"Ich halte nichts von geschönten Fassaden"

"Ich liebe es, mich als Schauspieler weitgehend so zeigen zu können, wie ich bin": Kai Wiesinger (2021 in Frankfurt) sagt, dass er ein Faible für Wahrhaftigkeit hat.  (Bild: 2021 Franziska Krug/Franziska Krug)
"Ich liebe es, mich als Schauspieler weitgehend so zeigen zu können, wie ich bin": Kai Wiesinger (2021 in Frankfurt) sagt, dass er ein Faible für Wahrhaftigkeit hat. (Bild: 2021 Franziska Krug/Franziska Krug)

Kai Wiesinger offenbart im Interview eine gesunde Einstellung zum Älterwerden: "Ich finde das auch nicht toll, hätte lieber einen intakteren Meniskus und würde lieber nicht zur Darm- und Prostatakrebsvorsorge. Aber es ist natürlich Schwachsinn zu denken, man bleibt als einziger ewig jung."

Warum nicht mal ein Klinikarzt als Detektiv? - Als engagierter Mediziner kommt Kai Wiesinger im Fernsehfilm "Dr. Hoffmann - Die russische Spende" (Donnerstag, 17. Februar, 20.15 Uhr, ARD) kriminellen Machenschaften seiner Klinikleitung auf die Spur. Auch als Privatperson bekennt sich der ehemalige Zivi im Rettungsdienst gerne zu Augenringen und zunehmenden Auftritten als "Opa". Im Interview offenbart der Schauspielstar ein pragmatisches Verhältnis zum Älterwerden, außerdem spricht der 55-Jährige über die aktuellen Verwerfungen in Gesellschaft und Kulturbetrieb.

teleschau: Das Krankenhaus als Ort großer Belastung, Erschöpfung und maximalen Gewinnstrebens: Das Setting Ihres neuen Films ist sehr aktuell, oder?

Kai Wiesinger: Angesichts unseres überforderten Gesundheitssystems sicher extrem aktuell: Dass so viele Beteiligte dort am Anschlag sind, sollte mittlerweile ja jedem bewusst geworden sein. Die Romanvorlage stammt von einem Arzt, der vieles aus seinem Alltag aufgenommen hat - die Belastung des Personals, die schlechte Bezahlung der Pflegekräfte. Im Vordergrund steht bei "Dr. Hoffmann - Die russische Spende" allerdings die Krimihandlung, in die mein Charakter widerwillig verstrickt wird - das hat eher wenig mit der aktuellen Situation zu tun. Man muss ja davon ausgehen, dass der Mensch ein egoistisches Wesen ist und dass Korruption etwas, das von höchster politischer Ebene bis zum letzten Taubenzüchterverein Thema ist, natürlich und hoffentlich nur in Einzelfällen. Daher ist die klare Aufgabe des Films vor allem Unterhaltung mit kriminalistischen und komödiantischen Elementen und nicht zu sagen: "Jetzt hab ich's begriffen und muss mal mit dem Gesundheitsminister reden."

teleschau: Hoffmann ist ja kein Kommissar, sondern er begibt sich eher notgedrungen auf die Fährte eines Verbrechens - als Privatperson, deren Grundvertrauen in ihr tägliches Umfeld erschüttert ist. Eigentlich will er nur als Arzt sein Bestes geben und gar nicht so hoch hinaus.

Wiesinger: Absolut, er gehört zu den Figuren, die keine Superkräfte haben oder irgendwie "outstanding" sind, sondern ist ein Mensch wie du und ich. Er durchlebt gerade nicht so schöne Zeiten, ist weder der perfekte Schwiegersohn noch ein "Love Interest", sondern ein normaler Mann, der sich im Krankenhaus abarbeitet, immer müde ist, fertig aussieht und von einer Katastrophe in die nächste wankt. Zwischendurch versucht er ein bisschen zu schlafen, um weitermachen zu können. Da brauchte die Maske nur meine Augenringe durch rote Tränensäcke zu verstärken, und mit Hilfe von Glycerin bekommt man tolle Schweißperlen.

teleschau: Für Augenringe braucht das Durchschnittspublikum derzeit sicher keine Maskenbildner. Umso schöner, keinen ausgebufften Kommissar oder Halbgott in Weiß vor sich zu haben! Welche anderen Möglichkeiten eröffnet das als Schauspieler?

Wiesinger: Das war eine tolle Aufgabe, zu der ich großen persönlichen Bezug hatte. Als Zivi habe ich selbst zwei Jahre als Sanitäter im Rettungsdienst gearbeitet und wäre auch gerne Arzt geworden. Daher habe ich die Kostüme sehr genossen: Die Kittel und medizinischen Handschuhe haben sich wie zu Hause angefühlt. Ich mag es, Normalität darzustellen und Menschen, die nicht alles auf den ersten Blick erkennen. Hoffmann ist ja eher phlegmatisch und lässt sich nur aus Verliebtheit auf einen kriminellen Strudel ein, aus dem er dann nicht mehr rauskommt.

Kai Wiesinger ist demnächst im Krimi "Dr. Hoffmann - Die russische Spende" als Krankenhausarzt zu sehen. Der Stoff, sagt er, sei "angesichts unseres überforderten Gesundheitssystems sicher extrem aktuell". (Bild: rbb / Hans-Joachim Pfeiffer)
Kai Wiesinger ist demnächst im Krimi "Dr. Hoffmann - Die russische Spende" als Krankenhausarzt zu sehen. Der Stoff, sagt er, sei "angesichts unseres überforderten Gesundheitssystems sicher extrem aktuell". (Bild: rbb / Hans-Joachim Pfeiffer)

"Durch die Pandemie ist die Lage für viele dramatisch"

teleschau: Kam Ihnen schon als Zivi einiges am Krankenhausbetrieb dubios vor?

Wiesinger: Ungerecht auf jeden Fall: Mitte der 1980er-Jahre hatte ein Rettungssanitäter den Status eines Hilfsarbeiters, dessen erwartete Leistung für die Gesellschaft in keinem Verhältnis zur Entlohnung stand. Das hat sich zwar ein wenig geändert, auch wenn - Stichwort "Relevanz" - immer noch Luft nach oben ist.

teleschau: Dahingehend gibt es eine große Parallele zum Kulturbereich, dem Sie heute angehören.

Wiesinger: Durch die Pandemie ist die Lage dort für viele dramatisch. Deswegen bin ich gespannt auf die Arbeit der neuen Kulturstaatsministerin, die immerhin praktische Erfahrung in der Arbeit mit Kreativen hat. Es geht aber nicht nur um politische Entscheidungen, sondern um die Richtung, in die sich die Gesellschaft entwickelt. Mit welcher kulturellen Wertigkeit wachsen wir auf? Gehen wir nur ins Kino, um Popcorn zu essen? Kultur bringt uns als Gesellschaft weiter, davon bin ich überzeugt. Als Kunstschaffende ist es unsere Aufgabe, Fragen zu stellen und den Menschen durch gute Unterhaltung andere Perspektiven zu eröffnen. Auf diese Fragen müssen Künstler nicht die Antworten wissen, uns als Gesellschaft aber gemeinsam an ihnen abarbeiten.

teleschau: Als Mitglied des Kulturbetriebs suchen Sie schon länger nach Möglichkeiten, sich möglichst unabhängig vom System zu machen.

Wiesinger: Klar ist: Von irgend jemandem kommt immer das Geld. Meine Ideen, Kino- und TV-Formate jenseits der etablierten Institutionen zu realisieren und auf erzählerisch sinnvolle Weise Marken zu integrieren, hatte ich schon vor 17 Jahren. Damals hat niemand zugehört. Die Idee war zurück zu einer Art altertümlichen Mäzenatentums: Menschen, die über entsprechende Mittel verfügen, sponsern etwas, das sie relevant finden. Dadurch habe ich die Möglichkeit, eine Geschichte nicht für einen bestimmten Sendeplatz zu entwickeln, sondern innerhalb ihres eigenen Rahmens. Alles andere läuft Gefahr, ins Mittelmaß zu führen.

teleschau: Gehört dazu möglichst viel kreative Kontrolle?

Wiesinger: Ich bin als Autor, Produzent und Regisseur glücklicherweise so strukturiert, viele Bereiche abdecken zu können. Das von allen Schauspielern zu erwarten, ist unrealistisch und würde den Markt auch strapazieren. Die meisten wollen berechtigterweise vor allem spielen.

"Warum sollte ich mich hinter einer Maske verstecken und den 30-Jährigen geben?", sagt Kai Wiesinger (mit seiner Partnerin Bettina Zimmermann 2021 in Hamburg) im Interview. (Bild: 2021 Tristar Media/Tristar Media)
"Warum sollte ich mich hinter einer Maske verstecken und den 30-Jährigen geben?", sagt Kai Wiesinger (mit seiner Partnerin Bettina Zimmermann 2021 in Hamburg) im Interview. (Bild: 2021 Tristar Media/Tristar Media)

"Der neue Job kann doch nicht das alte Privat sein!"

teleschau: Mit Aktionen wie beispielsweise gegen die Corona-Maßnahmen haben sich einige Kollegen und Kolleginnen im vergangenen Jahr allerdings weit aus dem Fenster ihrer Profession gelehnt.

Wiesinger: Für mich war der unglückliche Stil dieses Meinungsaustauschs ein Zeichen dafür, wie sehr sich die Kommunikation über Kultur und von Mensch zu Mensch verändert hat, ebenso scheint mir, dass große Teile der Gesellschaft Social Media-hörig geworden sind. Manche Schauspieler setzen ihre Chancen, besetzt zu werden, mit der Zahl ihrer Follower gleich. Dafür zeigen sie dann ihre Kinder und Küche her. Ich halte mich da raus und will durch meine Arbeit überzeugen. Das Publikum soll mich als Schauspieler gut oder nicht gut finden - nicht, weil ich einen Hund habe.

teleschau: Mit den Folgen eines offengelegten Privatleben mussten Prominente ja schon immer leben.

Wiesinger: Früher war es allerdings anders. Hollywoodstars wie Cary Grant, James Stewart oder Ava Gardner waren bigger than life. Heute sind Menschen am bekanntesten, die 24/7 online sind. Der neue Job kann aber doch nicht das alte Privat sein! Dafür habe ich kein Verständnis.

teleschau: Gleichzeitig haben Sie seit "Kleine Haie" Ihr eigenes Markenzeichen - einen gewissen zerknautschten Charme. Wie lässt es sich damit leben?

Wiesinger: Ach, sehr gut! Ich liebe es, mich als Schauspieler weitgehend so zeigen zu können, wie ich bin. Es geht doch um Wahrhaftigkeit und nicht um gutes Aussehen, zum Beispiel gebe ich als "Dr. Hoffmann" etwas Angestrengtes, Übernächtigtes von mir preis. Warum sollte ich mich hinter einer Maske verstecken und den 30-Jährigen geben? Ich halte nichts von geschönten Fassaden. In meinem Alter spielt man halt eher den Opa und nicht mehr den Schwiegersohn.

teleschau: Der Lack ist eben ab! Das klingt erst mal nicht toll, aber womöglich liegt darunter die Substanz - etwas, das nicht angekratzt werden kann.

Wiesinger: Genau, dazu muss man aber erst mal die unterste Schicht der einstigen Oberfläche akzeptieren. Ich finde das auch nicht toll, hätte lieber einen intakteren Meniskus und würde lieber nicht zur Darm- und Prostatakrebsvorsorge. Aber es ist natürlich Schwachsinn zu denken, man bleibt als einziger ewig jung.

An der Aufnahme: Dr. Astrid Schreiber (Jytte-Merle Böhrnsen) und Dr. Hoffmann (Kai Wiesinger) reanimieren einen Patienten. "Er gehört zu den Figuren, die keine Superkräfte haben oder irgendwie outstanding sind, sondern ist ein Mensch wie du und ich", sagt Kai Wiesinger über die TV-Figur. (Bild: rbb / Hans-Joachim Pfeiffer)
An der Aufnahme: Dr. Astrid Schreiber (Jytte-Merle Böhrnsen) und Dr. Hoffmann (Kai Wiesinger) reanimieren einen Patienten. "Er gehört zu den Figuren, die keine Superkräfte haben oder irgendwie outstanding sind, sondern ist ein Mensch wie du und ich", sagt Kai Wiesinger über die TV-Figur. (Bild: rbb / Hans-Joachim Pfeiffer)