Geoengineering: Experimente in Schweden nach Druck durch die Öffentlichkeit verschoben

Verheißung oder Irrweg: Geoengineering klingt wie ein eleganter Ausweg aus der Klimakrise. Aber die Folgen und Risiken sind weder absehbar noch kalkulierbar. Deshalb wurden jetzt auch geplante Experimente in Schweden verschoben.

Gletscherschmelze, wie hier auf dem Bild zu sehen, ist eine Folge des Klimawandels. Um ihn aufzuhalten, setzen viele Menschen auf Geoengineering. Also Technologien, die das Klima verändern können. Foto: REUTERS / Andres Forza
Gletscherschmelze, wie hier auf dem Bild zu sehen, ist eine Folge des Klimawandels. Um ihn aufzuhalten, setzen viele Menschen auf Geoengineering. Also Technologien, die das Klima verändern können. Foto: REUTERS / Andres Forza

Wer sein Verhalten nicht ändern will, ändert die Konsequenzen: So könnte die verheißungsvolle Idee, die hinter „Geoengineering“ steht, heruntergebrochen werden. Geoengineering ist dabei ein Sammelbegriff für Technologien von so großem Maßstab, dass sie das gesamte Erdklima verändern können. Ihr Zweck: Der Klimakatastrophe entkommen, ohne den emissionsintensiven Lebensstil der Menschen grundlegend umzukrempeln.

Es ist ein, so nennt es die Heinrich Böll Stiftung in einem Übersichtsartikel, „Technofix“ für das drängendste Problem dieser Zeit, den Klimawandel. Nur: Weder existiert eine solche Technologie, noch ist bekannt, ob sie überhaupt funktionieren würde. Auch lässt sich nicht vorhersagen, wie das Klima auf Geoengineering reagieren würde – viel zu komplex ist das globale Klimasystem.

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Deshalb warnen Forschende und Aktivistinnen schon seit Jahren vor den Folgen der Technologien, die nach Anwendung wohl nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Außerdem sehen es die Kritiker*innen als wahrscheinlich an, dass die bloße Verheißung von Geoengineering Menschen und Politik von dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen abbringen könnte.

Kalziumkarbonat in 20 Kilometer Höhe

Dennoch wird auf der ganzen Welt an Geoengineering geforscht. Einer der weltweit führenden Experten ist Frank Keutsch, Chemieprofessor an der Harvard Universität. Er leitet das „Stratospheric Controlled Perturbation Experiment“ (Scopex).

Scopex hat zum Ziel, die Erdatmosphäre zu verändern und damit die Klimaerwärmung rückgängig zu machen. Konkret heißt das, die Forschenden wollen Kalziumkarbonat in die Stratosphäre sprühen. Dort soll der Kalkstaub Sonnenlicht reflektieren und die Erde dadurch herunterkühlen. Zuletzt hat das Forschungsvorhaben für Schlagzeilen gesorgt, das schreibt Forbes, weil Microsoft-Gründer Bill Gates seine finanzielle Unterstützung zugesagt hat.

Für Juni waren nun erste konkrete Experimente geplant, und zwar in Schweden. Nahe der Stadt Kiruna wollte Scopex gemeinsam mit dem schwedischen Raumfahrtunternehmen Swedish Space Corporation einen Ballon in 20 Kilometer Höhe steigen lassen. Getestet werden sollte dabei zunächst Steuerung, Sensoren und Kommunikationssysteme des Ballons. Bei Erfolg sollten jedoch weitere Flüge folgen, um auch Kalziumkarbonat auszubringen. Es wäre weltweit das erste Geoengineering-Experiment in der Stratosphäre gewesen.

Experimente verschoben

Doch wie die Nachrichtenagentur Reuters schreibt, werden die Flüge ausgesetzt. Grund dafür ist seit Monaten wachsender Druck durch die schwedische Bevölkerung und Umweltverbände, die ein zu großes Risiko darin sehen.

Deshalb hat vergangene Woche ein unabhängiger Ausschuss von Berater*innen empfohlen, die Experimente zunächst nicht durchzuführen und stattdessen die Meinung der schwedischen Öffentlichkeit einzuholen. Eingesetzt wurden die Berater*innen ursprünglich von der Harvard Universität selbst, um alle Scopex-Experimente zu prüfen und dafür zu sorgen, dass keine unnötigen Risiken eingegangen werden.

Daneben hat das Gremium empfohlen, für mehr Transparenz zu sorgen. Deshalb sollen nun öffentliche Gespräche vor Ort in Schweden stattfinden, um die Bevölkerung vor einem tatsächlichen Ballon-Start zu informieren.

... aber nicht aufgehoben

Scopex will die Experimente nicht verwerfen, sondern plant, den Ballon-Jungfernflug in das kommende Jahr zu schieben. Vielleicht können in der Zwischenzeit auch noch einige offene Fragen näher beleuchtet werden. Etwa wie viel Kalziumkarbonat überhaupt benötigt werden würde, um die Erde abzukühlen und ob es dafür überhaupt die beste verfügbare Substanz sei – denn beides ist bislang unbekannt.

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Immerhin: Erste Laborversuche haben gezeigt, dass Kalziumkarbonat passende Eigenschaften besitzt. Die könnten sogar dazu führen, so heißt es auf der Scopex-Projektseite, dass sich die Ozonschicht der Erde wieder regeneriert.

Vulkanausbrüche haben den Effekt bereits bewiesen

Die Ballon-Experimente sollten nun ein weiterer Schritt sein, mehr Verständnis über Geoengineering zu erlangen. Dafür war geplant, eine „kleine und sichere“ Menge Kalziumkarbonat in 20 Kilometer Höhe zu versprühen, den Ballon durch die entstehende Kalk-Wolke zu steuern und dabei alle atmosphärischen Veränderungen zu messen. Dem Harvard Magazin sagte Keutsch dazu kürzlich: „Im Idealfall würde sich nichts an der Atmosphärenchemie oder der Umgebungstemperatur ändern. Das Kalziumkarbonat würde nur mehr Sonnenlicht ablenken und dadurch die Erde abkühlen.“

Dass so ein Effekt überhaupt möglich ist, wurde schon öfter in der jüngeren Erdgeschichte beobachtet: bei Vulkanausbrüchen. Im Jahr 1815 etwa brach in Indonesien der Vulkan Tambora aus und verursachte 1816 das „Jahr ohne Sommer“ und in den Folgejahren durch Temperaturabfälle und extreme Wetterereignisse Ernteeinbußen, katastrophale Missernten und Hungersnöte.

Schäden können Nutzen überwiegen

Staubwolken in der Atmosphäre können das Klima also nachhaltig verändern. Und das global, also weit entfernt von ihrem Ursprung: So gibt es laut britischen Forschenden einen sehr wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen Vulkanausbrüchen in Mexiko und Alaska und Dürren in der Sahelzone, die hunderttausende Menschen das Leben kostete und Millionen zur Flucht zwang.

Deshalb haben führende Forschende von Scopex bereits vor zwei Jahren einen Kompensations-Pool vorgeschlagen, um mögliche Kollateralschäden durch Geoengineering finanziell auszugleichen. Geld aber könnte nur ein schwacher Trost sein für Menschen, die sich dann kaum zumutbaren Lebensbedingungen ausgesetzt sehen.

Im Gespräch mit Reuters begrüßt deshalb Johanna Sandahl, die Präsidentin des gemeinnützigen Schwedischen Naturschutzvereins, die Aussetzung der Scopex-Experimente. Sie sagt: „Wir lehnen diese Technologie ab, weil sie das Potenzial für extreme Konsequenzen besitzt. Sie könnte Wasserkreisläufe und Monsunwinde verändern und Dürren verstärken.“ Die Technologie sei deshalb zu gefährlich, um sie jemals einzusetzen.

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