Sie sind nicht beste Freundinnen: Giorgia Meloni vs Marine Le Pen
Marine Le Pen schaut dieser Tage ganz sicher nach Italien. Am Wochenende vor der Wahl im Nachbarland sprach die Parteichefin des rechtsextremen "Rassemblement National" (Nationale Versammlung - RN) im südfranzösischen Agde von einer "patriotischen Welle". Europa werde von Schweden über Italien von dieser Welle erfasst.
Die Chefin der "Fratelli d'Italia" (Brüder Italiens - FdI), Giorgia Meloni, hatte aber 2022 - anders als 2017 - keine Wahlempfehlung für Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich ausgesprochen. Französische Medien unterstreichen, dass Marine Le Pen im Falle eines Wahlerfolgs von Giorgia Meloni diesen ganz sicher als Erfolg ihres Lagers verbuchen wird, aber laut Le Monde sind die Beziehungen zwischen den beiden Politikerinnen seit einigen Jahren "an einem toten Punkt".
Tatsächlich gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede in den Positionen der nationalistischen Parteichefinnen Meloni und Le Pen.
Gegen die EU, gegen Einwanderung, für Law-and-Order
Beide Ultrarechte versprechen den Bürgerinnen und Bürgern ihrer Länder deren nationale Interessen besser zu vertreten, italienische oder französische Gesetze sollten - ähnlich wie in Donald Trumps "Make America Great Again" - über denen der EU stehen.
Meloni und Le Pen wettern gegen die EU, dabei streben sie keinen Austritt aus der Europäischen Union mehr an, sondern wollen vielmehr innerhalb des Systems gegen die als zu bürokratisch kritisierten Behörden agieren. Beobachter der italienischen Politik gehen davon aus, dass die indirekte Kritik von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor der Wahl in Italien Giorgia Meloni eher genutzt als geschadet hat.
Meloni und Le Pen profitieren von der Politikverdrossenheit der Wählerinnen und Wähler, sehen sich als Vertreterinnen der "kleinen Leute", die von den Regierenden missachtet werden.
Beide fordern eine wesentlich restriktivere Einwanderungspolitik und wollen mehr für die innere Sicherheit in Form von mehr "Law-and-Order" - sprich: mehr Polizeipräsenz, härteres Vorgehen gegen Kriminalität - tun.
Dabei greifen sowohl Meloni als auch Le Pen oft Skandale in ihren Ländern auf ihren Seiten in den sozialen Medien auf. Wie viele rechtsextreme Parteien in Europa kommunizieren die "Fratelli d'Italia" ebenso wie das "Rassemblemen National" im Internet intensiv mit ihren Anhängerinnen und Anhängern.
Faschistische Vergangenheit
Beide Frauen vom rechten Rand des politischen Spektrums sehen sich selbst nicht als rechtsextrem und haben versucht, ihre Parteien vom faschistischen Ballast zu befreien. So hat sich Marine Le Pen von ihrem Vater, dem verurteilten Holocaust-Leugner Jean-Mari Le Pen (94) distanziert. Sie hatte den "Front National" von ihrem Vater übernommen und hat der Partei dann einen neuen Namen gegeben.
Giorgia Meloni hat ihrer jugendlichen Bewunderung für Benito Mussolini abgeschworen. 1996 hatte sie - damals als 19-jährige Vertreterin der neofaschistischen Partei MSI - den Duce und Hitler-Verbündeten als "guten Politiker" bezeichnet. Das Video kursiert weiter auf YouTube.
Heute sagt sie, Nostalgiker des Faschismus hätten keinen Platz in ihrer Partei "Fratelli d'Italia".
Allerdings haben ihre "Brüder Italiens" weiterhin die Flamme in den Nationalfarben im Logo der Partei, die als Symbol für den Faschismus in Italien gilt.
Allerdings gehören Ewiggestrige sowohl zu den Fans von Giorgia Meloni als auch zu denen von Marine le Pen.
"Ehe für alle": Meloni dagegen, Le Pen dafür
Die 45-jährige Giorgia Meloni ist praktizierende Katholikin und Mutter einer Tochter. Sie vertritt offen homophobe Positionen: gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und gegen eingetragene Partnerschaften. Auch das Recht auf Abtreibung will Meloni einschränken. Verächtlich bezeichnet Giorgia Meloni die Europäische Union als "Lobby der LGBTQ".
Die 54-jährige Marine Le Pen ist zwar auf dem Papier katholisch, allerdings stellt sie sich als moderne Französin dar - im Einklang mit den von der Mehrheit der Gesellschaft vertretenen Frauenrechten. Im Wahlkampf April 2022 schrieb die Kandidatin auf Twitter, sie werde den Franzosen kein einziges Recht wegnehmen. Die Ehe für alle bleibe bestehen, wenn sie zur Präsidentin gewählt werde.
Meloni für NATO und Ukraine
So hat sich die italienische Spitzenkandidatin - anders als ihre Koalitionspartner Silvio Berlusconi und Matteo Salvini - von Wladimir Putin losgesagt. Meloni spricht sich für die NATO und für die Unterstützung der Ukraine auch durch Waffenlieferungen aus.
Marine Le Pen verurteilt zwar "eine bedauerliche Eskalation seitens Wladimir Putins", doch wirklich losgesagt hat sie sich vom Kreml, der jahrelang den Wahlkampf ihrer Partei finanziert hat, nicht. EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen wirft Le Pen eine "gefährliche kriegerische" Position vor. Durch "unangemessene und unüberlegte Sanktionen" verhalte sich die Europäische Union "hysterisch".
Meloni und die Le-Pen-Nichte
Zwar waren Marine Le Pen und Giorgia Meloni 2015 in einer italienischen Talkshow zusammen zu sehen, doch aus heutiger Sicht heißt es in Frankreich, Le Pen habe sich ziemlich herablassend geäußert."Was halten Sie von diesen jungen Leuten der italienischen Rechten?", fragt der Journalist die Französin und zeigt auf Giorgia Meloni. "Sie haben eine Reihe von Tabus gebrochen", antwortet Marine Le Pen. "Das ist ein Beweis für Mut (...) in einer Strömung des Einheitsdenkens. Sie verdienen Respekt und Ermutigung".
Laut Le Monde hat es seit 2016 keine Begegnung der beiden mehr gegeben.
Wie französiche Medien berichten, unterhält Giorgia Meloni Kontakte zu Marine Le Pens 32-jähriger Nichte und innenpolitischer Widersacherin Marion Maréchal-Le Pen. Einige in Frankreich bezeichnen Meloni als eine "erfolgreiche Marion Maréchal". Beide vertreten in der Familienpolitik streng konservative Positionen.
Verschiedene Fraktionen im EU-Parlament, aber beide für Orban
Im Europaparlament sind die "Fratelli d'Italia" in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) wie die Schwedendemokraten, die polnische Regierungspartei PiS und die spanische Vox.
Das "Rassemblement National" von Marine Le Pen ist zusammen mit der deutschen AfD, der österreichischen FPÖ und Matteo Salvinis Lega in der Fraktion Identität und Demokratie (ID).
Die Politikwissenschaftlerin Anaïs Voy-Gillis erklärt in Le Point: "Die Konservativen (EKR) haben eine weniger radikale Rhetorik, sind aber in der Einwanderungsfrage sehr entschieden. In der Fraktion gibt es einen starken Willen, auf eine Reform Europas und der Eurozone zu drängen, der jedoch nuancierter ist als in der Fraktion Identität und Demokratie."
Sowohl Giorgia Meloni als auch Marine Le Pen pflegen gute Kontakte zu Ungarns EU-kritischem Regierungschef Viktor Orban. Dessen Partei FIDESZ hatte 2021 nach jahrelangem Gezerre die christdemokratische EVP-Fraktion von Ursula von der Leyen und Manfred Weber im Europaparlament verlassen.