Grünen-Mann Trittin zum Aiwanger-Skandal: "Söder ist die geplante Wahlkampfkampagne entglitten"
Der Skandal um Hubert Aiwanger beherrscht derzeit die Schlagzeilen. Bei "Markus Lanz" diskutierten Gäste wie Jürgen Trittin am Mittwochabend über das antisemitische Flugblatt und dessen politische Bedeutung für den "Freie Wähler"-Chef.
Am vergangenen Samstag sorgte die "Süddeutsche Zeitung" für einen handfesten Skandal: Die Zeitung berichtete über ein antisemitisches Flugblatt, das vor gut 35 Jahren am Burkhardt-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg, Niederbayern, gefunden wurde. Der mutmaßliche Verfasser des Textes, so legte es zumindest die Berichterstattung auf der prestigeträchtigen Seite drei der SZ nahe: Hubert Aiwanger. Der "Freie Wähler"-Chef dementierte zwar umgehend die Urheberschaft des Schreibens mit der Überschrift "Wer ist der größte Vaterlandsverräter?", doch bei "Markus Lanz" geriet der Politiker am Mittwochabend dennoch erneut in die Kritik.
Für Journalist und "SZ"-Chefreporter Roman Deininger sei demnach klar gewesen, dass es schon "sehr lange" Gerüchte über ein solches Auschwitz-Pamphlet gegeben habe. "Jetzt gab es eben zu dem Hinweis tatsächlich mal das Flugblatt dinglich dazu", konstatierte Deininger mit ernster Miene. Er erklärte im Gespräch mit Lanz, dass es für ihn sehr wahrscheinlich sei, dass Aiwanger "der Autor des Pamphlets war".
Dennoch könne er es "nicht ausschließen", dass der Bruder des Politikers das Flugblatt auf der ominösen Schreibmaschine getippt habe. Dieser hatte sich kurz nach dem Erscheinen des SZ-Artikels als Autor des Pamphlets zu erkennen gegeben. Ein von der SZ beauftragtes Gutachten soll nachweisen, dass das Flugblatt "sehr wahrscheinlich" auf derselben Schreibmaschine getippt wurde wie eine spätere Facharbeit Hubert Aiwangers.
Helene Bubrowski über Hubert Aiwanger: "Er macht es mit jedem Tag schlimmer"
Artikel hin, Gutachten her: Hubert Aiwanger unterstrich mehrmals, den antisemitischen Text nicht verfasst zu haben. In einer öffentlichen Stellungnahme betonte er: "Ich bin weder Antisemit, noch Extremist, sondern ich bin ein Demokrat. Ich bin ein Menschenfreund, kein Menschenfeind." Außerdem ergänzte er, seit dem Erwachsenenalter kein Antisemit mehr zu sein. "Das ist ein politisch tödlicher Satz", stellte Markus Lanz fassungslos fest. Journalistin Helene Bubrowski sah es ähnlich: "Er macht es mit jedem Tag schlimmer." Von Reue sehe sie bei Hubert Aiwanger keine Spur. "Das stellt natürlich auch seine Eignung in Frage", urteilte Bubrowski streng.
Laut SZ-Journalist Roman Deininger wusste Aiwanger schon länger von dieser "Zeitbombe", die ihn jetzt "eingeholt" habe. "Kann da noch mehr kommen?", wollte Lanz wissen. Deininger antwortete trocken: "Er weiß natürlich, dass da mehr war." Der Journalist betonte gleichzeitig, dass er für den "Freie Wähler"-Chef stets Sympathien gehegt hatte. Auch Markus Lanz gab zu, während seiner Treffen mit dem Politiker keinen Nationalsozialisten erkannt zu haben.
Jürgen Trittin merkte daraufhin an, "dass man mit dem 17-Jährigen nachsichtig umgehen muss, wenn der 52-Jährige damit erwachsen und verantwortungsvoll umgeht". Doch genau diese Reaktion vermisse er bei Aiwanger: "Das, was er in Erding gemacht hat, (...) ein klassisch rechter, antidemokratischer Topos" gewesen sei. Trittin bezog sich auf eine kürzliche Rede Aiwangers, in der er gesagt hatte, die schweigende Mehrheit in Deutschland müsse sich die "Demokratie zurückholen". Roman Deininger ergänzte mit Blick auf das Flugblatt: "Ich habe den Eindruck, Hubert Aiwanger ist momentan nicht der Vorgang damals unangenehm, sondern die Probleme, die heute daraus erwachsen."
"Absurdistan": Jürgen Trittin verteidigt die Grünen
Markus Lanz sprach daraufhin mit seinen Gästen über die politischen Nachwehen, die der Skandal nach sich ziehen könnte. "Ich glaube, dass die Stimmung in der CSU zurzeit sehr schlecht ist", vermutete Jürgen Trittin. Er glaube, die Partei stehe aktuell vor der Frage, Aiwanger "fallen" zu lassen oder an ihm festzuhalten. Laut Trittin sei "Herrn Söder die geplante Wahlkampfkampagne entglitten": "Das Themensetting, er isst gerne Fleisch, er nimmt an jedem Volksfest teil, die Grünen sind böse. All dieses, da redet kaum noch jemand drüber."
Für Roman Deininger war derweil klar: "Die Freien Wähler sind jetzt in der Verantwortung." Eine politische Misere, die den ZDF-Moderator auch auf die ständigen Streitereien in der Ampelkoalition brachte. In Bezug auf die Grünen fragte er: "Wer hat bei den Grünen wirklich das Sagen?" Helene Bubrowski sprach daraufhin über den anhaltenden "Konkurrenzkampf" zwischen Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck. Davon wollte Jürgen Trittin jedoch nichts wissen und stellte klar: "Selbstverständlich gibt es innerhalb der Grünen verschiedene Strömungen." Er ergänzte erbost, dass das Bild, die Grünen hätten sich "irgendwie Mitte der 2020er-Jahre entschieden, zu regieren, (...) einfach Absurdistan" sei.