Sie haben keine Freundin, sie hassen Frauen: Wie gefährlich ist die "Incel"-Szene?

Sie hassen Frauen, schüren Gewalt und planen Anschläge: Sogenannte "Incels" sind auch in Deutschland inzwischen erstaunlich weit verbreitet. Wie gefährlich das Phänomen tatsächlich ist, ergründen Reporter in einem Recherche-Beitrag von "Y-Kollektiv".

Am 8. Juni erlitt Cole Carini aus Virginia schwere Verletzungen, weil es in seinem Haus zu einer Explosion kam. Er verlor eine Hand, mehrere Finger und hatte im Gesicht mehrere Wunden. Der junge Mann behauptete, er habe sich beim Rasenmähen verletzt. Was wie ein unglücklicher Unfall klang, war in Wahrheit allerdings nur die Spitze eines ungeheuerlichen Eisbergs: Wie das FBI herausfand, hatte Carini die Bombe extra hergestellt, um bei einem Selbstmordanschlag auf ein örtliches Einkaufszentrum "heiße Cheerleader" zu töten. Leider ist Carini kein Einzelfall.

Er gehört zur sogenannten "Incel"-Szene. Manche Männer aus diesem Dunstkreis haben bereits in den USA und in Kanada in den vergangenen Jahren Anschläge verübt - und auch hierzulande ist das "Incel"-Phänomen inzwischen verbreitet, weit mehr als man vermuten möchte. Die Journalisten Isabell Beer und Johannes Musial beschäftigten sich neun Monate lang intensiv mit dem Thema, auch undercover. Welche Erfahrungen und Erkenntnisse sie daraus gewonnen haben, zeigen sie in dem Recherche-Video "Suizid, Gewalt, Frauenhass: Wie gefährlich sind Incels in Deutschland?" des funk-Formats "Y-Kollektiv" von Radio Bremen, das ab sofort auf YouTube verfügbar ist.

Aber was ist ein Incel überhaupt? Das Wort setzt sich zusammen aus den englischen Begriffen "involuntary" und "celibate", kann also auf Deutsch mit "unfreiwilliger Zölibatär" übersetzt werden. Incels sind Männer, die noch nie Geschlechtsverkehr hatten und davon ausgehend einen Hass auf Frauen entwickelt haben. Incels ziehen sich ins Netz zurück, halten sich für hässlich, sehen sich als Opfer von Feminismus und männlichen Schönheitsidealen und tauschen sich über Incel-Foren über ihre Rachepläne und Gewaltfantasien aus - oder eben auch über geplante, tödliche Anschläge auf Frauen, wie Carini ihn verübt hat.

Die Incels sind zwischen 15 und 25 Jahre alt

Beer und Musial wollten nun herausfinden, wie weit die Szene in Deutschland verbreitet ist - und wie gefährlich sie tatsächlich ist. Ihr Recherche-Video wird im Rahmen einer Themenwoche mit dem Schwerpunkt Extremismus bei funk, dem Contentnetzwerk von ARD und ZDF, gezeigt. Musial sprach dafür mit dem BKA und der Polizei, aber auch mit Therapeuten und Ärzten. Tatsächlich lassen sich auch vereinzelte Incels zu einem Gespräch bewegen. Währenddessen meldete sich Beer undercover in einem Incel-Forum an, um herauszufinden, wie sich deutsche Incels untereinander verhalten. Es gelingt den beiden Reportern sogar, einen Mann zu treffen und mit ihm über sein extremes Frauenbild zu sprechen.

Ein Incel spricht mit ihnen per Video-Chat. Und seine Aussagen machen sprachlos: Er sieht nur zwei Möglichkeiten, das Problem zu lösen, erklärt er: "Die eine ist eine komplett surreale und dystopische, das wäre, dass die Regierung wirklich den sexuellen Markt reguliert." Frauen sollten den Männern zugeteilt werden, damit jeder einen Partner hätte. "Die zweite Lösung, da sind sich auch fast alle Incels einig, wäre einfach nur Selbstmord. Was anderes gibt es nicht." Nicht nur diese Aussage machte die Reporter sprachlos und hinterlässt auch den Zuschauer ziemlich ratlos diesem Phänomen gegenüber zurück.

"Machen wir da etwas zu einem großen Problem, was gar keines ist?"

Die Nutzer der Seiten sind zum Großteil zwischen 15 und 25 Jahre alt. Wie der 32 Minuten lange "Y-Kollektiv"-Beitrag weiter zeigt, sind die Männer unter sich hemmungslos und teils extrem unterwegs: Sie motivieren sich gegenseitig zu Vergewaltigungen, Suizid und Amokläufen, ihr Bild von Frauen scheint hasserfüllt.

Wenn ein User schreibt, dass er sich umbringen möchte und keinen Sinn in seinem Leben mehr sehe, wird er von anderen Nutzern angestachelt oder sogar aufgefordert, den Selbstmord zu filmen. Es werden Bilder von toten Frauen gegenseitig versendet, um aufzumuntern. Wie ernst sind diese Aktionen? Auch Musial fragt sich: "Machen wir da etwas zu einem großen Problem, was gar keines ist? Oder gibt es ein Riesenproblem, aber keiner weiß davon, keiner redet darüber?" Am Ende des Beitrags erklären die beiden Reporter, dass sie hoffen, dass der Film eine Diskussion darüber auslöse, wie wir miteinander umgehen - im Netz und im Alltag. Isabell Beer gibt ihre Antwort im Video selbst: "Das hier ist keine Gemeinschaft, das ist gefährlich." Andreas Schmiedel, Sozialpädagoge und Leiter des Münchner Informationszentrums für Männer, ordnet die extremsten Vertreter dieser Szene ähnlich ein. "Manchen Leuten musst du nicht helfen, manche Leute musst du stoppen", betont er im "Y-Kollektiv"-Interview.

"Y-Kollektiv" gibt diesen Beitrag mit einer "Triggerwarnung" heraus: "Im folgenden Film geht es in Auszügen um Suizid-Gedanken und Depressionen." Verwiesen wird auf Notfallnummern bei Depressionen und anderen psychischen Notfall-Situationen: TelefonSeelsorge in Deutschland: +49 (0)800 111 0 111; 116111 - Die Nummer gegen Kummer (https://www.nummergegenkummer.de/).