeworfen, die Türen zugemauert. Gewerbeflächen warten auf neue Mieter. Eines der wenigen offenen Geschäfte ist ein Blumenladen. Die Vietnamesin hinterm Tresen sagt sehr freundlich nichts zu den Krawallen der Rechtsradikalen vom Wochenende. Der 19-jährige Kevin wartet auf dem Bahnsteig auf den Zug, mit dem er zur Arbeit nach Dresden fahren will. Er ist genervt von den Polizeikontrollen. «Das ist der Wahnsinn, was hier läuft. Gestern Abend haben die mich angepackt, ans Auto gedrückt und kontrolliert. Auch Fotos haben sie gemacht und mir einen Platzverweis erteilt. Dabei wollte ich doch nur vom Bahnhof nach Hause.»

Die evangelische Pfarrerin der Christuskirche in Heidenau, Erdmute Gustke, sagt der Deutschen Presse-Agentur, Merkel stärke den regionalen Politikern und den Menschen, die sich für die Asylbewerber engagieren, mit ihrem Besuch den Rücken. «Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sind erschüttert, dass es zu solcher Gewalt kommen konnte. Die große Zahl derer, die mit den Neonazis sympathisierten und am Freitag mitgelaufen sind, macht uns betroffen.»