«Gut für die Moral» Ehrung für Tunesiens Pragmatiker

Terror in Tunesien: Touristen, die den Anschlag überlebt haben, trauern am Strand von Sousse um die vielen Toten. Foto: Mohamed Messara/Archiv

Rachida ist auf dem Weg zur Arbeit, als sie erfährt, dass der Friedensnobelpreis nach Tunesien geht. «Das ist gut für die Moral», ist ihre erste Reaktion. «Wir haben in den vergangenen Jahren sehr gelitten.»

Während des Arabischen Frühlings 2011 hätten die Tunesier den Ruf gehabt, gut gebildet, aufgeklärt und von der Mentalität her Europa sehr nah zu sein. «Mit der Wirtschaftskrise und der terroristischen Bedrohungen sind wir jetzt wieder weit hinter dem angelangt, was wir einmal hatten.»

Es ist vor allem der Pragmatismus der Tunesier, der mit dem wichtigsten Preis der Welt ausgezeichnet wurde. Das Nobel-Komitee würdigte das Quartett für den nationalen Dialog aus vier Verbänden, die Tunesien wohl nicht zuletzt vor einem Bürgerkrieg bewahrt haben - den Gewerkschaftsverband (UGTT), den Arbeitgeberverband (UTICA), die Menschenrechtsliga (LTDH) und die Anwaltskammer.

2013 taten sich die mächtigen Organisationen zusammen, als die Ermordung der Oppositionspolitiker Chokri Belaïd und Mohamed Brahmi mutmaßlich durch Salafisten das nordafrikanische Land in eine schwere politische Krise stürzte.

Viele Tunesier lasteten der damals neuen islamistischen Regierung unter Führung der Partei Ennahda die Taten an und gingen zu Zehntausenden auf die Straße. Zwei Jahre nach der Jasminrevolution, bei der der langjährige Diktator Zine el Abidine Ben Ali gestürzt worden war, drohte die Spaltung der Gesellschaft und neue Gewalt.

Unter Vermittlung des Quartetts kamen die politischen Gegner an den Verhandlungstisch. Die Ennahda erklärte sich zum Rückzug aus der Regierung bereit, die daraufhin von einem Technokraten-Kabinett unter der Führung von Mehdi Jomaâ abgelöst wurde.

«Mehr als alles andere soll dieser Preis eine Ermutigung für das tunesische Volk sein», lautet nun die Begründung für den Nobelpreis. «Trotz enormer Herausforderungen hat es die Grundlage für eine nationale Brüderlichkeit gelegt. Das Komitee hofft, dass dies ein Beispiel ist, dem auch andere Länder folgen werden.»

Während aber weitere Staaten des Arabischen Frühlings - wie Syrien, Libyen oder der Jemen - in Bürgerkriege schlitterten, ging Tunesien den Weg zur Demokratie trotz einiger Rückschläge beständig weiter. Und während in Ägypten aus Angst vor Instabilität ein neues autoritäres und repressives System an die Macht kam, bekam das kleine Maghreb-Land mit seinen rund elf Millionen Einwohnern eine neue, moderne Verfassung, organisierte Parlaments- und schließlich Präsidentenwahlen. Um den gesellschaftlichen Frieden zu wahren, ist an der neuen, von der säkularen Nidaa Tounes («Ruf Tunesiens») geführten Regierung auch die Ennahda beteiligt.

Trotz der Erfolge bei der Demokratisierung befindet sich das Land jedoch in einem Zustand der Depression. Die Wirtschaft kommt nicht auf die Beine, die Arbeitslosigkeit ist gerade unter jungen Menschen hoch und die Terroranschläge im Bardo-Museum von Tunis und am Badeort Sousse mit etwa 60 Toten haben dem so wichtigen Tourismus den Garaus gemacht.

«Wir leben in schwierigen Zeiten. Doch trotz aller Missverständnisse und Dispute gibt es doch gute Nachrichten», sagt Präsident Béji Caïd Essebsi zur Entscheidung des Nobel-Komitees. «Es ist nicht alles schwarz.» So ist der Nobelpreis derzeit vor allem ein Signal an die Tunesier, nicht aufzugeben und weiterhin daran zu arbeiten, ein Musterland mit Vorbildfunktion für die ganze Region zu bleiben.

Reaktion Essibsi