Gesundheitstourismus ist der "Megamarkt der Zukunft"

Jedes Jahr verreisen laut den Kassenverbänden 300.000 Deutsche ins Ausland, um sich ärztlich versorgen zu lassen - und mehr als die Hälfte (55%) der Bundesbürger ziehen es laut dem "IUBH Touristik-Radar 2016" zumindest in Betracht. Weltweit haben Dutzende Staaten den Medizintourismus als lukrative Einnahmequelle entdeckt, darunter Thailand, Kuba, Brasilien und Südafrika. Immer mehr der Rucksackpatienten zieht es vor allem ins nahe europäische Ausland. Viele haben ihre Sympathie für das Nachbarland Ungarn entdeckt; die Hauptstadt Budapest ist zu einem Zentrum für Zahnersatz geworden. Auch andere osteuropäische Mitgliedsstaaten wie Tschechien und Polen sind als günstige Behandlungsziele sehr beliebt. Reisen und sparen heißt die Kombination.

Was die ärztliche Versorgung in der EU zusätzlich attraktiv macht: Der grenzüberschreitende Gesundheitsverkehr ist von der Europäischen Union abgesegnet, die deutschen Krankenkassen gewähren dieselben Zuschüsse, wie sie ein Patient auch hierzulande erhält. Der große Unterschied bei gleichem Qualitätsversprechen ist, dass so nicht nur die Zahnarztrechnung oft um die Hälfte niedriger ausfällt. Ein Drittel aller Hotelübernachtungen sind nach Erhebungen des ungarischen Tourismusamtes auf den Gesundheitstourismus zurückzuführen, wobei vor allem Kuraufenthalte boomen. Und einer Studie der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zufolge wächst die Nachfrage aus Deutschland nach Gesundheitsreisen ins osteuropäische Ausland jährlich um etwa 30 Prozent.

Ungarns Nachbar Tschechien gilt neben der Türkei und Thailand als bevorzugtes Ziel für Augenoperationen durch Lasertechnik, ebenso - als exotische Variante - der Iran. Apropos Thailand: 1,4 Millionen Menschen aus aller Welt reisen jährlich dorthin, wo ihnen das ganze Spektrum ärztlicher Kunst geboten wird. Das General Hospital in Bangkok behandelte 2016 nach eigenen Angaben auch rund 1.600 Patienten aus Deutschland. Brasilien ist das Mutterland der ästhetischen Chirurgie, und neben seinem exzellenten Ruf in der Herzchirurgie gelten die Ärzte in Südafrika auch als hervorragende Schönheitsoperateure.

Eine Zahnarzt-Praxis mit Concierge-Service

Und wie steht es um die Qualität der Zahnspezialisten? Virág Kisgàl, Geschäftsführerin der auf deutsche Patienten spezialisierten Klinik Donau Dental in Budapest, verspricht: "Die Materialien sind genauso hochwertig, die Ärzte nicht weniger qualifiziert. Der große Preisunterschied kommt daher dass die Lohn- und Betriebskosten hier wesentlich günstiger sind als in Deutschland und wir fast nur Implantate oder größere Zahnsanierungen durchführen." Ein Zahnimplantat etwa, für das der heimische Zahnarzt 5.000 Euro veranschlagt, ist in Ungarn schon für 1.500 Euro zu haben - in der Regel lassen sich so zwischen 40 und 70 Prozent sparen.

Dazu locken Kliniken wie Donau Dental mit attraktiven Angeboten für die Dauer der Behandlung: Hin- und Rückflug, Flughafen-Transfers und 4-Sterne-Hotel für 249 Euro. Wer nur zum eintägigen Zahncheck plus Übernachtung nach Budapest fliegt, ist mit 199 Euro dabei. Beim Ringen um die Patientengunst geht der Concierge-Service gar soweit, dass man sich um die Tischreservierung im Restaurant oder um das Ticket für die Oper kümmert.

Argumente von deutschen Zahnärzten und ihren Verbänden, die von schlechter Qualität der Materialien bis zur fehlenden Qualifikation ausländischer Kollegen und entsprechend teurer Nachbehandlung in Deutschland handeln, scheinen nicht mehr zu verfangen. "Wir haben für Bagatellfälle Partner-Zahnärzte in ganz Deutschland", sagt Virág Kisgàl. "Bei aufwändigen Arbeiten, die nur selten vorkommen, übernehmen wir die kompletten Kosten inklusive Flug und Aufenthalt." Eine Aussage, die von Mareke Kortmann vom Europäischen Verbraucherzentrum in Kiel gestützt wird: "Klagen von Deutschen über die Behandlung im Ausland hören wir nicht häufiger als von ausländischen Patienten, die in Deutschland einen Arzt aufsuchen", sagte sie dem "Focus".

Schönheits-OP in Rio, Medizinsafari in Südafrika

Überwiegend zufriedene Medizintouristen kehren auch aus der Türkei zurück, wo sich Istanbul zum Mekka all derer entwickelt hat, die ihre Augen mit Lasertechnik schärfen lassen. 1.000 Euro dort statt 5.000 Euro hierzulande lautet grob das Preis-/Leistungsverhältnis. Der Ferntourismus hingegen profitiert neben Ersparnis und Exotik mit einem weiteren Argument - der Eitelkeit. Nach Eingriff und Urlaub unter Palmen wie neugeboren und gut erholt zurückzukommen, hat für viele einen besonderen Reiz.

Bei OP-Kosten, die im Vergleich zu Deutschland halb so hoch sind, bleibt für den Traumurlaub nach dem Eingriff genügend Geld übrig. Und das in einem Land, in dem die Schönheitschirurgie von Ivo Pitanguy quasi erfunden wurde. Die ästhetische Chirurgie ist auch in Südafrika ein großes Thema, mit anschließender Safari ist ein kleiner Trend daraus geworden. "Dank der Privatkliniken mit ihrer hohen Qualität gibt es immer mehr Medizinsafaris", weiß Lorraine Melvill, die mit ihrer Agentur "Chirurgie und Safari" in Johannesburg von der Nachfrage profitiert.

Medical Tourism Pavillon auf der ITB

Einer Studie von Visa und Oxford Economics zufolge generiert die Medical-Tourism-Industrie weltweit einen Umsatz von ungefähr 439 Milliarden US-Dollar. Die Wachstumsprognosen liegen bis 2025 weltweit bei 25, in Europa bei 30 Prozent. Kein Wunder, dass Länder wie Kuba mit der höchsten Ärztedichte der Welt davon profitieren wollen. Spezialgebiete: Hüft- und Augenoperationen sowie die Behandlung von Allergien und Hautkrankheiten. In der Dominikanischen Republik sollen Gesundheitszentren entstehen, und auch in Thailand wird der Medizintourismus staatlich in großem Stil gefördert.

Nach Untersuchungen des BAT-Freizeit-Forschungsinstituts interessieren sich 45 Prozent der Deutschen für Medical Wellness. "Gesundheitstourismus wird der Megamarkt der Zukunft sein", sagt der ehemalige Institutsleiter und Zukunftsforscher Horst Opaschowski. Spät, aber in Anbetracht der Wachstumsraten noch nicht zu spät, reagiert die Tourismusbranche. Auf der ITB in Berlin, der weltgrößten Reisemesse (7.-11. März), steht seit 2017 ein Medical Tourism Pavillon.

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