"Ich habe das Thema der Nacht entrissen und in den Tag geholt"

Im Interview schwärmt Produzentin Veronica Ferres von Johannes Erlemann: "Wer lernen will, wie man nie die Hoffnung verliert, muss sich nur ihn zum Vorbild nehmen. Authentischer als bei Johannes kann man es nirgendwo lernen." (Bild: RTL/Boris Breuer/2022 Getty Images/Hannes Magerstaedt)
Im Interview schwärmt Produzentin Veronica Ferres von Johannes Erlemann: "Wer lernen will, wie man nie die Hoffnung verliert, muss sich nur ihn zum Vorbild nehmen. Authentischer als bei Johannes kann man es nirgendwo lernen." (Bild: RTL/Boris Breuer/2022 Getty Images/Hannes Magerstaedt)

Am 6. März 1981 wurde Johannes Erlemann als Elfjähriger entführt. Nun, mehr als 40 Jahre später, hat er seine Geschichte gemeinsam mit Veronica Ferres als packendes Drama verfilmt. Im Doppelinterview mit Produzentin Ferres sagt Erlemann: "Dieses Projekt hat mein Leben verändert."

Zwei Wochen lang wurde Johannes Erlemann im März 1981 in einem Verschlag in der Rureifel gefangen gehalten. Drei Millionen Mark Lösegeld forderten die Entführer damals von den Eltern des Elfjährigen - ein herber Schlag für die Familie, deren Welt ohnehin Kopf stand: Johannes' älterer Bruder Andreas war schwer erkrankt; zudem war kurz zuvor Jochem Erlemann, der Vater der Jungen und international agierender Investor aus Köln, wegen Anlagebetrugs verhaftet worden. Das Geld für die Freilassung trommelten die Erlemanns trotzdem zusammen - und retteten ihrem Kind so das Leben.

Heute ist Johannes Erlemann selbst Familienvater, Medienmanager und jüngst auch ausführender Produzent des Dramas "Entführt - 14 Tage Überleben" (zu sehen ab Donnerstag, 7. September, bei RTL+ und am Donnerstag, 14. September, 20.15 Uhr bei RTL). Der äußerst bewegende Spielfilm über die Entführung ist Teil eines RTL-Gesamtpakets - unter anderem bestehend aus einer Doku-Serie, einem Podcast, einem Buch sowie Magazinbeiträgen. Im Doppelinterview sprechen Johannes Erlemann und Veronica Ferres, die als Produzentin für das Projekt verantwortlich zeichnet, über die außergewöhnlichen Dreharbeiten. Sie sind sich sicher: "So etwas hat es noch nie gegeben."

teleschau: "Entführt - 14 Tage Überleben" erzählt davon wie Sie, Herr Erlemann, im Jahr 1981 als Elfjähriger entführt wurden. Wie wirklichkeitsgetreu ist der Film?

Johannes Erlemann: Der Film ist etwas ganz Besonderes. Häufig werden einfach nur Wikipedia-Einträge verfilmt, das ist hier nicht der Fall. Wir haben zu über 90 Prozent an Originalschauplätzen gedreht. Alles, was ich erlebt hatte, habe ich über zwei Jahre während der Vorbereitung und der Dreharbeiten noch einmal genau so passieren lassen. Das ist auch das Gefühl, das bei diesem Film rüberkommt. Man wird nie hundertprozentig die Realität abbilden können, aber die Annäherung ist vermutlich so groß wie nie zuvor.

Veronica Ferres: Wir sind unfassbar nahe dran - auch dadurch, dass Johannes uns Zugang zu unglaublich vielen Dokumenten und Akten, Privatfotos und Privatfilmen gegeben hat. Wir konnten einen ganzen Koffer voller Unterlagen nutzen. Dadurch lagen uns zum Beispiel die originalen Erpresserbriefe vor.

Erlemann: Das muss man sich erst einmal vorstellen: 40 Jahre alte Briefe von den Tätern! Dank solcher Originale hatten wir beispielsweise in der Dokumentation, die wir in Ergänzung zum Spielfilm produziert haben, die Möglichkeit, Wortlaute der Entführer genau zu übernehmen.

Über 42 Jahre sind vergangen, seit Johannes Erlemann als Kind entführt wurde. RTL hat den Fall des damals Elfjährigen nun als Drama verfilmt. "Es war eine Konfrontationstherapie für mich, alles noch einmal zu erleben", sagt Johannes Erlemann heute über die Dreharbeiten. (Bild: RTL / Boris Breuer)
Über 42 Jahre sind vergangen, seit Johannes Erlemann als Kind entführt wurde. RTL hat den Fall des damals Elfjährigen nun als Drama verfilmt. "Es war eine Konfrontationstherapie für mich, alles noch einmal zu erleben", sagt Johannes Erlemann heute über die Dreharbeiten. (Bild: RTL / Boris Breuer)

"Die Realität ist oft viel absurder als die Fiktion"

teleschau: Wie haben Sie die Dreharbeiten erlebt?

Erlemann: Zu Beginn des Projekts scherzte ich noch, als ich sagte, dass ich all das therapeutisch missbrauchen werde. Ich war ja nie beim Psychologen. Schlussendlich stimmte es tatsächlich: Es war eine Konfrontationstherapie für mich, alles noch einmal zu erleben. Wahrscheinlich hätten nur wenige Menschen die Bereitschaft dazu, eine solche Erfahrung noch einmal aufzurollen. Ich hingegen bin ganz traurig, dass das Projekt nun vorbei ist.

Ferres: Es war eine unglaubliche Reise. Johannes war extrem mutig, sich dem so auszusetzen.

teleschau: Herr Erlemann, Sie haben lange Zeit sämtliche Angebote, Ihren Fall zu verfilmen oder dokumentarisch aufzuarbeiten, abgelehnt. Was hat sich geändert?

Erlemann: Ja, in der Vergangenheit haben zahlreiche namhafte Produktionen Interesse bekundet. Die meisten hätten mir aber die Geschichte entrissen. Die Freundschaft mit Veronica und die Zeit, die wir miteinander verbracht haben, gaben mir hingegen Vertrauen. Nicht jeder hat die Gabe, so offen auf jemanden zuzugehen wie sie. Wir sind wirklich befreundet. Tatsächlich hat uns das Projekt sogar noch enger zusammengeschweißt. Es war eine vollkommen vertrauensvolle Geschichte. Die Produktion war wie ein Familienausflug, wie eine Klassenfahrt.

teleschau: Wie kam die Freundschaft zwischen Ihnen zustande?

Erlemann: Ein guter Freund hat uns zusammengebracht. Eigentlich war an diesem Abend gar nicht so viel Zeit, weil Veronica am nächsten Morgen einen Live-Auftritt hatte. Aus den geplanten 30 Minuten dieser Begegnung wurden ein paar Stunden. Das spricht für sich. Es war vom ersten Moment an, als würden wir uns schon immer kennen.

Ferres: Dazu kommt, dass Johannes' Geschichte so facettenreich ist. Als er mir alles erzählte, sagte ich: Das ist eine fast schon surreale Absurdität. Das kann man nicht glauben. Dass die Mutter plötzlich damit zurechtkommen muss, dass der Mann im Gefängnis sitzt, der eine Sohn entführt und der andere Sohn schwerkrank ist - wie unfassbar und grausam ist das?

teleschau: Wann haben Sie beschlossen, aus dem Entführungsfall einen Spielfilm zu machen?

Erlemann: Irgendwann sagten wir: Das muss man verfilmen. Letztendlich gab es sehr viele Geschichten, die man gar nicht alle in einem einzelnen Spielfilm erzählen hätte können. Ansonsten wäre dabei ein höchst unglaubwürdiger Film entstanden. Die Realität ist oft viel absurder als die Fiktion. Es mag lustig sein, dass der Gerichtsvollzieher mit dem Geld meiner Eltern nach Costa Rica abgehauen ist. Das ist tatsächlich so passiert, aber das glaubt uns doch kein Mensch.

Ferres: Deshalb war das Angebot von RTL perfekt. Wir hatten zunächst geplant, einen Kinofilm zu drehen. Dann bekamen wir die Möglichkeit, über die Bertelsmann Content Alliance einen fiktionalen Spielfilm, eine Dokumentation, einen Podcast und ein Buch zu machen, um diesem großen Thema überhaupt gerecht zu werden. Johannes sagte sofort: "Diesen Weg gehen wir."

"Es war eine unglaubliche Reise", fasst Produzentin Veronica Ferres die Dreharbeiten zu "Entführt - 14 Tage Überleben" zusammen: "Johannes war extrem mutig, sich dem so auszusetzen." (Bild: 2023 Getty Images/Hannes Magerstaedt)
"Es war eine unglaubliche Reise", fasst Produzentin Veronica Ferres die Dreharbeiten zu "Entführt - 14 Tage Überleben" zusammen: "Johannes war extrem mutig, sich dem so auszusetzen." (Bild: 2023 Getty Images/Hannes Magerstaedt)

"Ich habe die Schublade nicht nur aufgemacht, ich habe sie herausgerissen und sitze gerade mittendrin"

teleschau: Herr Erlemann, wie war es für Sie, sich so intensiv mit Ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen?

Erlemann: Eigentlich bin ich 40 Jahre lang gut ohne die Aufarbeitung meiner Geschichte zurechtgekommen. Es gab auch Leute, die sagten: "Mensch, Johannes, du hast die Schublade doch immer zugelassen und hervorragend gelebt! Warum machst du sie jetzt auf?" - Der Punkt ist: Ich habe die Schublade nicht nur aufgemacht, ich habe sie herausgerissen und sitze gerade mittendrin. Ich weiß auch nicht, wie ich sie später wieder zurück in den Schub bekommen soll. Aus heutiger Sicht weiß ich jedoch: Ich hätte es sehr bereut, hätte ich das Projekt abgelehnt.

teleschau: Wie geht es Ihnen, nun, nachdem die Produktion ein Ende gefunden hat?

Erlemann: Das Projekt hat einen Prozess angestoßen, der die Geschichte für mich neu geschrieben hat. Dafür bin ich dankbar. Ohne Veronica hätte ich es nicht gemacht. Das war eine schicksalhafte Begegnung, eine Fügung. Ich wollte mich ja nicht testen mit der Geschichte. Es ging um viel, viel mehr. Ich hatte beispielsweise auch nicht sofort RTL auf dem Radar für die Umsetzung, aber heute bin ich so dankbar für diesen Sender. Nichts wurde gemacht, ohne mit mir Rücksprache zu halten. Wie wunderbar!

Ferres: Mir war sehr wichtig, das Produktionsteam so aufzustellen, dass alle Beteiligten den gleichen Respekt vor Johannes haben wie ich. Schließlich geht es um ihn.

teleschau: Welche Aufgabe hatten Sie am Set, Herr Erlemann?

Erlemann: Es war nicht so, als hätte ich mich vier Wochen hingesetzt, die Geschichte erzählt und dann das Projekt in fremde Hände abgegeben. Mir war es wichtig, als ausführender Produzent des Filmes sämtliche Erinnerungen einzubringen. Es war uns insbesondere bei den neuralgischen Szenen sehr wichtig, dass wir am Set die maximale Authentizität erzielen. Dafür habe ich beispielsweise bei der Inszenierung der Freilassung unserem Hauptdarsteller (Cecilio Andresen, d. Red.) eins-zu-eins alle Ereignisse von damals veranschaulicht und auch demonstriert. So etwas hat es noch nie gegeben. Diese Szene entspricht quasi vollständig der Realität.

Ferres: Dahinter stecken jahrelange Recherchearbeit und der besondere Blickwinkel von Johannes. Bereits bei der ersten Begegnung mit ihm begeisterten mich seine Lebensfreude und sein Humor. Ich habe mich oft gefragt, wo er das hernimmt - nach all dem, was er erlebt hat. Doch er war schon immer so: In dem Moment, in dem Johannes entführt wurde, drückten die Täter ihm ein Tuch vor den Mund, damit er keine Luft mehr bekommt. Er drehte die Situation sofort um und stellte sich bewusstlos. Ein Traumatherapeut, den wir für die Dokumentation zurate gezogen haben, erklärte, dass das Johannes gerettet hat: Er hat sofort die Kontrolle übernommen, sich bewusstlos gestellt und sich dann genau den Weg gemerkt. Mit elf Jahren! Diese Urkraft, die er hat, fasziniert mich bis heute. Deshalb ist Johannes auch ein Vorreiter und berät Opfer und Ermittler.

Erlemann: Es ist allerdings nicht so, dass sich alles nur um mich dreht. Der Film hat eine klare Botschaft.

teleschau: Wie lautet sie?

Erlemann: Man kann tiefste Krisen überwinden. Viele Menschen haben nach schweren Schicksalsschlägen Schwierigkeiten, aufeinander zuzugehen. Auch ich habe mit meiner Mutter über Jahrzehnte nicht wirklich über unser Schicksal gesprochen. Dabei geht es mir nicht nur um Entführungen: Ich möchte die Menschen ermutigen, miteinander zu reden. Ich wünsche mir, dass auch andere Betroffene den Versuch wagen, konstruktiv mit ihren Traumata umzugehen, anstatt sich zu verkriechen. Zudem richtet sich der Film auch an Angehörige. Als Außenstehender steht man einer solchen Geschichte schließlich auch mit einer großen Hilflosigkeit gegenüber. Da ist guter Rat meist teuer. Häufig hilft es bereits, einen Schritt auf die Opfer zuzugehen.

Veronica Ferres und Johannes Erlemann verbindet seit einigen Jahren eine enge Freundschaft. "Es war vom ersten Moment an, als würden wir uns schon immer kennen", erklärt Erlemann. (Bild: RTL / Tom Trambow)
Veronica Ferres und Johannes Erlemann verbindet seit einigen Jahren eine enge Freundschaft. "Es war vom ersten Moment an, als würden wir uns schon immer kennen", erklärt Erlemann. (Bild: RTL / Tom Trambow)

"Eigentlich ist das der blanke Horror für ein Produktionsteam"

teleschau: "Opfer" - ein Begriff, den Sie nur ungern im Zusammenhang mit sich selbst verwenden.

Erlemann: Na ja: Ich sehe mich nicht als Opfer. Opfer sind für mich diejenigen, denen wir helfen wollen. Ich habe es erst spät verstanden, aber es ist mein Lebensglück, eine etwas unübliche Betrachtungsweise zu haben. Nur dank meines ungewöhnlichen Blickwinkels auf das Leben existiert dieser wunderbare Film.

Ferres: Definitiv! Das zeichnet Johannes aus: seine Verletzbarkeit und Sensibilität, aber auch die Distanz, sagen zu können, wie die Dinge wirklich waren. Deshalb fühlt es sich im Film beinahe so an, als wäre man von Anfang an tatsächlich dabei.

teleschau: Es ist selten, dass ein Betroffener so involviert in die Produktion ist ...

Erlemann: Das stimmt. Ich hatte jede neue Drehbuchfassung auf dem Tisch liegen. Alles wurde mit mir abgesprochen. Eigentlich ist das der blanke Horror für ein Produktionsteam. Das tut sich doch sonst niemand an. Veronica hat diesen Stress jedoch hingenommen - damit wir der Sache gerecht werden.

Ferres: Normalerweise werden Persönlichkeitsrechte optioniert. Danach haben die Regisseure und Drehbuchautoren die fiktionale Freiheit. Die Person, um die es geht, sieht dann oft nur noch das fertige Produkt. Das ist allerdings nicht meine Herangehensweise. Johannes war immer involviert - bei jedem einzelnen Produktionsschritt. Weil die Geschichte so groß ist, wollen wir mit allen vier Standbeinen ganz unterschiedliche Aspekte beleuchten. Das heißt, der Spielfilm wird die Leute inspirieren, die Dokumentation anzuschauen. Sie beleuchtet wiederum ganz andere Aspekte als der Podcast oder das Buch.

Erlemann: Es wird auch nicht "das Buch zum Film" erscheinen. Jedes einzelne Projekt steht für sich. Im Podcast besprechen wir zum Beispiel, wie die letzten zwei Jahre für mich waren. Die Produktion hat einen neuen Menschen aus mir gemacht. Ich sehe die Dinge nun anders als vorher.

teleschau: Hatten Sie vorab keine Bedenken?

Erlemann: Man muss es wagen. Mein Vater hat immer gesagt: "Wenn man es nicht gemacht hat, weiß man nicht, wie es gewesen wäre."

teleschau: Heute sind Sie selbst fünffacher Vater. Wie sehr hat Ihre Vergangenheit Ihren Erziehungsstil geprägt?

Erlemann: Eigentlich gar nicht. Ehrlich gesagt war es immer eher mein Umfeld, das Bedenken hatte. Einmal liefen meine Kinder nachmittags draußen herum, da bin ich angerufen worden von einem Bekannten, der sagte: "Johannes, ich habe deine Kinder alleine auf der Straße gesehen!" Da sagte ich nur: "Ja, das kann sein." (lacht) So ein vorauseilender Gehorsam ist völliger Quatsch. Ich bin kein Helikoptervater. Es würde meinen Kindern doch nur schaden, wenn sie unter meinem Schicksal leiden müssten. Könnte ich das nicht trennen, hätte ich keine Kinder in die Welt setzen dürfen.

Im Spielfilm "Entführt - 14 Tage Überleben" übernimmt Cecilio Andresen (Mitte) die Rolle des elfjährigen Johannes. Als Produzenten sind sich Johannes Erlemann und Veronica Ferres sicher: "Man wird nie hundertprozentig die Realität abbilden können, aber die Annäherung ist vermutlich so groß wie nie zuvor." (Bild: RTL / Tom Trambow)
Im Spielfilm "Entführt - 14 Tage Überleben" übernimmt Cecilio Andresen (Mitte) die Rolle des elfjährigen Johannes. Als Produzenten sind sich Johannes Erlemann und Veronica Ferres sicher: "Man wird nie hundertprozentig die Realität abbilden können, aber die Annäherung ist vermutlich so groß wie nie zuvor." (Bild: RTL / Tom Trambow)

Vier Jahrzehnte schlechte Träume

teleschau: Frau Ferres, was haben die letzten beiden Jahre mit Ihnen gemacht?

Ferres: Für Johannes waren die Dreharbeiten eine körperliche und seelische Anstrengung. Ich glaube nicht, dass das Projekt für mich so einschneidend war wie für ihn. Ich habe jedoch extrem hart gearbeitet, um den Film mit dem bestmöglichen Team und dem bestmöglichen Umfeld für Johannes auf die Beine zu stellen.

Erlemann: Dazu kommt, dass alle Geduld mit mir haben mussten. Ich war immer sehr bemüht, aber hin und wieder kollidierten die verschiedenen Projekte miteinander. Manchmal konnte ich nicht allen gerecht werden. Zudem brauchte ich hin und wieder einen Tag Pause, zum Beispiel nach dem Dreh der Freilassung. Das habe ich aber erst durch das Projekt gelernt. Vorher war mir nicht bewusst, wo meine Grenzen diesbezüglich liegen.

Ferres: Für mich war das sehr schwierig. Schließlich waren Termine gebucht und ausgemacht. Trotzdem konnte ich Johannes' Pausen immer erklären, verteidigen und auch verstehen. Was sich für mich verändert hat, war - zumindest vorübergehend - mein Schlafrhythmus. Als ich Johannes kennenlernte, sagte er mir: "Ich schlafe schlecht. Immer, wenn ich die Augen schließe, träume ich davon." Deshalb kommunizierten wir, vor allem in den ersten Monaten unseres Kennenlernens, hauptsächlich nachts miteinander. Ich leide seitdem an chronischem Schlafmangel (lacht). Irgendwann, gegen Ende des Projekts, kam Johannes zu mir, sah mich lange an, und sagte: "Ich kann wieder schlafen." Da war ich sprachlos und sehr dankbar.

teleschau: Wie kam es dazu?

Erlemann: Damit hätte ich selbst nie gerechnet. Das ist Teil der Konfrontationstherapie, der ich mich durch die Dreharbeiten ausgesetzt habe. Mehr als 40 Jahre lang habe ich jede Nacht schlecht geträumt. Ich fand das jedoch vollkommen in Ordnung. Verglichen mit dem, was andere Überlebende durchmachen, war das ein geringes Übel. Auf Dauer schlagen der schlechte Schlaf und die ständigen Unterbrechungen in der Nacht aber natürlich auf die Gesundheit. Die letzten zwei Jahre waren in dieser Hinsicht wie eine Erlösung. Durch die Auseinandersetzung mit meiner Vergangenheit verschwanden die Albträume. Ich habe das Thema der Nacht entrissen und in den Tag geholt.

teleschau: Sie haben sich also tatsächlich selbst therapiert?

Erlemann: Es scheint so. Für Psychologen bin ich ein totales Rätsel. Ich stehe in keinem Lehrbuch. Heute ist mir bewusst, dass ich ein totaler Sonderfall bin. Genau deshalb erwäge ich im Anschluss an unsere Unternehmung ein Studium der Psychologie. Das wäre nach den letzten zwei Jahren die logische Konsequenz für mich. Ich möchte mir diese Erfahrung zunutze machen. Bei einem spannenden Film kann es nicht bleiben. Dieses Projekt hat mein Leben verändert.

Ferres: Wenn das jetzt alles vorbei ist, wünsche ich mir, dass Johannes Vorträge hält, dass er auf die Bühne geht, dass man ihm Fragen stellt. Wer lernen will, wie man nie die Hoffnung verliert, muss sich nur ihn zum Vorbild nehmen. Authentischer als bei Johannes kann man es nirgendwo lernen.

Noch herrscht bei der wohlhabenden Familie Erlemann heile Welt, von links: Mutter Gabi (Sonja Gerhardt), die Söhne Andreas (Jacob Speidel) und Johannes (Cecilio Andresen) sowie Vater Jochem (Torben Liebrecht) ahnen noch nicht, was ihnen bevorsteht. (Bild: RTL / Tom Trambow)
Noch herrscht bei der wohlhabenden Familie Erlemann heile Welt, von links: Mutter Gabi (Sonja Gerhardt), die Söhne Andreas (Jacob Speidel) und Johannes (Cecilio Andresen) sowie Vater Jochem (Torben Liebrecht) ahnen noch nicht, was ihnen bevorsteht. (Bild: RTL / Tom Trambow)