Halle-Prozess: Richterin irritiert mit Synagogen-Aussage

Die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens (m.) vor Beginn des ersten Verhandlungstags (Bild: Jens Schlueter/Getty Images)
Die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens (m.) vor Beginn des ersten Verhandlungstags (Bild: Jens Schlueter/Getty Images)

Am ersten Tag des Halle-Prozesses machten vor allem der Attentäter mit rassistischen Aussagen und die vorsitzende Richterin mit einer irritierenden Bemerkung auf sich aufmerksam.

Im Landgericht Magdeburg hat am gestrigen Dienstag der Prozess gegen den Attentäter von Halle begonnen. Unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit und hohen Sicherheitsvorkehrungen soll dort an 18 Verhandlungstagen ein Urteil für Stephan B. erreicht werden. Am 9. Oktober 2019 hatte der 28-jährige die Haller Synagoge angegriffen. Nachdem er die Tür mit selbstgebauten Waffen nicht überwinden konnte, ermordete er zwei Passanten und verletzte auf seiner Flucht weitere Menschen. Dass sich der Prozess für das Gericht trotz der klaren Sachlage - B. hatte seine Tat live im Internet gestreamt - als schwierig erweisen könnte, zeigen indes schon die ersten Prozesstage.

Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen wurde der Angeklagte per Hubschrauber ins Landgericht Magdeburg gebracht, wo der Prozess gegen ihn am Dienstag begonnen hat (Bild: Jens Schlueter/Getty Images)
Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen wurde der Angeklagte per Hubschrauber ins Landgericht Magdeburg gebracht, wo der Prozess gegen ihn am Dienstag begonnen hat (Bild: Jens Schlueter/Getty Images)

Der Angeklagte antwortet entweder knapp oder provokativ auf die Fragen der vorsitzenden Richterin Ursula Mertens. Sie drohte ihm nach rassistischen Aussagen bereits mit einem Rauswurf. Und dann fiel die Richterin selbst auch noch durch eine ungeschickte Äußerung auf. Mertens sagte nämlich, dass es schade sei, dass der Täter die Synagoge nicht einmal am Tag der offenen Tür besucht habe. Kurz zuvor hatte B. allerdings erklärt, er hätte die Tat anders begangen, wenn er detailliertere Informationen zur Synagoge gehabt hätte, wie das “Zentrum Demokratischer Widerspruch” während der Verhandlung auf Twitter berichtete.

Nun muss sich Richterin Mertens dagegen verwahren, dass sie Antisemitismus auf die leichte Schulter nehme und glaube, mit einem einfachen Besuch in der Synagoge sei das Problem erledigt. Viele Kommentatoren im Netz zeigten sich irritiert, zumal B. vor Gericht kein Geheimnis aus seinen Ansichten macht. Mehrfach äußerte er sich am ersten Verhandlungstag antisemitisch und rassistisch. Ob da, wie von der Richterin vorgeschlagen, ein Besuch in der Synagoge für eine Abkehr von seiner Ideologie ausgereicht hätte, ist mehr als fraglich. Das Zentrum Demokratischer Widerspruch bescheinigt der Richterin auf seiner Homepage ein “eklatantes Unverständnis über die Funktionsweisen antisemitischen Gedankenguts”.

Zweiter Verhandlungstag: Prozess gegen Halle-Attentäter am Mittwoch fortgesetzt

Der Angeklagte gab etwa an, dass er sich das Datum gezielt ausgesucht habe. Der 9. Oktober war im vergangenen Jahr Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag, weshalb die Synagoge deutlich voller war, als gewöhnlich. In seiner kruden antisemitischen Weltsicht glaubte er, dass Juden an diesem Tag “dafür beten, dass sie sich auch im nächsten Jahr nicht an Verträge halten müssen” - eine bekannte judenfeindliche Überlieferung. Allein solche Aussagen vor Gericht widerlegen die Theorie, man könne einem tiefsitzendem Antisemitismus mit ein wenig Aufklärung entgegenwirken, die sich in der Bemerkung der Richterin widerspiegelt.

Zum Anderen aber hörte sich die Einlassung der vorsitzenden Richterin zynischerweise fast wie eine unbeabsichtigte Anleitung für kommende potenzielle Attentäter auf Synagogen oder Moscheen an. Dementsprechend fielen die Reaktionen auf Twitter nicht gerade günstig für Mertens aus.

B. wird von der Bundesstaatsanwaltschaft vorgeworfen, “aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens” geplant zu haben. Insgesamt werden dem Sachsen-Anhalter in der Anklage auf 121 Seiten 13 Straftaten zur Last gelegt, darunter Mord und versuchter Mord. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe und eine anschließende Sicherungsverwahrung.

Video: Mutmaßlicher Halle-Attentäter vor Gericht